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Ausgabe:

1976

Spalte:

923-924

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Eduard

Titel/Untertitel:

Matthäus und seine Gemeinde 1976

Rezensent:

Marxsen, Willi

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einem größeren Rahmen zu sehen. Es ist schade, daß der
Ilerausgeher in seiner hilfreichen und gut verständlichen
Einführung den Leser nicht in diese Zusammenhänge eingeführt
hat. Die ausgewählten Aufsätze und Abschnitte können
als durchaus repräsentativ für den Gang und den gegenwärtigen
Stand der Lukasforschung gelten. Eine stärkere
Berücksichtigung der Arbeiten zur Apostelgeschichte (vor
allem Vielhauer und VVilckens) wäre sehr wünschenswert,
aber — wie der Herausgeber selbst bedauernd zugibt (vgl.
S. XXIII) — raummäßig nicht durchführbar gewesen. Zu
fragen bleibt nur, warum keine Artikel aus dem französischen
Spraehbereich (vor allem A. George) übernommen
* Hi llen.

Berlin Günther Baumbach

Schweizer, Eduard: Matthäus und seine Gemeinde. Stuttgart
: Verlag Katholisches Bibelwcrk [1974]. 182 S. 8°
= Stuttgarter Bibelstudien, hrsg. v. II. Haag, R. Kilian
u. W. Pesch, 71. Kart. DM 18,-.

Scliw. legt in diesem Band das vor, was man einen
Kommentar zu seinem 1973 (im NTD, Band 2) erschienenen
Matthäus-Kommentar nennen könnte. Dort konnte er nur
sehr begrenzt auf andere Meinungen eingehen, mußte auf
viele Einzelbegründungen verzichten. Das holt er jetzt nach
und gibt dem Leser die Möglichkeit, ihn gleichsam hei der
Arbeit am Kommentar zu beobachten.

Insbesondere gilt das für die Kap. 2—9. Sie enthalten
verschiedenartige Aufsätze zu Einzelfragen, Texten und Textzusammenhängen
, die während der Arbeit am Kommentar
entstanden und ausnahmslos bereits an anderen Stellen erschienen
sind. Behandelt werden formgeschichtliche Erwägungen
zu den Seligpreisungen (Kap. 2, S. 69—77), exegetische
Erörterungen zu Mt 5,17—20 (Kap. 3, S. 78—85), zu
Mt 6,1-18 im Vergleich mit Rom 2,28f. (Kap. 4, S. 86-97),
Sondertraditionen der Gleichnisse bei Mt (Kap. 5, S. 98—105),
die Sicht der Gemeinde nach Mt 18 (Kap. 6, S. 106—115).
Aach einer redaktionsgeschichtlichen Skizze zu Mt 21—25
(Kap. 7, S. 116—125) folgen Predigtmeditationen über Mt
7,15-23 (Kap. 8, S. 126-131) und Mt 21,14-17 (Kap. 9,
S. 132-137).

Die Fülle des hier Beobachteten und Erarbeiteten findet
ihren Niederschlag in dem (umfangreichsten) 1. Kap. „Christus
und die Gemeinde im Malthäusevangelium" (S. 9—68).
liier werden die Ergebnisse systematisch zusammengefaßt.
Schw. hält am judenchristlichen Charakter des Evangeliums
fest. Man wird nach ihm an eine Gemeinde denken müssen
, „die in einem noch ganz vom Judentum bestimmten
Bereich lebt und die jüdische Synagoge quer über der
Straße stehen sieht" (S. 12). Diese Gemeinde versteht sich
so, daß sie an die Stelle Israels getreten ist, nicht jedoch
als das „neue Israel", sondern als das „andere Volk" (S. 34),
das das Gesetz hat und sich des Gesetzes freut, im Unterschied
zu Israel aber Früchte bringt. Deutlich ist eine
„Ethisierung" zu beobachten, nicht zuletzt dadurch, daß
z. B. die „großen Antithesen Jesu ins Kleinkalibrige, das
heißt in die erfüllbaren Forderungen des Alltags (5,23—20)"
übersetzt werden. So wird „Jesu Gebot praktikabel gemacht
" (S. 49). — Eine Chrislologie ist im Matthäus-Evangelium
zunächst nicht unmittelbar zu erkennen; es bietet
mehr Ekklesiologie als Christologie, was Schw. vor allem
am Aufriß des Werkes zeigt. Das hängt allerdings damit
zusammen, daß eine „enge Zusammengehörigkeit des Schicksals
und Handelns Jesu mit seiner Jüngerschar" besteht
(S. 19), so daß die Ekklesiologie ihrerseits eben Christologie
ist (vgl. S. 31—57). Jesus ist nun freilich nicht nur Lehrer
der neuen Gerechtigkeit, sondern zugleich als kommender
Mensdiensohn Richter (auch!) der Gemeinde. In ihm ist die
Weisheit selbst auf den Plan getreten (S. 55); da aber Weisheit
und Gesetz schon längst gleichgesetzt sind (Schw. ver-

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weist auf Sir 24,23; Bar 4,1), ist in Jesus „Gottes Gesetz
Fleisch geworden". Damit wird keine Präexistenzaussage
gemacht, sondern Jesu „Tätigkeit als des vollmächtigen und
abschließenden Interpreten des Willens Gottes" ausgedrückt
(S. 56).

Natürlich könnte man hier und dort Fragen stellen. Schw.
sieht selbst, daß weder Ekklesiologie noch Christologie bei
Matthäus systematisch durchdacht sind und man sich darum
„nicht wundern (dürfe), wenn Aussagen nebeneinander stehen
, die sich nicht vollständig entsprechen" (S. 65). Das
trifft ohne Zweifel zu; und darum scheint es mir wichtiger,
statt Einzelkritik zu üben, auf die eindrucksvolle innere
Geschlossenheit des Entwurfs Schw.s hinzuweisen, zumal
er mich durchweg überzeugt.

Das abschließende Kap. 10 (Die Kirche des Matthäus,
S. 138—170) hat noch einmal zusammenfassenden Charakter
, zugleich aber den eines Ausblicks. Der Evangelist stand
in einer „Petrus-Tradition" in judenchristlicher Umgebung
im syrischen Raum. Seine Gemeinde kennt charismatische
Propheten wie auch Schriftgelehrte und Weise, wobei der
Evangelist „dem vermutlich schon sehr spürbaren Trend zur
Bildung eines eigentlichen Amtes .. . entgegenwirkt" (S. 160).
Von den paulinischen Gemeinden unterscheidet sich die des
Matthäus nicht nur dadurch, daß sie das Gesetz positiv
sieht, sondern auch dadurch, daß sie an „Jesu Geboten wie
an seinem ganzen vorbildlichen Verhalten außerordentlich
interessiert ist und dies auf keinen Fall hinter einer nachösterlichen
Verkündigung zurücktreten lassen kann" (S.162). —
Hier wäre allerdings zu fragen und differenzierter zu klären
, wieweit dieser Rückgriff auf den „vorösterlichen" Jesus
spezifisch matthäisch und nicht vielmehr für den gesamten
Zweig der synoptischen Tradition kennzeichnend ist. — Das
Kap. schließt dann mit einem Ausblick auf das Nachwirken
von Motiven der matthüischen Gemeinde ins 2. Jahrhundert
hinein.

Für alle, die mit dem Kommentar von Schw. arbeiten
wollen, bietet dieses Buch eine ausgezeichnete, beinahe unentbehrliche
Hilfe (nicht zuletzt auch dadurch, daß es durch
ein Stellenrcgister leicht benutzbar gemacht wird). — Erwähnung
verdient aber auch dieses: Das Buch vermittelt
ein Bild des Theologen Eduard Schweizer, der in seiner Auseinandersetzung
mit anderen Meinungen beispielhaft vornehm
verfährt, dem es darüber hinaus aber gelingt, sich so
in das Denken und Arbeiten anderer einzufühlen, daß die
sachorientierten Beiträge, die er Kollegen und Freunden in
Festschriften usw. gewidmet hat, zugleich in erstaunlicher
Weise persönlichen Charakter tragen (vgl. S. 77 Anm. 20;
S. 78; S. 86; S. 105; S. 116; S. 126). Man wird lange suchen
müssen, bis man ein weiteres Beispiel dafür findet, wie ein
Buch nicht nur auf den Schreibtisch, sondern auch ins Herz
seines Verfassers blicken läßt.

Münster Willi Marxsen

Delorme, Jean [Hrsg.] : Le minislcre et les ministeres selon
le Nouvcau Testament. Dossier exegetique et reflexion
thelogique par P. Bony, E. Cothenet, J. Delorme, H.
Denis, P. Dornier, A. George, P. Grelot, A. Jaubert, S.
Legasse, A. Lemaire, X. Leon-Dufour, Ch. Perrot, B.
Sesboüe, M. Vidal. Paris: Editions du Seuil [1974]. 541 S.
8° — Parole de Dieu, dir. par X. Leon-Dufour.

Der Band bietet eine Sammlung von Arbeiten prominenter
katholischer französischer Neutestamentier und systematischer
Theologen, die aufschlußreichen Einblick geben in die
innerhalb der katholischen Kirche geführten Diskussionen
über das Verständnis des Wesens und der Aufgaben der
Kirche, ihrer Ämter und Dienste.

Im ersten Hauplleil wird die f ülle der neutestamentlichen
Hinweise auf das Thema in Einzelaufsätzen untersucht (A.
Jaubert, P. Grelot, A. Lemaire behandeln die paulinischen

Theologische Literaturzeilung 101. Jahrgang 1976 Nr. 12