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Ausgabe:

1976

Spalte:

891-906

Autor/Hrsg.:

Kaltenborn, Carl-Jürgen

Titel/Untertitel:

Das Leben der mündigen Kinder Gottes 1976

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Theologische Lileraturzeitung 101. Jahrgang 197G Nr. 12

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Die Version des Markus enthalt mehrere Informationen, „but not

.....■ h to prevenl Luke froni being able to form quite another scene

from these facts".

17 J. Hohde, (vgl. Anm. 2) S. Öl: „Neuerzählung der Wunder-
gcschichten durch den Evangelisten Matthäus".

18 Mehrere Forscher haben mit guten Gründen behauptet, daß eine
von unseren Evangelien ziemlich unabhängige Tradition noch weithin
in das zweite Jahrhundert gelebt hat. II. Köster, Synoptisch»
Uberlieferung bei den apostolischen Vätern, Berlin 19.17 (= Texte und
Unters. G5) mag etwas übertrieben haben, aber mit Recht sagt B.
McL. Wilson in einer Anmeldung von Kösters Werk (NTS 5,
1958—59), S. 144: „For our Synoptics were not the earliest, nor the
only sources, from which a writer at the beginning of the second
renlury could derive „Synoptic tradition".

19 Vgl. H. Ph. West, A Primitive Version of Luke in the Comp-
osition of Matthew, NTS 14 (1967-68) S. 78: „Many scholars have
depended on Q as a working postulate because . . . But for all the
jtssnmptions about its origin, contents or history, Q has remained a
lilerary ghost. Continued study has produced increasing uncerlainty
os to the precise form and content of Q. Many scholars bave been
reduced to using „Q" purcly as a symbol for the non-Markan
matciial common to Matthew and Luke".

20 Vgl. Joachim Jeremias, Zur Hypothese einer schriftlichen
Logicnquelle Q ZNW 29 (1930) S. 98-99.

2t Vgl. M. Black, An Aramaic Approach to the C.ospel and Acts,
3. Aufl. 1967.

22 Ein solches Beispiel ist „Wellhausen's brillianl conjeeture"
(Black S. 2) daß Mt 23,26 (KaßoiQioov) und Lk 11,41 f 86te
iXet]fioavvt}v) auf eine fehlerhafte Übersetzung bei Lukas beruht.
Man knnn aber entgegnen, die Lukanische Version paßt doch sehr gut
in die Anschauung des Lukas.

23 Vgl. C. St. Petrie, „Q" Is only what You Make it, NT (1959).
In einem Artikel in NTS 14 (19G7-68), The Authorship of the Gospel
According to Matthew, S. 32 verweist P. auf diese Darstellung und

schreibt: „FJse-where I have given reasons in detail for the view
that the quest for the hypothetical „Q" bids far the rank as one of the
most fuliie pursuils of synoptic criticism. „Q" . . . should be wholly
forgollen and promplly despatched (hand in band with John the
Eider) to the limbo of forlorn hypothesis."

24 D u p o n t ißt (wie in Anm. 13 bemerkt) der Meinung, daß die
Matthäusversion die ursprüngliche sei, und daß die Darstellung des
Lukas eine freie Bearbeitung des Evangelisten sei. Umgekehrt meint
J. P. Brown (The Form of „Q" Known to Matthew, NTS 8
(1961—62), S. 27ff.), daß Lukas die ursprüngliche Version habe: „In
contrast, the violence with which Ml must be assumed to have
treated the text of Q, both in order and context, is very great". Eine
solche Gewalt will B. dem Evangelisten nicht zutrauen, sondern meint,
daß Matthäus „a Churoh revision of Q" benutzt hat, die auch in
Evangelicnzitaten der alten Kirche bewahrt ist. „Those sayings have
undergone catechetical interpretation in all cases except (happily for
the historian!) in the Gnspel of Luke." (Synoptic Parallels in the
Epistles and Form-History, NTS 10, 1963, S. 48.)

35 In einer Skizze, The Q-Problem Reconsidered, Novura Testamen-
lum, Suppl. 33, 1972, S. 43—59 (Studies in New Testament and Early
Christian Literature. Essays in Honor of A. Wikgren), habe ich diese
Texte besonders behandelt und den Versmii gemacht, zu zeigen, daß
es sich lohnt, sie einmal zusammen zu untersuchen.

Daß auch textkritische Fragen in die synoptische Analyse hineingezogen
werden müssen, habe ich in einer Studie gezeigt, die in New
Testament Studies, Vol. 22, 1976, S. 159-179 veröffentlicht ist, The
Parablc of the Chüdrens Game. Hier ist es ganz durchsichtig, daß der
in den Normal-Ausgaben bevorzugte B-Text weder in Matthäus 11,16
noch in Lukas 7,32 der authentische sein kann. Der B-Text ist nämlub
ein Lesetexl, d. h. der Schreiber hat sich nicht nur darum bemüht,
seine Vorlage treu abzuschreiben, sondern wollte auch einen Text
liefern, der deutlich war und den Anagnostes nicht in Verlegenheit
brachte, d. h., er bringt einen wirklich guten Text, nicht nur ein
Pedantenprodukt.

Das Leben der mündigen Kinder Gottes

Zur Theologie bzw. Ekklesiologie Adolf v. Harnacks*
Von Carl-Jürgen Kaltenborn, Berlin

Am 7. Mai dieses Jahres wäre Adolf von Harnack
125 Jahre all geworden, der Kirehenhisloriker, der zeitlich
nach Schleierinaeher und vor Bonhoeffer wohl der bedeutendste
Berliner Theologe gewesen ist. Grund genug, sich
auch in diesem Bahmen seiner zu erinnern.

Im Jahre 1907 schreibt A. v. Harnack in einem „Offenen
Brief" an Marlin Bade1:

„Unsere Laien empfinden das Kirchliche als etwas Technisches
, was allein die Pastoren und die Kirche angeht, oder
als elwas letztlich doch nicht ganz Wahrhaftiges, mit dem
sie sich nicht einlassen dürfen, oder als beides. Zu ändern
ist daran, soviel ich sehe, gar nichts. Ich habe es 30 Jahre
versucht und die geschichtliche Macht, die dahintersteht, für
besiegbar gehalten. Es geht nicht."

In diesen Zeilen macht sich eine tiefgehende Besignation
an der empirischen Kirche bemerkbar. Und die Frage, die
sich erbebt, lautet: Was hat es mit dieser „geschichtlichen
Macht" auf sich, die es mit sich bringt, daß „das Kirchliche"
als etwas bloß „Technisches" bzw. „letztlich doch nicht ganz
Wahrhaftiges" erscheint? Wodurch ist diese „geschichtliche
Macht" inhaltlich bestimmt?

In die gleiche Bichtung weisen Fragen, die Harnack —
20 Jahre später, im Bahmen seiner Bonner Gastvorlesung,
im Mai 19262 — wie folgt formuliert hat:

„Wann ist jemals in der Geschichte eine Beligion zum
Siege... gekommen durch ihr Eigenes und Bestes? Wird
die große Mehrzahl der Menschen wirklich von dem Guten
und der Wahrheit erfaßt und ergibt sich diesen Mächten?
Siegt das innere Leben auf dieser Erde über das äußere?
Kommt hienieden das Seelenerschütternde und Heilige
zu . . . Ansehen und Macht ohne irdische Hilfsmittel? Diese
Fragen aufwerfen" — so fährt Harnack fort — „heißt sie
verneinen. . . . Also muß diese Kirche .. . eine Größe sui
generis und zugleich synkretistisch gewesen sein."

* Feslvorlesung an der Sektion Theologie der Humboldt-Universität
Berlin aus Anlaß des 125. Geburtstages von A. v. Harnack.

Derselbe Gedanke — entwickelt in der Auseinandersetzung
mit Karl Holl — taucht dann noch einmal in der
Gedächtnisrede für Holl3 im gleichen Jahre auf:

„Waren es nicht immer die zweiten Gründe und die zweiten
Motive, die die Massen bezwungen und den Sieg in der
Welt herbeigeführt haben . . . Das Christentum verdankt seinen
Sieg in der Welt seinem Synkretismus."

Daß es sich bei dieser Frage keineswegs um ein peripheres
Problem handelt, mag seinen Beleg darin haben, daß sich
D. Bonhoeffcr noch 17 Jahre später in einem Brief aus der
Haft aus Anlaß des Beformationstages 1943'' an die Auseinandersetzung
zwischen Holl und Harnack darüber, „ob
die großen geislesgeschichtlichen Bewegungen sich durch ihre
primären oder ihre sekundären Motive durchsetzen", erinnert
und hinzufügt: „Damals glaubte ich, Holl, der das
erste behauptete, müsse recht haben. Heute denke ich, daß
er unrecht halle." Da diese Erinnerung assoziativ angeschlossen
ist an Bonhoeffers Frage, „warum aus Luthers
Tat Folgen entstehen mußten, die genau das Gegenteil von
dem waren, was er wollte", wird evident, daß wir uns mit
dieser Unterscheidung von sekundären und primären Motiven
im Bereich zentraler theologischer Fragen bewegen.

Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück, was es mit
der „geschichtlichen Macht" auf sich hat, die „das Kirchliche
" als etwas „letzlich doch nicht ganz Wahrhaftiges" erscheinen
läßt: Flankiert von der Harnackschen Unterscheidung
von sekundären und primären Motiven, von dem
Eigenen des Christentums und seinem Synkretismus, die
dem geschichtlichen Nachweis dient, daß es gerade nicht das
dem Christentum Eigene, sondern sein Synkretismus gewesen
ist, der ihm zum Siege verholfen hat, kann die
These gewagt werden, daß in der „geschichtlichen Macht",
die das Kirchliche als „letztlich doch nicht ganz Wahrhaftiges
" erscheinen läßt, wie in dem beobachteten Synkretismus
des Christentums, der ihm Durchsetzungsvermögen verliehen
hat, der Drang nach der Demonstrierbarkeit des
Evangeliums wie nach der Selbsteihaltung der Kirche zum
Ausdruck gebracht ist. Siegen kann die Kirche tatsächlich
nur mit Hilfe des Synkretismus, dadurch, daß sie den ihr
anvertrauten Auftrag der Evangeliumsverkündigung durch