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Ausgabe:

1976

Spalte:

875-877

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Barth, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Der emanzipierte Teufel 1976

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 11

876

liehen Trauerkundgebung des Barock ist (,,Was haben
Wir ihnen Schon entgegenzusetzen als unser .angemessenes
' Schweigen, hinter dem sieh doch öfters Unbeholfenheit
, Unsicherheit oder Verlegenheit verbergen
als Fülle des Herzens?" 385). Martin Kazmaier weist
anter dem Thema ..Denkmale von Papier" einen Zusammenhang
zwischen realem und literarischem,.Denkmal
'" nach, der z. B. für die konkrete Analyse von LP
frucht bar gemacht «eitlen kann. I He ,,Musikbeigaben in
LP und selbständig überlieferten Sterbekompositio-
iicii". die mindestens nicht in allen Bereichen der Kirchenmusik
zugeordnet weiden können, stellt (i. Schuhmacher
(Kassel) vor. Die Bedeutung der LP für die
Medizingeschichte wird durch drei Beiträge nachgewiesen
: ..Die Fachsprache der LP in ihrer soziolinguisti-
Bohen Funktionalität" (G. Keil. Würzburg), ^Historisch
-soziologische Aspekte des Krankheitsbegriffs und
des Gesundheitsverhaltens im IG.-18. Jh. (anhand von
gedruckten LP)" (O. Döhner jr.. Hannover) und ,.LP
als pharmaziehistorische Quellen" (W.-D. Müller-
Jahncke. Marburg), alle 3 Vorträge eindrüekliche Beispiele
für eine bisher kaum unternommene Art der Auswertung
von LP. Die dabei von Döhner angestrebte
Konvergenz von Soziologie und Geschichte, die auf
kritischer Reflexion der eigenen theoretischen Voraussetzungen
beruht", kennzeichnet dieser in ihrer Bedeutung
dahin: (Sie) ..dient nicht mehr der Rechtfertigung
und Stabilisierung des Bestehenden. Mindern
stellt dieses in Krage mittels der Analyse seiner Vergangenheit
. Die historisch-soziologische Darstellung
des Gesundheitsverhaltens der Bevölkerung in einer
früheren Zeit fördert so die Soziologie des Kranken und
des Patienten in der Gegenwart" (467).

Ausführungen über Anliegen und Aufbau der Ausstellung
(U. Bredehorn und R. Lenz) sowie deren Verzeichnis
. Abbildungen auf einzelne Vorträge bezüglicher
Ausstellungsstücke und 7 Karten zum Beitrag
0. Pickls beschließen das reichhaltige Buch, das einem
bisher unterschätzten Quellenmaterial zu einer völlig
neuen Wertung verhilft. Leider stören nicht wenige
Druckfehler.

GreifswaM William Nagel

Barth, Hans-Martin, Flügel, Heinz, u. Richard Riess: Der emanzipierte
Teufel. Literarisches. Psychologische«, Theologisches
zur Deutung des Bösen. München: Claudius Verlag [1974].
170 S. 8°. DM 13,80.

Den Anstoß zur Abfassung des Buches gab die „Teu-
felswelle" in den USA und andern westlichen Ländern,
die zuletzt den Monstrefilm ..Der Exorzist" ausspült,
der Hunderttausende in pathologischen Taumel versetzte
. Zu unserer Genugtuung werden wir im Buch mit
Einzelheiten aus der Geschichte der ..schwarzen Messen
" leidlich verschont. An gelegentlichen Mitteilungen
über Obszönitäten wie Teufelskuß, sexuelle Orgien,
auch mit geschändeten Hostien, hat der Leser wahrlich
genug! Wer in die Greuelgeschichte tiefer eindringen
will, findet literarische Hinweise, so Heinz Flügel.
Satanskult und schwarze Messe, 1964: Gerhard Zacharias
. Das Böse, 1972 : ders.. Satanskult und schwarze
^hsse. 1970.

Im Vorwort wird der etwas reißerische Titel entmythologisiert
: die drei Bearbeiter beschäftigte „weniger
der Teufel als der Mensch, der an den Teufel
,glaubt"'. Es begegnet uns nur selten „der" Böse, um
so mehr aber das Böse. Auf einer einzigen Seite behandelt
Barth etwas eingehender die Frage „der" oder
„das" (S. 122). „Daß das Böse auf mich bezogen ist,...
auf mich zielt, mach ich mir klar, indem ich .den1

Bösen denke. Zugleich darf .der' Böse nicht gedacht
werden ohne .das' Böse; sonst könnte es dem Bösen
gelingen, sich hinter seinem eigenen Bild zu verstecken".

Der Literat Heinz Flügel schrieb den ersten Teil des
Buches: Begegnung mit dem Bösen in der neueren Liters
! in. Aul ihn gehen wir et was naherein. Neben Frankreich
, das alte ..klassische" Land des Satanismus. ist
zunehmend in den Jahrzehnten England getreten Namen
von französischen Literaten aus älterer Zeit sind
U. a. Baudelaire. Huysman, Valery, Gide aus neuerer
Zeit Paul Ricocur, Jean Jenet, Pierre Klossowski. Von
Engländern weiden neben dem schon 1894 verstorbenen
Stevenson J. Green und S. J. Lewis näher behandelt
. Aus Bereichen der Subkultur in England lägen
wüste satanist ische Berichte vor. Flügel vermutet einen
Zusammenhang zwischen PuritanismüS und Satanismus
, natürlich als Protestbewegung. Nennen wir noch
einige andere Namen: den 1967 verstorbenen Brasilianer
J. G. Rosa, den gebürtigen Polen Kolakowski, in weitem
Abstand von ihnen Th. Mann, dessen Teufel im
„Doktor Faustus" im Vergleich etwa mit französischen
Kreationen als harmlos erscheint. Doch ist die
undifferenzierte Aufreihung von Namen so unbefriedigend
, daß wir besser abbrechen. Unter den Genannten
und Ungenannten sind auch indirekte Apologeten
des Christentums. Die häufige Verbindung von Sexus
und Porno mit dem Satanismus bedarf gewiß nicht der
besonderen Hervorhebung, wohl aber die naheliegende
Vermutung, daß die extrem auswuchernde Bosheitsmacht
im Menschen dem Verlust des christlichen Glaubens
korrespondiert.

Wir vermuten, daß Flügel den gehaltvollen Essay
von Heinrich Schirmbeck, Die Wiederkehr des Teufels
(in H. Friedmann und O. Mann, Christliche Dichter
der Gegenwart. Heidelberg 1955. S. 445-455), nicht
kennt. Es wäre schade, wenn er der Vergessenheit anheimfiele
, allein schon wegen seiner Information über
den späten Herbert George Wells, den einstigen kämpferischen
Rationalisten und Agnostiker Voltairescher
Prägung, dem in einer Altersschrift als Feind aller
Moral und kulturellen Aufwärtsentwicklung der geheimnisvolle
,Antagonist' begegnet ist. Schirmbeck
sieht Wells auf einer Linie, die von Blake über die Puritaner
zu den Katharern führt, was eine Parallele bei
Flügel in der Annahme einer Verwandtschaft /.wischen
Puritanismus und Satanismus hat. Im Literaturverzeichnis
bei Flügel kann man finden, daß die Masse des
satanistischen Schrifttums ins Deutsche übersetzt ist.
Eine Sonderstellung unter den Unternehmern seheint
der Merlin-Verlag in Hamburg zu haben.

Über die beiden andern Hauptbeiträge unseres
Buches wird kurz berichtet werden dürfen. Richard
Riess, Teufelsglaube und Tiefenpsychologie, sagt dem
Kenner Freuds und Jungs kaum Neues. Wer aber einer
Einführung in die Tiefenpsychologie unter dem Aspekt
möglicher dämonischer Entartung seelischer Verwicklungen
bedarf, dem sei der Beitrag sehr empfohlen.

Den Schlußbeitrag lieferte Hans-Martin Barth unter
dem Titel: Der Stellenwert des Teufels im christlichen
Glauben. Hier werden alle zur Sache gehörigen biblischen
und systematisch-theologischen Fragen aufgerollt
, in anregender, weitschauender Weise. Der Theologe
kann reiche Anregung finden, vielleicht auch der
praktische Seelsorger. Barth bringt nämlich den bemerkenswerten
Mut auf, die Erneuerung von Ab-
renuntiation und Exorzismus zu erwägen. Ihre alte
Form bleibe tot ! „Exorzismen zum Fenster hinaus
haben wenig Sinn; der Exorzismus bedarf der konkreten
Situation" (164). Entsprechend auch die Ab-
renuntiation! „Ich schwöre ab - dem Streben nach