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Ausgabe:

1976

Spalte:

872-875

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften 1976

Rezensent:

Nagel, William

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 11

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sten Beitrag zur christozentrischen Schöpfungslehre
leistete Eirenaios von Lyon, der in Auseinandersetzung
mit den Gnostiker steht, die dualistisch Leih und Geist
voneinander trennten. Für ihn ist Leib und (leist. Altes
und Neues Testament, Schöpfung und Erlösung untrennbar
miteinander verklammert. Auf die mittelalterliche
Theologie übte August in einen großen Einfluß
aus. Die heilsgeschichtliche Sicht der Schöpfung bei
Irenaus tritt in den Hintergrund, aber erhält sich doch
in Schriftkommentaren. Und auf die Aktivität Christi
beim Schöpfungswerk kommt man jedoch bei Trini-
tätsspekulationen (so bei Thomas von Aquin) zu
sprechen. In der Neuzeit tritt an die Stelle des heils-
gesehichtlichen Denkens der Versuch, die Offenbarungswahrheiten
in naturphilosophische Kategorien
zu übersetzen. Es gab für die Christologie keinen rechten
Platz mehr. Erst im 20. Jh. rückt die Dimension
der Geschichtlichkeit ins Blickfeld der Theologie.
Pierre Te-ilhard de Chardin macht somit heute auf die
christozentrische Einheit der Geschichte und der Welt
aufmerksam. Christus umkleidet sich organisch mit der
ganzen Majestät seiner Schöpfung. Er ist hier total
wirksam in allen Bereichen, im natürlichen wie im
gnadenhaften. Nur muß man fragen, welche Stelle die
Sünde in dieser Vision hat. Kür die Heilige Schrift ist
sie der katastrophale Einbruch in die Heilsgeschichte;
der Jesuit Teilbare! scheint sie mehr oder minder nur als
Nebenprodukt der Evolution zu werten.

Der Vf. gellt nicht auf die heutige evangelische
Theologie ein und hat deshalb sehr wenig von dem
Schöpfungsgedanken im heutigen Lehramt zu sagen.
Die Katholische Theologie ist jedoch von protestantischen
Theologen offenbar beeinflußt worden. Ausführlich
mit der Schöpfungslehre befaßte sich zwar das
erste Vatikanische Konzil, aber die heilsgeschichtliche
Sicht hat erst wieder in die Dokumente des Vatica-
num II Eingang gefunden. Und im Gebet der Kirche
wurde der Schöpfertätigkeit Christi immer gedacht.

Am Schluß des Buches betont der Vf.. daß gerade
weil und soweit die Schöpfung durch Christus in Gott
lebt,sie ihren Selbststand, ihren Wei t und ihre Mündigkeit
gewinnt. Echte Mündigkeit der Welt iRt nur dort
möglich, wo ihr gottesgesetzter Wert erkannt wird.
Und mit der Menschwerdung des Schöpfungsmittlers
ist die Endzeit angebrochen. Schöpfung und Kirche
sind deshalb aufeinander verw iesen: diese existiert für
das Heil der Welt, jene findet in der Kirche ihre Erfüllung
. Die Ankunft Christi ist die Offenbai werdung
der Welt als Universum Christi. Die Theologie ist sich
in einem langen Denkprozeß darüber klar geworden,
daß zwar das Heil nicht ohne die Kirche, wohl aber
außerhalb ihrer organisatorischen Verfaßtheit gefunden
werden kann. Da in Christus die ganze Welt auf
Gott bezogen ist, ist auch jeder Mensch, der sich ernsthaft
der Welt zuwendet, auf ihn ausgerichtet

Nybro (Schweden) David I.Wgreu

Brunner, August: Der Sehrilt über die Grenzen. Wesen und
Sinn der Mystik. Würzburg: Echter Verlag [19721. 282 S.
8°. DM 29,—.

Der Verfasser, bereits durch mehrere einschlägige
Veröffentlichungen ausgewiesen, hat mit dem vorliegenden
Buch einen interessanten, neuen Versuch unternommen
, christliche Mystik zu verstehen. Dabei
kann er an Carl Albrecht anknüpfen, der mit seinen
psychologischen und gnoseologischen Arbeiten H».">1
und 1958 einen beachtenswerten Zugang zum Phänomen
der Mystik eröffnet hatte. Zur historischen l'nter-
mauerung der gewonnenen Erkenntnisse stutzt sich

Brunner besonders auf mystische Texte von .Johannes
vom Kreuz und von Marie de l'Incarnation, des öfteren
aucli auf Zitate von Jan van Ruysbroeck. Auch andere
Formen der Mystik, vor allem der islamischen und
der indischen, werden Vergleichsweise herangezogen.

Wie für alle Mystik, so gib1 auch für die christliche
Mystik die Defiiiition C-Albrechts: ...Mystik ist das
Ankommen eines Umfassenden im Versunkenheitsbe
wußtsein''. Im Unterschied zu den verschiedenen
Typen kosmischer und monistischer Mystik, wie sie auf
dem lioden der Antike und im Raum der nicht elu ist ■
lichen Religionen auftraten, ist iif der christlichen
Mystik das ..Ankommende" personenhaft. Nicht on-
tische Verschmelzung, sondern personale (lemeinsehaft
bildet ihr Ziel und macht sie zur theistischen Mystik.
Tu ihr gehl es nicht darum, daß zwei Subjekte. Gott
und Mensch, ineinander verfließen, sondern vielmehr
darum, daß sich beide miteinander vereinigen.

Die ein ist liehe Mystik unterscheidet sieh von der
neuplatonischen und den ihr verwandten Formen ferner
dadurch, daß ihr eigentliches Wesen Verwandlung,
nicht Erkenntnis heißt. Die Erfahrung der Liebe
Gottes läl.'it den christlichen Mystiker „nicht in sein,
eigene Innerlichkeit gebannt" bleiben. ..So weltabgi
wandt er scheinbar leben mag. mit Christus lebt er für
die Erlösung der Welt." Mystische Beschaulichkeit und
tätiges Leben bilden Letztlich eine unlösbare Einheit.

In Mystik. Liebe und In-der-Welt-Sein tritt nach
Brunner eine einheitliche Grundstruktur des Mensch-
seins zutage, die er mit Albrccht als ..Offenstand" bezeichnet
. Letzterer hat seinen Grund in der Geschöpf-
lichkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, der
nur durch die Gemeinschaft mit dem Schöpfer seim
vollkommene Selbst Verwirklichung finden kann. Im
Sinne christlicher Mystik erreicht der Mensch seine
personale Einheit und Ganzheit durch das Sein-Iür-
Gott, dem das In-der-Welt-Sein ein- und untergeordnet
wird.

Nur beiläufig berührt Brunner die Frage nach einei
evangelischen Mystik. Ohne auf die innerprotestantischen
Diskussionen um dieses Thema näher einzugehen
, vertritt der Vf. die Meinung, daß cvangelischer-
seits häufig nicht genügend ..zwischen Naturmystik
und monistischer Mystik einerseits und Mystik der
Gemeinschaft andererseits" unterschieden wird. Ge-
meinschaftsmystik aber setzt die Gnade voraus. Geschichtlich
ist dabei auf die Tatsache zu verweisen, daß
es auch im Protestantismus Mystik und Mystiker gegeben
hat.

Der Versuch des Vfs.. Sinn und Wesen der Mystik
im Christentum neu zu bestimmen und zu beschreiben,
verdient zweifelsohne Anerkennung. Gelegentlich findet
man es freilich als schade, daß nicht ein größeres
frömmigkeitsgeschichtliches Material ausgewertet worden
ist. Kine Einbeziehung der ..Deutschen Mystik"
hätte sicher zu einer Ergänzung und Vertiefung der in
diesem Werk entfalteten Gedanken beigetragen.

Mnrl'iiru (I.nlin) Winfried /.eller

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Lenz. Rudolf [Hrsu.): LeirhenprriJiglen als Quelle historischer
Wissensehaften. Köln-Wien: Böhlau 1975. XI, 557 S., 20

Taf., 7 Ktn gr. 8 = Erstes Marburger Personalschriften-
symposion. Forschungsschwerpunkt Leichenpredigten. Lw.
DM 85,—.

Der Titel überrascht: denn wir sind gewohnt. Leichenpredigten
(= LH) nur in ihrer Bedeutung für