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Ausgabe:

1976

Spalte:

862-864

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Umstrittenes Täufertum 1976

Rezensent:

Mecenseffy, Grete

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Stil

Theologische Literatiirzeitung l'tl. ■lahnrang IltTü Nr. 1 1

862

und ihr Vorkommen in den verschiedenen Ständen,
ihre Stellung zum Eid und rar weltlichen Macht, ihr
Bildungswesen, ihre Lebensform und Mentalität, ihre
Wanderpredigt und Geheimhaltung. Im :!. Kapitel; das
..Im Zeichen des lnissitischen Aufbruchs" steht, untersucht
Moln.ii' das Verhältnis der Waldenser zum Hussi-
tismus. Ergeht auf die Solidarität im Märtrertuin und
auf die Schule zur schwarzen Kose ein. untersucht das
Verhältnis der Waldenser zu den Taboriten, insbesondere
zu Nikolaus von Pilgram und Peter Chelcickv, um
sich schließlich den romanischen Waldensern zu widmen
. Das 4. Kapitel. ..Die Hinwendung zur Reforma-
t ion des 16. Jahrhunderts", schildert die Situation der
Waldenser in der Zeit der lutherischen und schweizerischen
Reformation. Das 5. Kapitel. „Die Botschaft'',
ist der Predigt der Waldenser und ihrer Abkehr vom
..Konstantinismus" gewidmet.

Besondere Erwähnung verdienen folgende charakteristische
Züge des Buches.

1. Molnar ist bemüht, stets den gesamteuropäischen
Aspekt der Waldenscrbewcgung im Auge zu behalten.

2. Er sucht die soziale Tragweite der typischen Lebenshaltung
der Waldenser sorgfältig aus den Quellen
herauszuarbeiten. Die waldensisehen Prediger haben
sich zwar an alle sozialen Schichten gewandt und hatten
in vielen Gesellsehaftsgruppen Anhänger gewonnen.
Der Kern der Bewegung bestand aber aus ländlichen
und städtischen Tagelöhnern, Bäuslern und Handwerksgesellen
. Erst die hussitische Revolution hat ihre
Lage verändert.

3. Beachtenswert ist ferner, daß Molnar alle Informa-
t innen der lnc|iiisit ion einer kfit [sehen Sicht unterwirf!
und zugleich versucht, die inquisitorische Literatur aus
• lein zeitbedingten Zusammenhang des kirchlichen Lebens
der jeweiligen Periode und des in Frage kommenden
Gebietes zu verstehen. Dadurch wird ein bisher
wenig berücksichtigter Aspekt der Inquisitionsvei-
fahren und der inneren Entwicklung der Inquisition
beleuchtet.

4. Die These, daß sich das Waldensertum am Vorabend
der lnissitischen Revolution in Mitteleuropa in
einem Zustand der Agonie befand, zumal die Waldenser
besonders durch die Inquisition des Peter Zwicker stark
dezimiert waren, gewinnt durch die ausführliche Schilderung
der hussitisch-waldcnsisehen Beziehungen im
15. Jh. an Gewißheit. Molnar zeigt, wie das Hussiten-
tum den Waldensern unerwartete Möglichkeiten eröffnete
, die sieji nicht nur in Böhmen, sondern auch in
Deutsehland und in den romanischen Ländern ausgewirkt
haben. Ergeht ausführlich auf die missionarische
Tätigkeit der taboritiseh orientierten .,Treuen Brüder"
der deutschen Waldenser ein. Es entstand ferner eine
romanische Waldenscrliteiatur lnissitischen Ursprungs.
Es handelt sich dabei um einige Schriften des Hus. die
Che rtragung der Confessio Taboi darum des Nikolaus
von Pilgram. Taboritische Manifeste u. a.

5. Molnar zeigt, daß auch die Waldenser die für religiöse
Sekten typischen Züge autweisen, macht aber
zugleich auf ihre Bereitschaft aufmerksam, die Beziehungen
zu anderen, verwandten Bewegungen aufzunehmen
. Diese, den Sekten fremde Offenheit hat die
wirksamen Kontakte zwischen Waldensern im deutschen
Bereich und den tschechischen Uussiten möglich
gemacht und damit die Voraussetzungen geschaffen,
an der religiösen Erneuerung im europäischen Maßstab

mitzuwirken.

6. Neues bringt auch «las Kapitel über die Annäherung
der Waldenser der Alpentäler an die Schweizer
Deformation. Es ist Molnar gelungen, das Porträt der
;>ltwaldensisehen Xonkonformisten Jean de Molines

und Daniel de Yalenee an Hand von Quellen brüderi-
scher Herkunft zu vervollständigen, die u. a. auch für
den jungen Calvin interessante biographische und
psychologische Ergänzungen bringen.

7. Besonders in der französischen Ausgabe macht
Molnar in den letzten Kapiteln den Versuch einer Rekonstruktion
der „Waldensertheologie" bzw. einer Dar«
Stellung ihrer Hauptmotive. Wir finden dort Längsschnitte
, die bis zur Theologie der Böhmischen Brüder
reichen.

Die Konzeption Molnars wirft eine Anzahl von Problemen
auf, ilie im Rahmen der vorliegenden Rezension
nur angedeutet werden können. Die These von den
zwei Reformationen wird nicht unwidersprochen bleiben
. Diskutabel ist ferner der Stellenwert der sozialpolitischen
Fragen im Verständnis der Reformation.
Diskussionsgegenstand bleibt schließlich die Idee des
..Konstantinismus". Molnärs dynamisch-entwicklungs-
gesehichtliehe Sicht kommt jedoch den historischen
Tatsachen näher als eine geschieht slremde statisch-
dogmatische Betrachtung der Reformation, die eine
Gleichsetzung der Lehre des Apostels Paulus. Luthers

und der eigenen Theologie bevorzugt und sieh im Übrigen
mit dem Gebrauch der Begriffe ..Ketzer" oder
„Vorreformatoren" zufriedengibt.

Halte (Saale) Erhard PosihVe

Goerlz, Hans-Jürgen [Hrsg.]: Umstrittenes Täufertuin 1325 bis
1975. Neue Forschungen. Güttingen: Vandenhoeck &■ Ruprecht
[1975]. 314 S. gr. 8°. Kart, DM 50.—.

Das vorliegende Buch will die Entwicklung der Forschung
und Probleme aufdecken, welche die Forschung
hervorruft.

James M. St ayer eröffnet den Beigen mit dem Aufsat
/. „Die Anfänge des schweizerischen Täufertums im
reformierten Kongregationalismus". Dieser Anadruck
macht den Leser stutzig. Könnte man nicht sehlicht
and einfach mit Fritz Blanke sagen: Freikirchentum?
St ayer behandelt Zwingiis Auffassung von der Kirche,
den radikalen Frühzwinglianismus, den Zehnten, den
Bildersturm, die Krwachscnentaufe und die Folgen, die
all dies gehabt hat.

Martin Haas. Herausgeber des 4. Bandes schweizerischer
Täuferakten, hebt einen Zug der Bewegung besonders
hervor: „Den Weg der Täufer in die Absonderung
". Er führt eine von Franz Lau geprägte Bezeichnung
für das Täufertuin ein..,Wildwuchs der Reformation
und weist auf die breite Welle des Antiklerikalismus
hin. Daß der damalige katholische Klerus das
Heilsverlangen der Gläubigen nicht erfüllen konnte, ist
offensichtlich. Die Predigt der an der Bibel geschulten
Täuferapostel sehlug ein. Deshalb wurde die Bestellung
der Pfarrer durch die Gemeinde verlangt. Das Täufertuin
drohte zu einer Massenbewegung zu werden. Verfolgung
und Bestrafung trieben sie m. E. noch mehr in
die" Absonderung als die besonderen Merkmale ihrer
Lehre: Erwachsenentaufe, Verbot des Eides, des Gebrauches
des Schwertes, Verweigerung des Zehnten.

Mit erfrischender Ijcbendigkeit erzählt Heinold Fa st
von den Predigtstörungen („Reformation durch Provokation
"). Blankes Schilderung von der Unterbrechung
der Predigt im Zollikon durch Jörg Blaurock am 2!».
Jänner 1525 leitet den Beitrag ein. Stimmte eine Gemeinde
der Predigt Störung zu, so förderte dies die Bewegung
außerordentlich. Fast zählt zwischen 1522 und
1525 sechsundzwanzig Predigtunterbrechungen (109).

Sehr begrüßenswert ist die Abhandlung Christof
Windhorsts: „Das Gedächtnis des Leidens Christi