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Ausgabe:

1976

Spalte:

859-862

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Dalle origini all'adesione alla riforma (1176 - 1532) 1976

Rezensent:

Peschke, Erhard

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1970 Nr. 11 860

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gene kritische Schlagkraft des gedanklichen Systems
Joachims überbetonen, aber andererseits seine herkömmliche
Katholizität weiter bestehen lassen möchten
. Nach Wendelborn ist die Geschichtstheologic des
Abtes nicht mehr als katholisch zu bezeichnen, weil alle
traditionellen Elemente, deren sie sich bedient, umgeschmolzen
in ein neues Ganzes integriert wurden. In
ein Ganzes, dessen heilsgeschichtliche Dynamik der
Geschichte sozusagen einen offenen Horizont aufzwingt
. Die umsichtige Einführung in Joachims Gedankenwelt
bringt darüber hinaus wertvolle Anregungen
zum Nachdenken über den christlichen Beitrag im
revolutionären Weltprozeß auch unserer Gegenwart.
Das beigefügte Quellen- und Literaturverzeichnis gewinnt
an Nützlichkeit, wenn man die S. 183-18!» abgedruckte
und gut übersichtliche Behandlung der
Quellenfrage heranzieht. Unberücksichtigt scheinen
folgende Arbeiten von Ruth Kestenberg-Gladstein geblieben
zu sein: A fifteenth-centurv polemic against
Joachism and its background (Journal of the Warburg
and Courtauld Institutes XVHI/19Ö5, S. 246-295); A
Joachimite Prophecy concerning Bohemia (The Sla-
vonic and East European Review XXXTV/1956, S. 34
bis 55).

Prag Ameileo Jlolnar

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

1. Molnar. Amedeo: Valderisti. Europsky roznier jejich vzdoru.

Prag: Kaiich 1973, 327 S.

2. Gönnet, Jean, et Molnar, Amedeo: Les Vaudois au Moyen
Age. Torino: Claudinna 1974, 511 S.

3. Molnar, Amedeo: Storia dei Valdesi 1. Dalle origini all ade-
sione alla Riforma. Torino: Claudinna 1974. 370 S.

Die Arbeit Molnärs über die Geschichte der Waiden -
ser liegt z. Zt. in drei Fassungen vor. Die italienische
Ausgabe (3) ist weitgehend mit der tschechischen Originalausgabe
(1) identisch, hat jedoch ein weiteres Kapitel
über die mittelalterliche Literatur, die aus der
Waldenserbewegung hervorgegangen ist, ferner eine
wertvolle Ikonographie sowie übersichtliche Karten
zur Ausbreituno der Waldenser in den verschiedenen
europäischen Ländern. In der französischen Fassung (2)
hat Jean Gönnet diejenigen Kapitel verfaßt, die den
Jahren 1173 bis 1218 gewidmet sind, ferner das Kapitel
über die Waldenserlitcratur. Die französische Ausgabe
enthält eine vollständige Bibliographie und zahlreiche
Anmerkungen, die in der italienischen Ausgabe reduziert
wurden und in der tschechischen Originalausgabe
völlig: fehlen bzw. durch eine bibliographische Übersicht
am Ende des Bandes ersetzt wurden. Wissenschaftlich
ist demnach die französische Ausgabe am
brauchbarsten, während die beiden anderen Fassungen
den Vorteil der einheitliehen Sicht Molnärs haben.

Zur tieferen Würdigung des Buches möchte ich
einige Bemerkungen zur theologiegeschichtlichen Stellung
des Verfassers voranstellen. Seiner Geschichtsschreibung
liegen mehrere religions- und theologiege-
schichtlich wirksam gewordene Kräfte zugrunde, die
durch eine synthetisch wirksame Persönlichkeit zur
produktiven Gestaltung eines eigenständigen Geschichtsbildes
geführt haben.

An erster Stelle möchte ich die durch penteliehe,
kirchliche und akademische Bindungen bedingte Aufgeschlossenheit
Molnärs für die religiöse und soziale
WeH der ..Ketzer" nennen, einer in vergangenen Jahrhunderten
verfemten religiösen Minderheit, vornehm«

lieh der Waldenser und der Böhmischen Brüder. Die
Sympathie mit den Ketzern, verstärkt durch die religiös
-nationale Bindung an die geistige Weh der Hus-
siten, ist jedenfalls ein unverkennbares, in dem umfangreichen
Schrifttum Molnärs wahrnehmbares Mot iv.

An zweiter Stelle erwähne ich den unmittelbaren
Einfluß des bedeutenden tschechischen Historikers
F. M. Bartos, der, an J. Göll anknüpfend und in der
humanistischen liberal-kritischen Welt A. von Har-
naeks beheimatet, von unermüdlichem Arbeitseifer beseelt
, in sorgfältiger philologisch-historischer Sichtung
der Quellen den I lussit isnuis durchforschte und in /.ahllosen
kritisch-gestaltenden Beiträgen. Hücheln und
Aufsätzen mit mancher mutigen Hypothese erhellte.

Drittens ist der Einfluß des bekannten tschechischen
Dogmatikers J. L. Hromädka zu nennen, der
Molnar den Blick für die theologischen und theologiegeschichtlichen
Grundfragen geschärft hat. Während
sich die tschechische Kirchengeschiehtsschreibung zuvor
weitgehend in historisch-positivistischen Bahnen
bewegte, hat Molnar erkannt, daß der (leistes- und
Dogmengeschichte eine zentrale Stellung in der Kirchengeschichtsschreibung
zukommt. Er verbindet. und
das zeigt sich auch in seinem Letzten Werk über die
Waldenser, mit einer soliden kritischen Quellenforschung
« ine umfassende theologiegeschichtliche Schau
und zugleich einen nüchternen Blick für die spczialpoli-
i ischen und soziologischen Fragen der Geschichte.

Eine grundlegende These seiner Geschichtsbetrachtung
ist die Unterscheidung zwischen zwei Reformationen
. Unter der ersten Reformation versteht Molnar
den breiten Strom der Bestrebungen um eine Erneuerung
der Kirche, die teils in ihrem Inneren, teils durch
Abfall von ihrer römisch-katholischen Gestalt wirksam
wurden und den Zeitraum vom Ende des 12. bis etwa
Ende des 16. Jhs. umfassen. Dieser Strom kam vorübergehend
zu europäischer Wirksamkeit im Walden-
sertum, sodann in der hussitisehen revolutionären Bewegung
und in erheblichem Maße in der Unität der
Böhmischen Brüder. Ihrer Verkündigung sind esoha-
tologische, gesetzliche und soziale, manchmal revolutionäre
Züge eigen. Sie war volkstümlich und vereinigte
Bekenner, die weitgehend aus den niedrigsten
Bevölkerungsschichten stammten.

Die zweite Reformation, das Werk der Reformatoren
des Hj. Jahrhunderts, knüpft an die paulinische Frömmigkeit
an. Der gesetzliche Anspruch des Kvangeliiims
tritt hinter der Gnadenverkündigung und der Gabe der
christlichen Freiheit zurück. Die eschatologisehen
Ideen verengen sich in Meditation über das persönliche
ewige Leben und verlieren an sozial-ethischer Tragweite
. Die zweite Reformation unterscheidet sich von
der ersten vor allem in ihrem sozialen Gepräge. Sie war
in sozialer Hinsicht konservativ und fand größtenteils
in Kreisen des jungen Bürgertums zur Zeit des beginnenden
Verfalls des Feudalismus Widerhall. Obwohl
Molnar den höheren theologischen Wert der Reformation
Luthers anerkennt, schlägt doch sein Herz bei der
ersten Reformation, die den sozialen Belangen des
Christentums stärker gerecht werde.

Damit ist zugleich der historische Standort umrissen,
den Molnar den Waldcnsern zuerkennt. Das 1. Kapitel
seines Buches, ..Valdes und die lombardischen Armen",
behandelt ihre Frühgeschichte von den Anfängen in
Lyon bis zum Bruch zwischen ihrem lombardisehcn
und französischen Zweig auf der Synode in Bergamo
1218. Das 2. Kapitel. ..Zwei .Jahrhundertc eines Lebens
im Untergrund , schildert die Auswirktingen der Inquisition
auf die Bewegung, die Ausbreitung der Waldenser
im Süden. Norden und Westen, ihre Struktur