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Ausgabe:

1976

Spalte:

858-859

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Wendelborn, Gert

Titel/Untertitel:

Gott und Geschichte 1976

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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s.-,7

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 11

858

Rex.), die Hoch genauerer Einzclunt ersuchungen be-
dürfen (S. 180)'".

In einem elegante)! und ausgewogenen Nachwort
schlägt Helmut Kohlen berger die Brücke zur Gegenwart
, ohne es zu versäumen, die für das Mittelalter
eigentümliche Problematik noch einmal kurz nachzuzeichnen
. Das vom Aristotelismus angestachelte Interesse
an Xaturci fahl ung und Experiment führte schon
im platonisicrenden Denken des Frühmittelalters zu
einer Yersclbständigung des Intent ionalcn: Die res
extra und ihr Begreifen von seilen des menschlichen
Geistes sind zwei verschiedene Dinge, die im Xomina-
lismus schließlich immer radikaler eine innere (matc-
riale) gegenseitige Angewiesenheit verlieren. Die Ontotogie
und Wissenschaftstheorie des 13. Jhß. weckte das
Bewußtsein für die systematische Abgrenzung der
Sachgebiete. Der Xonvinalismus provozierte andrerseits
durch seine überspitzte Analyse des wissenschaftlichen
Ausdrucks und einer von der Logik bis ins letzte
besetzten Sprachtheorie die Forderung, sieh im Gebrauch
der Sprache der umgebenden Welt und Wirklichkeit
zu stellen. Johannes Gereon drückte dies mit
den Worten aus: „Loquendum est ut plufes" (S. 210;
117f.)11. Der Theologe, der sieh heute in seiner Arbeit
standig den Problemen der Auslegungskurist und nun
besonders der Linguistik gegenübergestellt sieht, sollte
die Schlußbemerkungen Kohlenbergers aufmerksam
beachten : „Das berechtigte Interesse an der Geschichte
von Logik und Sprachtheorie seihst kann sieh zu einem
differenzierten Verständnis gegenwärt iger Probleme erweitern
" (S. 2DM'.). Doch wird man der Forderung
nicht ausweichen dürfen, bei der „pragmatischen Sicht
einzelner Fragen" anzusetzen, womit das entsagungsvolle
Bemühen um die Einzelforschung angesprochen
ist. Das vorliegende Werk Pinborgs kann beides leisten,
nämlich ein lYolilembewußtsein zu wecken, das sich in
der geschichtlichen Kont inuität bewegt, und eine erste,
grundlegende Ausrüstung zu vermitteln, um die im
Schlußsatz angestoßenen Aufgaben anzugehen. Dafür
verdient der Verfasser Dank.

ÜÖHTt Fritz Hoffmann

I Olc von IM). Böhner in cimlischcr Sprach« verlaute Darstellung ist nlg
Neuansatz für die tieschiehte ili-r i]iitt<'l:i]t€Tli( )icn Lunik In« Ii zu schätzen,
der natürlich ilos Aushaus iiml der Wciterfuhrung bedarf. Vßl. Pli. Boehner:
Kedlevsl Logik. Oxford lt»W. Dazu niciiif Besprechung in: Iii inhe l.ii.-
niturzcitung sl (ll)fi(H *!>1 -41M. Vit], ferner C. l'rantl. tJcsehiehtc der Lunik
im .Aliendlande f II IV, Leipzig 1HIS7 1870. Photomcchanischcr Xaelidnn-k •
Berlin 1956.

•VenerabUU Inoeptorii Quilelmi de Ockhun Summa Logt cm, ed.

PhtlothetU Boehner 0. F. M., (iedeon Oäl O. K. M.. Stephanm Brown.
(BdltionM Instituti Fninciscani diivcrsitalis S. Bonaventiirae, st. Bona-
Ventnre, X. V.: Guilclmi de Oekliam Opera I'lnlo.sophii a et Iheologica.
0|iera l'liilosophiea l. 1074). Zur Krane der Verfasserschaft und Öatierunn
der Siininia lonkae vgl. V. Richter: Zu Oekhams Kiitwickhme '» der l'niver-
sallenlelire. Bemerkunnen im Zusammenhang mit dem l'rolilem der Chronologie
. U.lässungszcit und Authentizität oekhanis ni. htpolitisehcr Sehrilten.
PhJ BS fl97M 177-1S7.

3L. Minlo-I'alllello, Tuelllh ( entliry hogie. TtXi» and Studies 2 Ilde
Ron ItM, 1958.

4 Dam jüngst erschienen: Ulrich Köpf: Hie Anfänge der UwnloatlllWl
>> issensehaftstheorie im 13. .Talirliunilert i Beiträge zur historischen Theolo-
"ie. Bd. Hl) 'Lüllingen UI74. liazu meine Bez. in ThLZ HU. IHTU sp. :.j:t.

' Vgl. V. Iloffmann: Die thcologis.-he Methode ,|,.s Oxforder Dominika-
herlehrers BoIhtI Iloliot. BCI'liMA. X. F..",. Münster l'.i7_' 2:t7 -Iii L.s

6 Vgl. Hoehsletter: Studien zur MetaphytHi und Krkenntnislchrc Wil-
nelnu .....Ockham. Berlin 1927, 21 f.

" Vgl. Ii. (iuelluy: IMdlosophle et Theologie ehez (iuillaumc d'Oekhnm.
'•"uvain l!M7, 157.

, Vgl. I'li. Boehner: The realistie eoneeiitiiallsm of William Ockhttn.
1'radltio 4 (l!i4til S071T. Auch Hoehsletter setzte sieh für Böhners Oekliam-
Interpretation ein. Vgl. ders.: Xominalisnius? Franc. Studies!) (1949)
403. (Die unterschiedliche Schreibweise des Xantens: Böhner - Boehner
'■rgali nieh durch die llliersiedlung des Autors aus dem deutsehen Spraeh-
K' iilet nach den USA.)

' so schon Hoehsletter: Studien ... 41 ff.

10 Für den Ki nihil) des „Averrolsnms" auf die methodische und inhaltliche
"tngcstnltung der l'liilosophie (und Theologiei verweise ich aitl den Beilrag
Vl"> Ii. Hödl: Ober die averrolstisehe Wende der lateinischen Philosophie
'l' -J .Mittelalter» im III. .Unit. UThA.M XXXIX f 1072) 171-204.

II Schon Kotiert Holcol, der seihst die sulitilsic Analyse der theologischen
Aitssage betrieb und diese streng auf die eigentliche ,,vis sermonis" ver-
l'llichtete, bemerkte Jedoch, dal! die Menschen ihre meisten Aussage,, im

M...Ins der I ncigentliclikeit machen: „Pauca ipiippc sunt, ipiac propric
loi|Utintur. plura improprie." Xaeh der Iis. des Royal British Museum
10 0 VI. London, IV Seilt, q. 10, fol. 131 ra 10-11.

logen ,|as überwuchern der Sachprobleme durch eine spitzfindige
sprachtheoretische Kritik nahmen bereits die Magister der Pariser l'niversi-
tät in ihrem Frteil von 13311 40 Stellung. Vgl. Dcnifle-Chatclain ( hartuia-
rium Lniv. I'arisiensis II. u. 1023 u. 1042, p, ftOöf.

Wendelborn, Gert: Gotl und Geschichte. Joachim von Fiorc
und die Hoffnung der Christenheit. Leipzig: Koehler &
Amelang [1974], 300 S. 8°. Lw. M 12,80.

Keine auch nur flüchtige Begegnung mit gesehichts-
theologischen Ansätzen und Zukunftshoffnungen des
Mittelalters kann vom denkerischen Impuls des Joachim
von Fiore (gest. 1202) absehen. Das wurde bereits
von älteren, der mittelalterlichen Kulturgeschichte
gewidmeten Arbeiten wohl erkannt und besonders
eindrücklich durch Einzehmtersuehungen von
E. Benz und E. Bounniuti hervorgehoben. Es fehlte
jedoch an einer ausgewogenen Gesamtschau nicht nur
i ler erstaunlichen Weiterwirkung joachipiitischenErbes,
sondern auch der eigentlichen Struktur der Geschichtstheologie
des kalabrcsischcn Abtes. Beides liegt nun
vor in der vorzüglichen Leistung Wendelborns. An dem
gemeinverständlichen Buche wird der Spezialist zwar
bedauern, daß der Vf. auf belegende Anmerkungen verzichten
mußte, aber er wird ihm eine sehr gründliche
Quellen-Kenntnis und Analyse nicht absprechen können
.

Die hundert Seiten des zweiten Teiles (S. 190-292)
bieten eine geradezu lückenlose Überschau der überraschend
verzweigten Nachwirkungen der Geschichts-
schau Joachims seit dem Mittelalter bis zur neuesten
Geo-enwart. Indem sie dabei nicht nur Einflüsse der
joachimitisehen Heilsgeschiehte. sondern auch Kontraste
, die sie hervorgerufen hatte, sichtbar machen,
wecken sie das Interesse für die ebenso theologisch wie
politisch wichtige Erage. wie sieh der am cschatologi-
m hen Hoffnungshorizont orientierte Christ über die
Grundstrukturen und Gesetzmäßigkeiten geschichtlichen
Lebens Rechenschaft abzulegen hat.

Durch sorgfältige Analyse von Bindung an die Tradition
und Unterscheidung von ihr versucht der Rostocker
Kirchenhistoriker im Hauptteil seiner Arbeit
(S. 13-189) das theologiegeschichtliche Xovuiii an
Joachims Lehre von den drei Weltzeiten zu zeigen.
Dies liegt in der theologiegeschichtlichen Deutung lind
Ausnutzung der Trinitätslehre im Sinne einer steigenden
Entwicklung, die imstande ist , die Kirche in ihrer
derzeitigen Gestalt bis zu einem gewissen Grade zu entwerten
. Freilich darf man sich keine voreiligen Vorstellungen
über Joachims latente Abneigung vor hierarchisch
verfestigten Kirchenformen machen. Die Untersuchung
zeigt an mehreren Stellen, wie sehr das übliche
Bild von Joachims Bibelexegese seine Gedanken
vereinfacht und verzerrt hat. Man muß z. B. die zeitliche
Dauer des dritten Status des Geistes, der dem
zweiten des Sohnes folgen soll, sich als erheblich kürzer
denken als die der beiden früheren Weltzeiten. Geht so
die Bewegung der Entwicklung immer schneller vonstatten
, fühlt sich doch Joachim durchaus in der bestehenden
Kirche zu Hause: „Bibel, Sakramente,
Gottesdienste, kirchliche Hierarchie einschließlich des
Papsttums das alles ist in seiner Gegenwart nicht nur
möglich und erklärbar, sondern geradezu heilsnotwendig
" (S. 154). Immerhin richtet sich Joachims ganzes
Streben nicht auf die Erhaltung des status quo, sondern
auf seine Durchbrechung mittels der Dynamik
des Geistes.

Mit vollem Recht formuliert der Vf. seinen Abstand
gegenüber Forsehern, die zwar die gegenwartsbezo-