Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1976

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

63

die Gestalf der Qnade gestellt werden müssen] Tillich
ollzieht die Identifizierung trot zdem niclit. . ." (S. I üö).
In diesem Zurückschrecken deutet sich Offensichtlich
wieder die Grundschwierigkeit der ganzen kultur-
theologischcn Konzeption Tillichs an, welche immer
wieder zu solchen Identifizierungen drängt, die dann
doch nicht der Wirklichkeit standhalten. So liegt
auch der Ertrag dieser Periode Tillichs wieder in einem
subjektiven Begriff zusammengefaßt, dem flies „gläubigen
Realismus" (S. Ki7f.), welcher eine „Haltung"
meint, welche beides zugleich umfaßt: die Hoffnung
auf den Einbruch des göttlichen Geistes and die
Hoffnung auf eine konkrete „unbedingtere" Form
menschlichen Lebens in der sozialen und kulturellen
Wirklichkeit.

In Kapitel III (S. 174 -203) Eftfit A. die von der
Bmigration Tillichs in die USA 1933 bis zu seinem
Tode 1965 angesetzte längste l'hase seines Schaffens
zusammen. Wenn Tillich nun die horizontalen Soff
innigen auf den Einbruch des Neuen Seins praktisch
fallenläßt und mit dein neuen Stichwort „Entfaltung
der Dimension der Tiefe" Religion und Kultur noch
einmal auf eine ganz andere — uneschatologischc •—
Weise zusammenbringen will, so stehen dahinter eine
gewisse Resignation, die sich seiner in den 50er und
((Oer Jahren bemächtigt hatte, und eine — durch die
andere Umwelt veranlafite — neue Kulturanalyse, die
in der Feststellung gipfelt, dafi die moderne Kultur
bis auf einen untilgbaren Best die Dimension der
Tiefe verloren habe, wobei der Begriff „Tiefe" wieder
eine vieldeutige Metapher darstellt, die zugleich Gott,
das Unbedingte, das unbedingte Ergriffensein etc.
meint. — Von hier aus ist es nun verständlich, daß
Tillich den Einbruch des Neuen Seins nicht mehr
erhofft angesichts neuer sozialer Bewegungen, sondern
vom Aufbrechen und Entfalten der Tiefendimension
her. In „Liebe, Macht, Gerechtigkeit" und dem vierten
Teil der „Systematischen Theologie" schildert Tillich
dieses Entfalten der Tiefe vorwiegend als eine im
„Mut zum Sein" gründende, freilich immer nur „fragmentarische
" Überwindung der „Zweideutigkeiten" der
Kultur durch ein unbedingtes Streben nach Verwirklichung
der Liebe. A. hat recht, wenn er feststellt, daß
Tilllob sich hier wieder dem „Symbolbereich der
traditionellen Theologie" (S. 194) annähert, und „je
stärker er das tut, desto weniger konkret werden allerdings
seine Ausführungen" (S. 194). Die Kulturtheologie
Tillichs scheint auszumünden in eine Ethik
des Liebesgebotes. Doch bleibt etwas Wesentliches
Von <hr Spannweite der früheren Phasen und die
Kontinuität mit ihnen insofern erhalten, als Tillichs
Begriff der „Agape" ontologisch gemeint ist als die
„Alles umfassende Wiedervereinigung des Getrennten"
und das Gleiche ausdrücken soll, was er zuvor mit dem
„göttlichen Geist" und der „Gestalt der Gnade;" sagen
wollte. Insofern ist es sachgemäß, wenn A. gerade vom
Begriff der Liebe her Tillichs Kulturtheologie zusammenschaut
: „Die Agapc ist das letzte und tiefste
Prinzip der Tillichsehen Rthik und Theologie der Kultur
" (S. 202).

A. gibt abschließend (S. 204 215) Grundlinien
für eine Gesamteinschätzung der Kulturtheologic
Tillichs und hebt m. E. zu Recht hervor, daß eine,
große Schwierigkeit und Schwäche die Ungeklärtheit
und Vielschichtigkeit seiner Begriffe ist . A. weist dieses
nach an Hand des Begriffs „Zweideutigkeit" (S. 200),
den Tillich in der „Systematischen Theologie" verwendet
, um die Ambivalenz der Kulturphänomene
zu bezeichnen. Auf die Tillichs ganze kulturthcologische
Konzeption belastende Vieldeutigkeit der Grundform!

64

für das Verhältnis von Religion und Kultur wurde
oben bereits hingewiesen. Ergänzend Wäre hier noch

zu sagen, daß Tillich sieh überhaupt eines übertrieben
umständlichen llegriffsapparates bediente (beispielsweise
iti Gestalt seiner endlosen Typologien) und daß
er wohl überhaupt ein mehr intuitives als rationales

Verhältnis zu seinen Grundbegriffen halte, so dal.!

jene drei für die Kulturtheologie zentralen Begriffe
..Theonoinie", „gläubiger 1,'ealismus" und „Dimension
der Tiefe" nicht so sehr geprägt sind, um objektive
Tatbestände begrifflich zu fixieren, als vielmehr, um
eine subjektive Grundhaltung auszudrücken.

So sieht A. m. E. völlig zu Recht: die aktuelle
Bedeutung der Kulturtheologie Tillichs, «eiche eine
Arl „Ethik des mittleren Weges" (S. 203) darstellen

will, und zwar zwischen dem einen Bxl rem der dialekf i
Sehen Diastaso und dem anderen Extrem einer naiv-
optimistischen Identifizierung von profanen Gestaltungen
und Manifestationen des göttlichen Geistes, wird
für uns vorwiegend konkret, in der persönlichen Mal

tung, die Tillich einnahm, und es ist daher völlig

Sachgemäß, wenn A. abschließend Tillichs Theologie
der Kultur vom Subjektiven her faßt als eine Gral-
wanderung auf der „Grenze" (S. 234) und als ein

Suchen, und zwar..... nach dem Punkt, von dein aus

das Nebeneinander der beiden Größen" — gemeint
sind Kultur und Religion • „überwunden werden kann.

Tillich bat die Schwierigkeit des Verhältnisses in der
begrifflichen Abstraktion nicht gelöst, weil er sie auf
dieser Ebene nicht lösen konnte; und er konnte sie
in der Theorie nicht lösen, weil er letztlich selbst
dieser Lösung als Person im Wege stand. Aber dieses
Im-Wege-Stehen ist auch die Lösung des Problems,
denn im Blick auf das problematische Verhältnis von
Religion und Kultur gilt, was Tillioh im Blick auf das
System der Geisteswissenschaften festgestellt hat. Das
System wurzelt als schöpferischer Denkakt im Denker
selbst und entsteht an dem Schnittpunkt all et geistes-
gesohichtliohen Linien, die notwendig in dem Schöpfer
des Systems zusammenlaufen. Das aber bedeutet, daß
das Verhältnis von Religion und Kultur je neu im
schöpferischen Denkakt konstituiert Werden muß"
(S. 213).

Der vorliegenden Arbeit gebührt hohe Anerkennung.
Gerade weil sie bei aller Verbundenheit mit Tillich
kritisch zu Werke geht und ihn wirklich hereinholt
in gegenwärtige Fragenstellungen, darf sie als sehr zu
beachtende. Förderung der Tillichforschung angesehen
werden, welche Licht hineinbringt in chic der kompliziertesten
Gedankenontwicklungen Tillichs. Zugleich
bietet A. eine Fülle von wertvollen Anregungen zu den
aktuellen Fragen um Kirche und Gesellschaft, nicht
zuletzt deswegen, weil er herausgearbeitet hat, wie
an der liefen Respekt gebietenden Persönlichkeit von
Paul Tillich deutlich wird, dafi auch die persönliche

Haltung des Thealogen ein nicht auszuklammernder

Faktor bei der Verhält nisbcstiminung von Kirche und
Gesellschaft ist.

Rostock Beimut PritMohe

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Zerfall, Rolf: Oer Slreit um die LsJsnsreilgta Eine pastoral-
goschichtlicho Untersuchung zum Verständnis des Predigt -

Hintes und zu seiner Entwicklung im 12. u. 13. Jahrhundert
. lYsiburg-Basel-Wicn: Herder |ll»74], 400 S.
H" Untersuchungen zur praktischen Theologie hrsg.
v. A. Kxelor 2. Kart. DM 70,—.

Diese grundgelehrte Untersuchung dos Würzburger
Pastorall heologen erweist schon in Ihr CD 1220 oft

Theologische Literaturzeitung 101, Jahrgang 1978 Nr. I