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Ausgabe:

1976

Spalte:

837-839

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bartchy, S. Scott

Titel/Untertitel:

Mallon chresai 1976

Rezensent:

Stuhlmacher, Peter

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1970 Nr, 11

838

Bartchy,*. BoOtt: WAAAON A7 7/1.1/: First-Cenlury Slavery
and the Interpretation of 1 Corinthians 7:21. Puhl, for The

Seminar on Paul. Cambridge, Mass.: Society of Tiiblical Lite-
rature 1973. IX, 199 S. 8° = Dissertation Series, ll.s 2.50.

Günter Klein hat in ..Verkündigung und Forschung"
(Heft 2. 1973, S. 51 Anm. 21) über die ,.nicht ver-
stummende(n) Fehldeutungen'' von 1Kor 7,21b geklagt
, welche den bekannten Halbvcrs nicht mit z. B.
Ulrich Wilckens übersetzen wollen: ,,. . . Selbst wenn
da die Möglichkeit hast, frei zu werden, so bleibe gleichwohl
um so lieber (in deinem Stande)" (Das Neue
Testament übersetzt und kommentiert von Ulrich
Wilckens. beraten von Werner Jetter, Ernst Lange und
Rudolf Pesch. 1970, 580), sondern einen von Paulus bejahten
, sozialen Statusweehsel des Sklaven ins Auge
fassen. Die nunmehr im Druck vorliegende Dissertation
von S.Scott Bartchy wird diese Klage intensivieren
oder besser sehr erschweren, weil sie mit sehr
euten Gründen für das von Klein abgewiesene Verständnis
von 1 Kor 7,21b plädiert und den V. 21 insgesamt
folgendermaßen zu übersetzen räl : ,,Were you
a slave when you were callcd? Don't worrv about it.
But if, indeed, you become manumitted, by all mcans
|as a fireedman] live aecording to [God's calling]"
(8. 183).

Bartchy baut seine Argumentation in füni Schritten
auf. Ein erstes Kapitel informiert über Problem, Geschichte
und eigenes Projekt der Auslegung von 1 Kor
7.21. Bemerkenswert erscheinen mir dabei vor allem
die auslegungsgeschichtliche Übersicht (S.6f), welche
den Streit um das rechte Verständnis unserer Stelle bis
auf Origenes und Johannes Chrysostomus zurückführt,
und die methodologische Einsicht, „that in Order to
solve the riddle of this passage not only must the
grammatica] and oontextual problems be thoroughly
re-examined but also the prevailing assumptions with
Whioh this text hat been apj)roached must be carefullv
tested" (S. 25).

In seinem zweiten Kapitel gibt Bartchy eine vorzüglich
gearbeitete Übersicht über die Institution der
Sklaverei im Griechenland des I. .Iiis. n. Chr. Der
Hauptgewinn dieser Darstellung für die Auslegung von
1 Kor 7.21 ist der, daß Paulus mit seiner Äußerung
hineinzielt in eine zeitgeschichtlich und rechtshistorisch
deutlich umrissene Situation und diese Situation von
seiner eigenen langen M issionstätigkeit und von seinem
handwerklichen Broterwerb in Korinth her (vgl. Apg
18.3) auch kannte. Entscheidend ist dabei vor allem,
daß die die Exegese des Verses bis heute stillschweigend
und selbstverständlich leitende Annahme, Sklaven
hätten damals von sich aus frei zwischen Verbleib
in der Sklaverei und Freilassung wählen können, gar
nicht als historischer Regelfall verifizierbar ist: vielmehr
gilt: „The slave could remain in slavery only as
long as the owner wanted to keep him as a slave. When
the owner decided to manumit him, he became a
freedman whether or not he had been looking forward
to his manumission" (S. 109). Mit seiner Bemerkung
„aber wenn du doch frei kommen kannst" kann der
Apostel praktisch also nur meinen: „aber wenn du
doch freigelassen wirst . . .". Angesichts dieser Sinngebung
des Satzes wird die übliche Passung von V. 21 e
= ,,so bleibe gleichwohl um so lieber (in deinem [Sklaven
-] Stande)" (s.o.) historisch schwierig, ja sinnlos.
Wie aber ist fxäXXay yx"im'< dann zu verstehen?

Bartchy geht dieser Frage im dritten Kapitel seines
Buches nach, und zwar - interpretatorisch vorbildlieh
In drei Schritten. Kr untersucht zunächst die
Theologie und Ethik der von Paulus im 1. Korinther -
brief apostrophierten Pneumatiker. denen man zwar

Enthusiasmus, Sakramentsrealismus, sexuelle Freizügigkeit
usw. nachsagen kann, aber - wie Bartchy
m. E. zu Recht feststellt - keine spezielle Tendenz, zur
Sklavenemanzipation. 1 Kor 7,17-24 sind dementsprechend
nicht der aktuellen Argumentation des Paulus
in 1 Kol'7 zuzuzählen, sondern dienen nur zur
Illustration und Untermauerung der aktuellen, den
Fragen von Ehe, Ehelosigkeit und christlicher Berufung
gewidmeten Argumente des Apostels. In einem zweiten
Arbeitsgang geht Bartchy dann dem paulmischen Verständnis
der Berufung in 1 Kor 7 nach und zeigt, daß
die übliche Gleichsetzung von */.<>,• mit „Beruf und
Stand" eine Wortbedeutung postulieren muß, die in
der Gräzität der Zeit und bei Paulus selbst ganz einzigartig
dasteht. Paulus meint mit xkf,aig gewöhnlich den
eschatologischen Ruf Gottes zur Gemeinschaft mit
dem Gekreuzigten (vgl. J Kor 1,9) und versteht diesen
Ruf nach Bartchy auch in I Kor 7.15. 17ff. als ein zunächst
von allen sozialen Ständen unabhängiges, escha-
tologisches Phänomen. Damit ist die These des Verfassers
vorbereitet, die im dritten Arbeitsschritt durchgeführt
w ird, daß nämlich der Apostel in 1 Kor 7,21c
meine, der betroffene Sklave solle auch im Falle Beinei
Freilassung seine xX^att nutzen. MäXXof /'>>,<"" ist
also nach Bartchy mit rf, xhn>i zu ergänzen und der
ganze Vers folgendermaßen zu paraphrasieren: „Were
you a slave when you were called? Don't worry aboul
it. But if, indeed. your owner should manumit you. by
all mcans (now as a freedman) live aecording to God's
call" (S. 159).

Bartchy iiberprüfl sein Verständnis von I Kor 7,17
bis 24 anschließend in einem vierten Kapitel, das der
gedanklichen und argumentativen Struktur von IKor
7 gewidmet ist. Die Verse erweisen sich dabei endgültig
als Untermauerung der den Fragen von Ehe, Ehelosigkeit
und Jungfrauschaft gewidmeten aktuellen Thesen
des Apostels. Die zur Illustration herangezogenen zwei
Beispiele von Beschneidung und Unbeschnittenheit,
Sklave und Freiem (bzw. Freigelassenem) legen sich
für Paulus nach Bartchy deshalb nahe, weil der Apostel
im Gedanken an das Schema von Gal 3,28 argumentiert
, d. h. von seiner eschatologischen Berufungskonzeption
her, die es in Korinth neu zu konkretisieren
gilt. - Nachdem solchermaßen der Weg zu einem geschichtlich
und theologisch wohliündierten Verständnis
des umstrittenen Passus geebnet ist, bietet Bartchy
im fünften und letzten Kapitel seiner Arbeit eine zusammenfassende
Interpretation von 1 Kor 7,17-24.
und zwar mit folgender Stoßrichtung: ,,...lCor7
does not indicate that Paul had any interest in prevent-
ing changes in the social positions of the Christians in
(lorinth ... Patil's primary conoern was that the Christian
live aecording to his calling froni God whereever he
happened to find himself, that he keep the commands
of God in the midst of his various relationships,
whatever they might be" (S. 182). V. 21b ist dabei zu
verstehen als ein gedanklicher Einschub „long enough
to take aecount of a possible change in the legal and
social status ofthose Corinthian Christians who were in
slavery, namely, manumission", genauer als „a special
npplieation of his basic exhortation in 07,17- 24, namely:
,Bv all means (as a freedman) live aecording to God's
calling" (S. 183).

Ich halte Bartchys Buch in seiner methodischen
Linienführung und Grundthese für höchst beachtenswert
und möchte nur folgende drei Korrekturfragen
stellen: Mir scheint es - erstens - ratsamer zu sein, die
Berichte Philos (Omn Prob Lib 79) und des Josephus
(Ant 18,21) über die Ablehnung der Sklaverei bei den
Essenern angesichts der anderslautenden Auskünfte in