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1976

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Ethik

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Geschichte ist. Wir dürfen unsere Theologie des Heiligen
Geistes nicht „zu einer irrelevanten, unbekannten
Größe des metaphysischen Jenseits degradieren",
sondern wir müssen bezeugen, „daß dasselbe Reich
der Liebe, der Gerechtigkeit, des Friedens und der
Freude, das in Gottes Christus offenbar geworden ist,
in den menschlichen Taten der Liebe und Gerechtigkeit
zur gegenwärtigen Geschichte auf Erden wird" (103).
Hier ist unschwer zu erkennen, wie eine Theologie der
Pneumatologie über die Botschaft vom Reiche Gottes
hinführt zu einer biblisch legitimen Grundlegung
der theologischen Sozialethik.

In seinem Bericht über den GründungskongreO der
Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie schreibt
Hans Norbert Janowski in den Evangelischen Kommen-
taren (1974 Nr. 5 S. 299): „Die Periode großer Schulbildungen
im Anschluß an die Parteiungen der dialektischen
Theologie um Barth und Bultmann ist
weitgehend von einer Phase der Einzelforschungen,
der individuellen Arbeitsprogramme und praktischen
Experimente abgelöst worden." Vielleicht mag dieser
Eindruck noch für diesen Gründungskongreß zutreffen
. Es wäre aber ein großer Sehaden für die theologische
Entwicklung, wenn es dabei bliebe und wenn
sich nicht die Erkenntnis durchsetzte, daß sich schon
hier seit einigen Jahren mit dem Weg zum dritten
Glaubensartikel und zu einer Geist-Theologie ein

neuer Aufbruch ankündigt. Davon sprechen die zahlreichen
Veröffentlichungen zu dieser Thematik und
auch dieser Band hier über die „Wiederentdeckung des
Heiligen Geistes", der mit zu einem Schrittmacher
dieser Entwicklung gehört, die nicht mehr zu übersehen
ist.

Berlin(West) Otto Dilsohneider

Mttller, Hanfried, Bertlnetti, Ilse. u. Traugott Taget: Aus

(duillii'll gerecht. Beitrüge zur Diskussion um die Becht-
fertigungslehre. Berlin: Evang. Verlagsanstalt fl!t":tj.
87 S. gr. 8° — Aufsätze und Vortrüge zur Theologie und
Religionswissenschaft, hrsg. v. K. Schott u. H. Urtier,
58. M 8,90.

Hanfiied Müller formulier 1 das Problem „Theologie
als Wissenschaft" um in die Frage nach dem
Theologen als Wissenschaftler (13—28). Dem Theologen
geht es um die Wahrheit Gottes, „wenn wir
denken «ollen, was wir glauben" (24). Als von dor
Offenbarung Ergriffener treibt, der Theologe Theologie
jenseits von Religionswissenschaft und Spekulation.

Die Wissenschaft in der Theologie soll zur Demut
erziehen, damit aus der evangelischen Geschichte und
nicht aus sieh selbst gelebt wird. — Helmut Fritzsche
vergleicht in seinem Beitrag „Rechtfertigung und
Ethik" die „einlinige Ableitung der Ethik aus der
('brist ologie" mit der „zweilinigen Ableitung der
Ethik aus dem Christusglauben und dem Schöpfungs-
gedanken" (29—40). Das Anliegen, vermittels des
Schöpfungsglaubens unter dem „Aspekt der Zweckmäßigkeit
'" zur Standort findung von Christen und
Kirche beizutragen, ist gewiß überlegenswert. Ob es
in diesem Falle über eine Entsprechung von cleus et
anima hinausgeführt worden ist, bleibt als Frage an
das Gelingen des Unterfangens zurück. — „Das Problem
der vom Hamart io/.entrisehen entschränkenden Verallgemeinerung
der zentralen Termini der Rechtfertigungslehre
" so der Cntert itel wird von Hans-
Georg Fritzsche behandelt (41 49). Dabei werden
auch ..Arbeit". „Sorge" und „Da-nkbarkeit" im Ge-
spräeh mit der Tradition auf ihren Stellenwert für
heutiges theologisches Denken geprüft. — Ilse Bert i-

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netti untersucht das Verhältnis von iustitia propria
mundi und regnum Christi (50—57). Sie gelangt zu
dem Schluß, daß die Glieder der eCClesia /engen für
das regnum Christi auch in der- Welt zu sein haben, die
nicht von den Kräften der ecolesia selbst unmittelbar
zum Wohl der Volksmassen verändert wird. — Die
Verwerfungsformel der 2. Barmer These und die
Zwei-Reiche-Lehre werden von Gottfried Forck ins

Verhältnis gesetzt und am Ende des Beitrags nach
ihrer Bedeul ang für- den Weg von < br isten und K irchen
in der Gegenwart befragt (50 05). Mit der Theologie
Heinrieh Vogels setzt sich Traugott Vogel kenntnisreich
und kritisch auseinander (06— 81). — Rosemarie
Mül 1 er - S treisand erzählt die Versuehungsgesehichte
(Mt 4,1 — 11) in einer' Predigt so lebendig nach, daß
Hörer und Leser in das Hingen um den richtigen Weg

der Gemeinde hineinversetzt werden (82 87).

Wer sich mit dem zentralen Thema der Reformation
beschäftigt, wird dazu auch diese Heinrich Vogel von
Schülern zum 70. Geburtstag dargebrachten Beitrüge
heranziehen müssen.

Berlin Jens Langer

ETHIK

Amelnng, Eberhard: Die Gestalt der Liebe, Paul Tillichs
Theologie der Kultur. Gütersloh: Quteraloher Verlags-
haus Gerd Mohn [1972]. 228 S. 8° — Studien zur evang.
Ethik, hrsg. v. T. Reridtorff, II. E. Tödt u. H.-D. Wcnd-
land, !>. Kurt. DM 48,—.

Absicht dieser in Marburg vorgelegten Habilitationsschrift
ist es, die Kult urt heologic von Paul Tillich
„kritisch" (S. 9) darzustellen und zu untersuchen,
inwieweit hier „Antworten gegen und Lösungen vorgesehlagen
" (S. 31) sind, die für Pr obleme der heul igen
„Sozialethik" tragfähig sein könnten. Genauer gesagt
geht es A. hier um die noch immer problematische
Einstellung der christliehen Kirche zum Phänomen der
Säkularisierung. A. kritisiert in der Einleitung (S. 1 I
bis 42) Vorstellungen, Wonach die Säkularisierung als
ein Vorgang angesehen wird, der den Staat und die
gesellschaftlichen Einriebt ringen verweltlicht, die
Kirche aber im wesentlichen unversehrt hat übelleben
lassen. A. betont demgegenüber: „Nicht nur' die Welt
ist säkular, sondern gerade die Kirche ist säkularisier t
worden" (S. 27), und er wendet sich kr itisch gegen das
auf dem Boden einer Unver sehrt heitsvoistelhmg gewachsene
und die heutige soziale Rolle der Kirche
überschätzende und verzeichnende „Modell des
Gegenübers von Kirche und Gesellschaft" (S. 25) und
stellt fest: „es gibt den Ort des Theologen jenseits der
Gesellschaft nicht" (S. 26). A. möchte stattdessen
als theologische Konsequenz aus dem Vorgang der
Säkularisierung gezogen sehen, daß die Kirche sich
bewußt irr die „Solidarität" mit der' Gesellschaft
hineinbegeben möge. „Die Kirche kann .Diakonie in
der Gesellschaft' nur so üben, daß sie das gibt, was
ihr eigentlich und wesentlich ist, nämlich ihr Heraus-
gerufenseiri aus der Gesellschaft. Ihre Solidarität mit
der Gesellschaft kann nicht ,auf Zeit ' ausgeübt Werden,
sondern kann nur total sein" (S. 27).

Von dieser Position her erwartet A. Hilfe von
Paul Tillieh, der von 1919 au in immer neuen Anlaufen
ZU dem Problem Kirche und (säkulare) Gesellschaft,
und zwar unter den St ich wort en „Religion und Kultur",
Stellung genommen hat. Als ein erster Beitrag dieses
aktuellen und interessanten Versuchs, Tillich in die
heutige Problemdiskussion um Kirche und Gesellschaft

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1970 Nr. I