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Ausgabe:

1976

Spalte:

789-791

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Leuze, Reinhard

Titel/Untertitel:

Die ausserchristlichen Religionen bei Hegel 1976

Rezensent:

Hildebrandt, Bernd

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10

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Arbeit vornehmlich zu verstehen. Darüber hinaus kann
sie aber auch schon als geglückter Entwurf für eine neue
Gesamtdarstellung von Rosenzweigs Leben und Werk
gelten (bisher: N. N. Glatzer, Franz Rosenzweig: His Life
and Thought. New York 19612). Aber ist dessen Werk als
Philosophie treffend bezeichnet? Mayer hat deutlich die
Denkbewegung Rosenzweigs als seinen Weg aus dem
Neukantianismus in die jüdische Theologie beschrieben.
Mit der Einführung des Offenbarungsbegriffes ist die
Philosophie verlassen („Der Stern der Erlösung" handele
„vom gläubigen Wissen", schreibt Hans-Joachim
Schoeps, Franz Rosenzweig und seine Stellung zum jüdischen
Gesetz, ThLZ 80, 1955 Sp. 119). „In der Offenbarung
steigt Gott zum Menschen nieder ... und zum
nächsten Nächsten" (Mayer S. 50). Rosenzweig reflektiert
die „dialogische Erfahrung" des gläubigen Juden. Es ist
darum ein besonderes Verdienst Mayers, die Theologie
Rosenzweigs aus dem Existentialismus herauszulösen
(u.a.S. 160 gegen E. Freund, Die Existenzphilosophie Franz
Rosenzweigs 19592 und gegen J. Tewes, Zum Existenzbegriff
Franz Rosenzweigs 1970). Das geschieht schon im
ersten Teil des Buches (Der Mensch, seine Zeit, sein
Werk S. 9—109). genauer im zweiten (Systematische Erörterung
einiger Grundbegriffe S. 110—180). Das Buch
schließt mit einem Kapitel über Israels Exilsexistenz
(S. 167—180), das nicht so sehr universalgeschichtlich als
vielmehr zeitgeschichtlich und biographisch bezogen ist.
Spätestens hier wird dem Leser die große Bedeutung des
Abschnittes „Zur allgemeinen politischen Lage" (S. 85 bis
94) klar. Wenn Rosenzweig auch nach schwerem Siechtum
schon 1929 starb, hat er doch den Nationalsozialismus bereits
aus der Nähe kennengelernt und mit seiner intensiven
, leider wenig erfolgreichen Mitarbeit an der jüdischen
Erwachsenenbildung reagiert (S. 94—109). Die entsprechende
Besinnung auf die reformatorischen Grundlagen
in der evangelischen Kirche (nicht in der Theologie
) als „politischer Widerstand" setzte später ein und
wurde leider auch nur für eine Minderheit lebenswichtig
. Ein bei Mayer nicht wiedergegebenes Briefzitat ist
für Rosenzweigs Sicht unserer kirchlichen Lage während
der Weimarer Republik sehr erhellend. Er „geht so weit
zu sagen, daß die .Sozialdemokratie, auch wenn nicht religiös
sozialistisch, ja sogar wenn »atheistisch«, für die
Verwirklichung des Gottesreiches durch die Kirche wichtiger
ist als die Kirchen"' (Julius Izhak Loewenstein,
Franz Rosenzweig. ZRGG 17, 1965, 35 = Briefe 1935,
S. 580).

E. König (S. 40 u. 186), Verfasser einer „provozierenden
" Schrift zur Judenfrage 1907, ist der Alttestamentier
Eduard K. (1846-1936), nicht der Dichter Eberhard König
(1871—1949). Die ausnahmslose Abkürzung von Vornamen
, sogar in Bibliographien und Literaturverzeichnissen
, kann verhängnisvoll wirken! — Noch nicht berücksichtigt
ist Guy Petitdemange, Existence et revela-
tion dans les premieres oeuvres de Franz Rosenzweig.
Recherches de Science Religieuse 60, 1972, 365-395.

Berlin Hans Urner

Leuzc, Reinhard: Die außerchristlichen Religionen bei
Hegel. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975. IV,
255 S. gr. 8° ■ Studien zur Theologie und Geistesgeschichte
des 19. Jahrhunderts, 14. Kart. DM 49,-.

Dieses Buch ist die Veröffentlichung einer theologischen
Dissertation an der Universität München vom
Jahre 1972. Mehrere Fragestellungen sind für diese im
Grenzbereich von Theologie, Philosophie und Religionswissenschaft
liegende Arbeit leitend. Einmal ist es die
historisch-kritische Frage, „ob Hegel die von ihm benützten
Quellen bei seiner Darstellung der außerchrist-
'ichen Religionen zu Worte kommen ließ oder ob er sie
zugunsten eigener Begrifflichkeit uminterpretiert hat"

(S. 237). Zum anderen ist es das Bemühen, an Hegel exemplarisch
vorzuführen, daß die Verhältnisbestimmung
von Christentum und der Religion zu allgemein bleibt,
um dem Phänomen .Religion' gerecht zu werden. Schon
hierin kann die Stärke der Hegeischen Religionsphilosophie
und ihre Bedeutung auch für heutige Religionswissenschaft
gesehen werden, „daß nicht nur ein Begriff der
Religion aufgestellt wird, den das Christentum realisiert,
während die anderen Religionen als ihm nicht genügend
disqualifiziert werden, sondern daß dieser Begriff auch
diese Religionen umfaßt —in dem Sinne, daß sie notwendige
Stufen seiner Realisierung sind" (S. 239).

Hegel hat in seiner Religionsphilosophie charakteristische
Eigenheiten der verschiedenen vorchristlichen Religionen
und damit die ganze Breite religiöser Motive herausgearbeitet
, wenngleich er sie seinem Systemprinzip
integriert. Leuze stellt nun insbesondere die Frage nach
der Relevanz der Hegeischen Konzeption als ganzer,
nachdem er immensen Stoff zur Erhellung der Auffassung
Hegels, seiner Quellen wie zur Darstellung der behandelten
Religionen überhaupt ausgebreitet hat. Müsse
auch Hegels Prinzip — die in der christlichen Religion
gipfelnde Entwicklung von der Substantialität zur Subjektivität
als fortschreitende Erhebung des Geistes über
die Natur — als realitätsfremder Systemzwang abgelehnt
werden, so sei doch zu fragen, ob nicht die Bestimmungen
für Hegels Gesamtkonzeption der Religionsgeschichte
eine Gesetzmäßigkeit der immanenten Geschichte
der einzelnen Religionen erfassen könnten
(S. 245). Diese vorsichtig vorgetragene Hypothese läßt
sich erhärten durch das religionsgeschichtliche Material,
das Leuze bei der Besprechung der Religionen auch gegen
Hegels teilweise zwängerische Konstruktionen aufbietet
. So verweist Leuze auf die jüdische Religion (der
Erhabenheit). Die in ihr fehlende Einheit von Natur und
Gott und damit auch die Entzweiung von Mensch und
Natur ist vor allem in der Religionsphilosophie das Argument
, in der jüdischen Religion eine neue Stufe erreicht
zu sehen, wenngleich diese ihre Schranke darin
habe, daß die Macht (Gottes) gegen das Konkrete nur negativ
ist (S. 171). Spiegelbild ihrer Abstraktheit ist die
Partikularität des jüdischen Erwählungsglaubens. Hegel
sehe zwar bei den Propheten diese Partikularität gesprengt
und damit eine Geschichte der jüdischen Religion
selbst, lasse dies aber in seiner Darstellung unberücksichtigt
, weil sonst der für das System „so wichtige Begriff
der Abstraktheit des jüdischen Gottes in Frage gestellt
werden" müßte (S. 179).

Die durch Hegels Prinzipien geprägte Typisierung der
einzelnen Religionen kann wesentliche Momente erfassen
, teilweise aber auch fehlgehen, wie bei der Charakterisierung
der ägyptischen Religion als Religion des Rätsels
(S. 131). Daß wichtige Merkmale aus Systemgründen
entfallen, zeigt Leuze z. B. an der persischen Religion, inwiefern
deren eigentliche Leistung, die Vorstellung eines
einmaligen Geschichtsverlaufs ausgebildet zu haben, gar
nicht zur Geltung komme (S. 125). So zeige auch der Begriff
t'ien (das Prinzip des Maßes) die fragwürdige Charakterisierung
der chinesischen Religion als Religion der
Zauberei (besonders in der Lassonschen Ausgabe). Auch
könne das für die chinesische Religion behauptete Fehlen
subjektiver Freiheit nicht als deren Speziflkum gelten
, sondern sei ein alle alten Kulturen übergreifendes
Phänomen (S. 54).

Treffend hingegen wird die Objektlosigkeit der indischen
Religion durch Hegel vorgestellt, wie sie ihren
Ausdruck findet in der Praxis der meditativen Vertiefung
als Weg und Ziel zugleich. Besonders die Beurteilung
der indischen Religionen ist bei Hegel verwoben
mit aktuellen Problemen. So polemisiert er in einer Rezension
gegen W. v. Humboldts idealistische Bhagavad-
gita-Deutung und unterstreicht hierbei die quietistische
Weltentsagung des indischen Denkens. Daß Hegel ent-