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Ausgabe: | 1976 |
Kategorie: | Religions- und Kirchensoziologie |
Titel/Untertitel: | Neuerscheinungen |
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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10
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„Köhlerglaube" ist im Ruhrgebiet (und auch anderwärts
!) kaum noch anzutreffen. Man bildet sich vielmehr
seine „eigene Meinung" über Glaubens- und Moralfragen
und handelt danach. Gerade auf dem Gebiet der
sexualethischen Fragen (vorehelicher Geschlechtsverkehr
, Ehescheidung usw.) zeigt sich dabei die größte Abweichung
von den kirchlich gesetzten Wünschen und
Normen. Dasselbe gilt für den Problemkreis der gemischt
-konfessionellen Ehe. Nur ein Viertel der Katholiken
lehnt die Ehe mit einem Andersgläubigen ab
(S. lOOff.).
Damit ist nun freilich nicht gesagt, und die Autorin
weist ihre Behauptung immer wieder nach, daß die Religiosität
zu einem lediglich peripheren Phänomen geworden
sei. Der Glaube an Gott bzw. an ein „übernatürliches
Wesen", das größer ist als der Mensch, wird von
ca. 80 Prozent der Befragten bejaht, eine christliche Kindererziehung
als Konsequenz einer bestimmten religiösen
Überzeugung wird als selbstverständlich von den
meisten Katholiken gefordert. Für viele Katholiken bedeutet
der Glaube „Hilfe in Situationen, die sie allein
nicht meistern können, er bedeutet weiter Geborgenheit
und Sicherheit und gibt Hoffnung und Vertrauen" (S. 97).
Insgesamt macht diese Untersuchung deutlich, daß die
vorgefundene Religiosität nicht mehr unbedingt als
kirchlich abhängig anzusprechen ist, da sie die formellen
Erwartungen der Kirche nur noch untergeordnet berücksichtigt
. Nur 21 Prozent der Katholiken im Untersuchungsgebiet
kommen den formellen Erwartungen
nach. Solange aber der Prozeß der Säkularisierung das
subjektive Bewußtsein der einzelnen noch nicht erreicht
hat, wird man durchaus für Religion und mehr oder weniger
auch für Kirche eine Zukunftsbedeutung anzumelden
haben.
Leipzig Gottfried Kretzschmar
Die Frauen in der Kirche (Themenheft Concilium 12,
1976 Heftl).
Schüssler Fiorenza, Elisabeth: Die Rolle der Frau in
der urchristlichen Bewegung (S. 3—9).
Borresen, Kari Elisabeth: Die anthropologischen
Grundlagen der Beziehung zwischen Mann und Frau
in der klassischen Theologie (S. 10—17).
Ruether, Rosemarie R*: Frau und kirchliches Amt in
historischer und gesellschaftlicher Sicht (S. 17—2.3).
Arnold, Joan: Maria — Gottesmutterschaft und Frau:
Eine Untersuchung über sich ändernde Leitbilder
(S. 24-29).
Raming, Ida: Die inferiore Stellung der Frau nach geltendem
Kirchenrecht (S. 30-34).
McLaughlin, Eleanor: Die Frau und die mittelalterliche
Häresie: Ein Problem der Geschichte der Spiritualität
(S. 34-44).
Harrison, Beverly: Die Auswirkung der Industrialisierung
auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft (S. 44
bis 51).
Carroll, Elizabeth: Frauen im Ordensleben (Nordamerika
) (S. 51-57).
Magli, Ida: Die Frauenbewegung in der katholischen
Kirche Italiens (S. 58-59).
Lessa, Marina: Die Frau in den kirchlichen Bewegungen
Lateinamerikas (S. 60—62).
Lunen-Chenu, Marie-Therese van: Feminismus und
die Kirche im französischsprachigen Europa (S. 63
bis 70).
Tobin, Mary Luke: Die Haltung der katholischen Kirche
zu der Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten
(S. 70-73).
Hayashida, Cullen T.: The Isolation of leadership: a
case study of precarious religious Organization (Review
of Religious Research 17, 1976 S. 141-152).
Kern, Walter: Sind Christen konservativ? (StZ 101, 1976
S. 159-172).
Koch, Herbert: Die Mitbestimmungsidee in der evangelisch
-sozialen Tradition (ZEE 20, 1976 S. 114-123).
Marhold, Wolfgang: Der wissenschaftliche Ertrag der
Kirchensoziologie in der Bundesrepublik Deutschland
seit 1945 (ZEE 19, 1975 S. 297-313).
Rousseau, Andre: Bulletin de Sociologie de la religion
(Recherches de science religieuse 63, 1975 S. 269—284).
Schmalenberg, Erich: Sinnhaftes Leben— sinnhafterTod.
Ein Beitrag zum Euthanasiegespräch (ZEE 19, 1975 S.
160-168).
Siefer, Gregor: Das Problem der Volkskirche in soziologischer
Sicht. Initiation aus der Sicht des Soziologen
(ThQ 154, 1974 S. 10-25).
Wagner, Falk: Sozialethik als Theorie des Geistes (ZEE
19, 1975 S. 197-214).
PHILOSOPHIE UND
RELIGIONSPHILOSOPHIE
Mayer, Reinhold: Franz Rosenzweig. Eine Philosophie
der dialogischen Erfahrung. München: Kaiser 1973.
187 S. 8" = Abhandlgn. zum christl.-jüdischen Dialog,
hrsg. v. H. Gollwitzer, 4. DM 23,—.
Franz Rosenzweig (1886—1929) ist außerhalb der Ju-
daistik der jüngeren Theologengeneration höchstens noch
als Mitarbeiter Martin Bubers (1878-1965) bei der Verdeutschung
der hebräischen Bibel bekannt. In welcher
Weise und in welchem Maße er es war, ist nur noch wenigen
bewußt. Der Untertitel des vorliegenden Buches
wird ohne Absicht seines Vfs. das Mißverständnis fördern
, Rosenzweig sei auch in seinem Denken nur ein
geistiger Gefährte Bubers gewesen. In der Forschung ist
das Verhältnis beider zwar hinreichend geklärt, aber es
mag sein, daß bisher unveröffentlichte Tagebücher und
Briefe Rosenzweigs neue Akzente setzen. Reinhold Mayer
gehört zu den Herausgebern der wissenschaftlichen Gesamtausgabe
von Rosenzweigs Schriften und Nachlaß.
Schon für diese Abhandlung konnte Mayer vieles, schwer
zugängliches Material auswerten. Doch war es weder Absicht
noch Aufgabe, die engen Beziehungen zwischen Rosenzweig
und Buber genauer darzulegen. Buber ist hier
nur einer in einem größeren Kreis von Freunden, mit
denen Rosenzweig sich in ständiger Auseinandersetzung
befand. Sein Kommilitone während des kurzen Medizinstudiums
(1904—1905) war Victor von Weizsäcker (S. 20).
Dessen Autobiographie (Begegnungen und Entscheidungen
. Stuttgart 19512, S. 10—19) wird zwar herangezogen,
aber Weizsäckers kurze Beiträge zu der Zeitschrift „Zwischen
den Zeiten" (1923—1933) werden in dem sehr reichhaltigen
Literaturverzeichnis nicht genannt (3, 1925, 209
bis Ml. 6, 1928, 540-544. 8, 1930, 120-133). Das kann freilich
nur dann als Mangel empfunden werden, wenn man
bedenkt, daß diese Beiträge noch deutlich den gemeinsamen
geistigen Ansatz widerspiegeln, während doch
Rosenzweig inzwischen — zunächst vom Idealismus wie
vom Protestantismus fasziniert (S. 14) — im intensiven
Gespräch besonders mit Eugen Rosenstock-Huessy, 1912
bis 1913 in Leipzig, bereits 1913 zum Judentum zurückgekehrt
war. Es ist dasselbe Jahr, in dem Albert Schweitzer
nach Lambarene ging (S. 17.22—23). Eduard Meyers
(1855—1920) Werke hatten ihn 1905 zur Geschichtswissenschaft
geführt. Die Frucht seiner Studien waren die beiden
Bände „Hegel und der Staat" 1920. Friedrich Meinecke
(1862-1953) hat ihn 1920 vergeblich zur Habilitation
aufgefordert (S. 25). 1921 erschien schon sein dreibändiges
Werk „Der Stern der Erlösung". Als eine Einführung
in die Gedankenwelt dieses Buches ist Mayers