Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1976 |
Spalte: | 773-775 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Pflug, Julius |
Titel/Untertitel: | Correspondance recueillie et éditée avec introduction et notes par J.V. Pollet, O.P.II 1539-1547 1976 |
Rezensent: | Moeller, Bernd |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
77:?
Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang l!)7(i Nr. 10
774
5. Ausgehend vom konkreten Bild des von den Evangelien
und von der paulinischen Verkündigung bezeugten
Christus, ist Luther zu einem vertieften Verständnis
des wahren Menschseins Christi gelangt. Stärker als die
Tradition betont er die Gottverlassenheit Christi am
Kreuz, sein Unterworfensein unter das Gesetz, den Zorn
Gottes und den Tod.
6. „Der Inhalt des in der Person Christi gesetzten Heils
ist bei Luther nicht vordringlich die Vergottung des Menschen
, wie in der chalcedonensischen Tradition, sondern
in dem Gekreuzigten und Auferstandenen begründete
Rechtfertigung des Sünders und die Gleichgestaltung
des Gläubigen mit Christus" (S. 232).
Die soteriologische Anwendung der christologischen
Aussage erfolgt sowohl in Form der Analogie (wie Christus
so auch wir) als auch in der Perspektive der Ermöglichung
. „Er zeigt uns nicht nur die äußere Gestalt des
rechten Handelns, sondern ermöglicht überhaupt erst
dieses Handeln in uns."
Die Vfn., aus der Schule von W. Maurer herkommend,
hat einen guten Beitrag geleistet zum Verständnis der
Theologie des jungen Luther. Die wichtigsten Arbeiten
zu ihrem Thema wurden berücksichtigt. Einige fehlen jedoch
, wie etwa die Studie von Iserloh: „Sacramentum et
exemplum. Ein augustinisches Thema lutherischer Theologie
", in: Reformata Reformanda, Festgabe für H. Je-
din, 1965, oder J. K. Siggins: „Martin Luthers Doctrine of
Christ", 1970. Den Ergebnissen der Arbeit kann ich aufgrund
meiner eigenen Arbeit über Luthers Christologie
(Luther temoin de Jesus-Christ, 1973, deutsche Fassung
in Vorbereitung) weitgehend zustimmen. Man kann natürlich
die Frage nach Luthers Christologie nicht auf die
Verhältnisbestimmung zum Chalcedonense reduzieren.
Aber Wenn man schon so fragt, so muß das Ergebnis ein
dialektisches sein; Luther hat die Aussagen des Chalcedonense
nicht nur aufgenommen, sondern diese „von
dem Christuszeugnis des Neuen Testaments her intensiviert
und bis zu ihrer letzten Konsequenz durchgeführt"
(S. 234). Indem Luther vom Leiden Gottes spricht, das
Menschsein Christi neu und tiefer bestimmt, die „coinci-
dentia oppositorum" der beiden Naturen betont und sowohl
die soteriologische wie die eschatologische Ausrichtung
stark betont, geht er über das Chalcedonense hinaus
. Er wird ihm aber nicht untreu, wie die Vfn. mit
Recht gegenüber der Interpretation von P. Congar gezeigt
hat (S. 230ff.).
Im Unterschied zur Vfn. habe ich mich in meiner Untersuchung
auch mit Lutherschriften nach 1521 befaßt.
Im Hinblick auf Luthers Verhältnis zur alten Kirche ist
das nicht unwichtig, weil Luther während und nach dem
Abendmahlsstreit seine dogmengeschichtlichen Kenntnisse
weiter vertieft hat. Von besonderer Bedeutung
dürften neben den Abendmahlsschriften die Disputationen
sein und „Von Konzilien und Kirchen". Die Beschränkung
auf die Periode bis 1521 hat dagegen den
Vorteil, eine sehr detaillierte Einzelexegese der verschiedenen
Texte zu ermöglichen. Das ist eine der Eigenschaften
des vorliegenden Buches.
Strasbourg Marc Lienhard
''"»K, Julius: Corrcspondance recueillie et cditee avec
introduction et notes par J. V. Pollet, O. P. II: 1539 bis
1547. Leiden: Brill 1973. V, 868 S. m. 44 Abb. i. Text, 16
Taf. gr. 8°. Lw. hfl. 180.-.
Uberraschend schnell ist dem ersten Band dieser Brief-
Wechseledition der zweite gefolgt. Über den Herausgeber
und die Ausgabe als solche habe ich bereits in ThLZ 96,
1871 Sp. 923ff. berichtet und darf wohl auf diese Rezension
verweisen.
Der zweite Band übertrifft den ersten an wissenschaft-
•'chern Interesse. Es sind die wichtigsten und bewegtesten
Jahre im Leben Pflugs, die hier dokumentiert sind.
Insgesamt 231 Briefe aus den Jahren 1539—47 werden
abgedruckt", Pflugs Schicksalsdaten — der Tod Herzog
Georgs von Sachsen einerseits, die Übernahme der Administration
des Bistums Naumburg und die Teilnahme
am Geharnischten Reichstag andererseits — begrenzen
den Band. Es handelt sich fast durchweg um ungedruckte
Texte. Die handschriftlichen Unterlagen, wieder hauptsächlich
aus mitteldeutschen Archiven, werden ausführlich
beschrieben.
In diesem Band tritt das Private ganz in den Hintergrund
, gerade daß einmal die Hoffnung auf eine künftige
Rückkehr zu den litterae anklingt, quae mihi cumprimis
suaues sunt (Nr. 180), und in einem Brief an einen in Italien
studierenden Verwandten die humanistische Lebensauffassung
Ausdruck findet (Nr. 290). Was dominiert
, sind Politik und Kirchenpolitik, in die Pflug als
Meißener Domdekan seit 1539 unaufhaltsam hineingezogen
wurde. Sein Aufenthaltsort war in diesen Jahren in
der Regel Mainz, wo er nach der Flucht aus Meißen ein
Kanonikaterhielt; seit 1541 erwählter Bischof von Naumburg
, konnte er doch seinen Sitz dort erst im Gefolge des
Schmalkaldischen Krieges einnehmen. Als zeitweiliger
Vertrauter des Kardinals Albrecht von Brandenburg,
einmal auch in ganz mittelalterlicher Weise als kaiserlicher
Gesandter in Polen mit völlig profanem Auftrag,
vor allem aber mit seinen Hauptgeschäften, der Teilnahme
an den Religionsgesprächen und dem Kampf um
sein Bistum, wurde Pflug zu einer wichtigen, ja zeitweise
zentralen Figur der Reichspolitik. Am Ende war es
ihm gelungen, die Naumburger Affäre zu einem der
Hauptbeschwerdepunkte der katholischen Partei aufzubauen
, sie wurde einer der Gründe des Schmalkaldischen
Krieges.
Von alledem geben die Briefe dieses Bandes reiche
Kunde. Hervorzuheben sind etwa die wichtigen Texte
zum Regensburger Colloquium von 1546, man gewinnt
Einblick in die intime familiäre Verbindung Pflugs mit
dem sächsischen Adel und in dessen Reserven gegenüber
den Wettinern, Pflug erscheint als eine Art Agent der
vom Reich ferngehaltenen sächsischen Bischöfe in der
Welt der hohen Politik (Nr. 247). Ferner bilden die Projekte
und Probleme der vortridentinischen katholischen
Reform ein ständig wiederkehrendes Thema: Pflugs Interessen
an jeder irgendwo bemerkbaren Reformaktion
treten hervor und seine wiederholten Bekenntnisse zur
Reform, aber auch die vielen Hindernisse — Fehlen von
Druckern (Nr. 150), Klerikern (Nr. 276), die Labilität der
Kapitel, die für die Fortexistenz des Katholizismus maßgebend
waren und die ihn zugleich zum Konservativismus
verurteilten. In den eigenen Reformtexten des Juristen
Pflug2, vor allem in seinem wichtigen Memorandum
von 1542 (Nr.206), fällt die detaillierte und, wie es
scheint (vgl. auch Nr. 134), engagierte Darlegung der
Rechtfertigungslehre auf — eine Nachwirkung des Regensburger
Religionsgesprächs — und die Bereitschaft,
auf Zölibat und Communio sub una zu verzichten. Mit
Protestanten hatte Pflug in diesen Jahren keinen erkennbaren
brieflichen Kontakt mehr; nur die merkwürdige
Korrespondenz mit dem Straßburger Humanisten Johann
Sturm, der ihn nach der Katastrophe, im Mai 1547,
um seine Fürsprache bat (Nr. 351 f.), verdient Erwähnung
.
Die Ausgabe ist in derselben eigentümlichen Weise
angelegt wie der erste Band. Die ausführlichen Einleitungen
liefern eine zusammenhängende Darstellung der geschichtlichen
Umstände, manchmal scheint es fast, als
seien die Briefe bloß der dokumentarische Anhang dazu
. Erneut erweist sich die Gelehrsamkeit des Herausgebers
als bewundernswert; die Reichstage und die
deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen, Papst und
Kurie, die Anfänge des Konzils, der Schmalkaldische
Krieg werden bis ins einzelne sachverständig kommen-