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Ausgabe:

1976

Spalte:

772-773

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Vorländer, Dorothea

Titel/Untertitel:

Deus incarnatus 1976

Rezensent:

Lienhard, Marc

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10

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voraussetzt, die auf die sechziger Jahre des 16. Jhs. hinweisen
, läßt sich nur so erklären, daß von später Hand
zahlreiche Interpolationen vorliegen, z. T. als Marginalien
, die von einem noch späteren Schreiber mit dem
Originaltext von Brenz zusammengearbeitet worden
sind.

Da über das ganze Unternehmen noch nicht berichtet
worden ist, sind einige Angaben zur Perspektive unerläßlich
. Außer Frühschriften und Schriftauslegungen sind
noch folgende Abteilungen vorgesehen: Briefe und Gutachten
, Katechismus und Katechismusauslegungen, spätere
christologische Schriften (voraussichtlich zwei Bände
), die Confessio Virtembergica und dazugehörige Materialien
, Einzelpredigten und Kirchenordnungen. Da für
einige dieser Abteilungen Vorarbeiten bereits laufen,
steht zu erwarten, daß die Brenzausgabe zügig vorankommt
.

Der 1. Teil der Frühschriften enthält 18 Stücke, der 2.
sehr viel umfangreichere insgesamt mehr als 70. Aus dieser
großen Zahl mag zeichenhaft entnommen werden,
daß Brenz' Wirken schon in den ersten acht Jahren ungewöhnlich
vielseitig gewesen ist. Die Herausgeber ordnen
sachlich und chronologisch. Brecht gibt in jeder Einleitung
Aufschluß über die Zeitsituation, flankierende
Texte, den Schriftinhalt und die Textgrundlage des folgenden
Einzelstückes sowie über weiterführende Literatur
.

Im Vordergrund bereits der Frühzeit von Brenz steht
die gutachterliche Tätigkeit, von deren theologischer Linienführung
wie auch reformationspraktischer Besonnenheit
charakteristische Proben gegeben werden. Eins
seiner fortgesetzten Themen besteht darin, „wie cristen-
liche oberkait regirn und handeln soll" (Teil 1, S. 43). In
diesem Rahmen nimmt der Reformator auch ausführlich
Stellung zum Bauernkriegsgeschehen und vertritt hier
im großen und ganzen Luthers Standpunkt. Daß er in
seiner Schrift „Von milterung der fürsten gegen den
auffruerischen bauren" (Teil 1, S. 182) „ausdrücklich"
(S. 180) Luthers Schrift „Wider die räuberischen und
mörderischen Rotten der Bauern" widersprach, wie
Brecht meint, geht aus der diesbezüglichen Textstelle so
deutlich nicht hervor (S. 186,35-187,5). Die leitende Funktion
der landesherrlichen Obrigkeit bei dem evangelischen
Reformationswerk befürwortet und erläutert Brenz
unausgesetzt.

Ein Schwerpunkt des ersten Bandes liegt im Abdruck
des „Syngramma Suevicum" (S. 222—278) vom Oktober
1525. Dieses ausführliche Gutachten von vierzehn schwäbischen
Predigern, von Brenz abgefaßt, aber von den
übrigen approbiert, kennzeichnet die Rolle des in diesem
Raum maßgeblichen Theologen, der wirkungsvoll für die
Lehrbildung im Sinne der Lutherischen Abendmahlslehre
in den Streit mit den Schweizern, vornehmlich mit Oeko-
lampad und Zwingli, eingreift. Das Syngramma ist das
profilierteste lutherische Votum im oberdeutschen Raum
noch vor Beginn der großen, zur Kirchentrennung führenden
Auseinandersetzungen zwischen Luther und
Zwingli.

Die Themen der vielen Einzelstücke des zweiten Bandes
lassen sich unschwer zusammenfassen. Wir haben aus
den Jahren 1527—1529 einige Predigtzyklen vor uns, die
u. a. die katholische Sakramentenauffassung behandeln.
Dazu kommen eine Reihe von Einzelschriften wieder zu
kirchenregimentlichen Fragen unter Einschluß der
Reichstagspolitik, der evangelischen Bündnismöglichkeiten
, aber auch des Eherechts. Der Theologe spricht in
vielen Fällen überhaupt zu Rechtsproblemen, zu Prozeß-
und Strafrecht, zur Behandlung von Gotteslästerung und
Diebstahl.

Von besonderem Gewicht im zweiten Teil der Frühschriften
ist Brenz' weiterer Beitrag zur Abendmahlskontroverse
. Er wendet sich den von Luther bevorzugten
Bibeltexten zu und legt etwa seine Auffassung über

das vielverhandelte „Hoc est corpus meum" dar. Unter
der Bedingung, daß an der Lutherischen Realpräsenzlehre
festgehalten wird, ist er im Blick auf die Schweizer
Kontrahenten für terminologische Zugeständnisse offen
und dokumentiert auch auf diese Weise seine verständnisbereite
Kirchenpolitik. Mit Spannung nimmt man die
Quellenzeugnisse zur Kenntnis, die Brenz' Rolle in Zusammenhang
mit dem Marburger Religionsgespräch 1529
kennzeichnen (S. 401—428).

Zur Abendmahlskontroverse kam nicht minder existentiell
für die Oberdeutschen die Behandlung der verschiedenen
Spielarten des Spiritualismus. Brenz äußert
sich dazu häufig. Da hierbei die Haltung christlicher Obrigkeit
wiederum problematisiert werden muß, gewinnen
seine Ratschläge zur Behandlung der Spiritualisten
und Täufer einen hohen Grad an Aktualität. Er geht
grundsätzlich von der Erkenntnis Luthers aus, daß Geistliches
nur geistlich beurteilt werden könne. Die Gewalt
des Schwertes sei erst dann einzusetzen, wenn praktizierter
Aufruhr die weltliche Obrigkeit dazu zwinge. Der
Abdruck flankierender Texte von anderen oberdeutschen
Theologen läßt erkennen, in welchem Ausmaß die jungen
reformatorischen Landeskirchen zur Antwort auf die
Fragen des „linken Flügels der Reformation" herausgefordert
waren.

Man kann der so trefflich begonnenen Brenz-Ausgabe
nur einen guten Fortgang und den Editoren in allen sicher
weiter auftauchenden Schwierigkeiten einen ausreichenden
Elan wünschen!

Berlin Joachim Roggc

Vorländer, Dorothea: Deus Incarnatus. Die Zweinaturen-
christologie Luthers bis 1521. Witten: Luther-Verlag
1974. 241 S. gr. 8° = Untersuchungen zur Kirchengeschichte
, hrsg. v. R. Stupperich, 9.

In welchem Maß und in welcher Form findet sich die
chalcedonensische Zweinaturenlehre wieder bei Luther?
Von dieser Fragestellung ist die vorliegende Arbeit bestimmt
. Sie untersucht die Randbemerkungen zu Augustin
, die Randbemerkungen zu den Sentenzen des Petrus
Lombardus, die Dictata super Psalterium von 1513—1514,
Luthers Paulusexegese von 1515 bis 1517/18, die Opera-
tiones in Psalmos und andere Schriften der Jahre 1518
bis 1521. Wir fassen die wichtigsten Ergebnisse zusammen
:

1. „Ausgangspunkt aller christologischen Betrachtung
ist für Luther die Menschheit Christi, weil wir nur hier
Gott erkennen können" (S. 86).

2. Luther ist nicht an einer ontologischen Spekulation
über die zwei Naturen interessiert. Immer dezidierter
tritt in den einzelnen Zeitabschnitten die soteriologische
Ausrichtung seiner Christologie hervor. Damit bringt er
das ursprüngliche Ziel des altkirchlichen Dogmas wieder
voll zur Geltung.

3. Die Einheit der Person Christi ist begründet in dem
die menschliche Natur annehmenden Logos. Sie ist nicht
einfach eine Komposition von Gottheit und Menschheit.
Diese Einheit wird besonders betont bei Luther u. a.
durch die Anwendung der sog. theopaschitischen Formel
(aufgrund der „communicatio idiomatum"), der Aussage,
daß Gott selbst in Christus gelitten hat.

4. Im Hinblick auf die glaubende Erkenntnis spricht
Luther von einem „Nacheinander als Weg von der
Menschheit zur Gottheit oder als Verborgensein Gottes
bzw. der Gottheit unter dem Menschsein Christi ... Erst
im Eschaton wird dieses Nacheinander für den Glauben
aufgehoben sein ... Die Kirche als Ort dieser Hoffnung
und als Leib Christi hat teil an der eschatologischen
Spannung, unter der Luther die Person Christi betrachtet
" (S. 233-234).