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Ausgabe:

1976

Spalte:

759-760

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heer, Josef

Titel/Untertitel:

Leben hat Sinn 1976

Rezensent:

Betz, Otto

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759

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10

760

sens verständlich macht). Daß die von W. aufgrund seiner
methodisch sauberen Analysen gezogenen traditionsgeschichtlichen
Rückschlüsse im einzelnen anfechtbar
sind (z. B. über den „Sitz im Leben" der behaupteten
Emmaustradition und über die Urform der Eucharistieerzählung
), gibt Vf. ehrlich zu (vgl. S. 125). Insofern bleiben
Fragen für die weitere Arbeit an diesem Text, deren
Lösung jedoch nicht das Ziel dieser betont redaktionsgeschichtlich
orientierten Untersuchung war.

Berlin Günther Baumbach

Heer, Josef: Leben hat Sinn. Christliche Existenz nach
dem Johannesevangelium. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk
[1974]. 228 S. 8° = Geist und Leben. Studien
zur Verwirklichung der christlichen Botschaft, hrsg. v.
O. Knoch u. F. Wulf. Kart. DM 24,-.

Der Vf., der mit einer Arbeit über das JohEv. promoviert
hat, danach als Studentenpfarrer tätig war und seit
1970 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Katholischen
Bibelwerk ist, versucht mit diesem allgemeinverständlichen
Werk existentielle Fragen des modernen Menschen
vom 4. Evangelium her zu beantworten, wobei er
„die etwas verschlüsselten johanneischen Aussagen in
den Horizont des heutigen Verstehens herüberholen will"
(S. 22f.). Das Kardinalproblem sei heute das Gelingen,
der Sinn des eigenen Lebens (Ch. Bühler, V. Frankl);
dementsprechend habe die Theologie die Aufgabe, den
christlichen Glauben als Antwort auf die Sinnfrage, als
Lebenshilfe und Lebensentwurf darzustellen (W. Kasper
, S. 214, m. E. schon wesentlich früher P. Tillich).
Diese Forderung nimmt Vf. auf; sein Buch zum JohEv.
hat seelsorgerlich-praktische Ausrichtung.

Das kommt besonders im einleitenden ersten Teil
(S. 13—46) zum Ausdruck. Die moderne Sinnfrage wird
— freilich in anderer Begrifflichkeit — auch im JohEv. entdeckt
. Es gibt darin Menschen, die „dürsten" (7,37f.), d. h.
nach einem Leben suchen, das sie von Finsternis und Todesangst
befreit, so etwa die Samaritanerin (4,131), die
freilich vom Verlangen nach nur menschlicher Erfüllung
ihres Lebensdurstes befreit werden muß. Ihre Haltung ist
kennzeichnend für die Existenz des heutigen Menschen
und ein wichtiges Thema moderner Literatur.

Voraussetzung für ein sinnvolles Leben ist der Glaube
(S. 49—77). Diese Feststellung kann nicht überraschen.
Aber Vf. macht darauf aufmerksam, daß der Glaube an
Christus schon zur Zeit des Johannes keine Selbstverständlichkeit
war. Auch die Leser des Evangeliums hatten
es bis dahin nicht richtig begriffen, daß Christus das
Angebot sinnvollen Lebens macht; das werde durch provozierende
Formulierungen gezeigt. Johannes hat den
Glauben als einen Lernprozeß der Jünger dargestellt.
Glauben bedeutet für ihn die persönliche Gemeinschaft
mit Jesus, und dieser bietet ein neues Leben als sinnvolle,
erfüllte Existenz. Das „Neue Leben" wird als das Thema
des Buches in den Teilen 3-7 (S. 79-219) entfaltet. Sein
Ursprung ist der Gekreuzigte und Erhöhte (S. 79—11.4),
seine Strukturen werden in den Ich-Bin-Worten sichtbar
: Es ist das Gehen eines „Neuen Weges", das Leben
im Licht und in der Geborgenheit, die der gute Hirte
gibt; dieses Leben wird mit dem Beistand des Geistes in
der Kreuzesnachfolge verwirklicht (S. 169—188) und in
der Kirche gelebt und weitergegeben (S. 192—213).

All dies wird anhand der Auslegung wichtiger johan-
neischer Stellen gezeigt und durch Zeugnisse zeitgenössischer
Literaten und Theologen erhellt; neben Ratzinger
und Rahner sind auch Protestanten wie Kierkegaard,
Bonhoeffer und Zahrnt erwähnt. Exegeten werden weniger
, allenfalls im Anmerkungsteil zitiert; das ist m. E.
richtig, weil so die allgemeinverständliche, klare Sprache
des Buches nicht durch historisch-theologische spe-
cialissima belastet wird. Dennoch spürt man die wissenschaftliche
Fundierung des Ganzen, am deutlichsten im
Abschnitt über den durchbohrten Jesus (Joh 19,28-37),
der von den in der Dissertation des Vfs. dargelegten Ergebnissen
erhellt ist (S. 110—117).

Problematisch ist mir das zum Thema erhobene „Neue
Leben". Es ist bezeichnend, daß der johanneische Christus
diese Wendung gar nicht gebraucht, genausowenig
wie die vom „Neuen Weg" ; vielmehr gibt er ein „Neues
Gebot". Aber gerade auf das „Neue Gebot" geht der so
sehr um eine Konkretisierung des „Neuen Lebens" bemühte
Vf. gar nicht ein. Er spricht statt dessen von der
horizontalen und vertikalen Dimension des „Neuen Lebens
" (Gottesliebe und Nächstenliebe), die er in den Balken
des Kreuzes symbolisiert und durch die Gnade Jesu
ermöglicht sieht (S. 83—91), oder aber vom Geist, der
weht, wo er will (S. 174—177). Diese evangelisch wirkende
Deutung des JohEv. kommt nicht von ungefähr; man
möchte der Moraltheologie aus dem Wege gehen (S. 169f.).
In die gleiche Richtung geht es, wenn Vf. das „Neue Leben
" mit dem Glauben einfach indentiflziert (S. 98).
Kennzeichnend für den johanneischen Jesus sei es, daß
er Leben und Auferstehung der Toten vergegenwärtige.
Joh 11,25 wird so wiedergegeben: „Ich bin der, der jetzt
schon zum Neuen Leben auferweckt." Die Auferwek-
kung des Lazarus sei das Zeichen, mit dem diese Aussage
bestätigt werde; als Glaubende seien auch wir vom Tod
auferstanden wie Lazarus. Dieser wird zwar in das alte
Leben zurückgeholt, aber als ein „Neuer, das heißt einer,
der das Leben vom Ende her durchschaut" (S. 124—129).
Das ist m. E. ein Kurzschluß. Lazarus ist nach Joh 11 nicht
in den Glauben auferstanden, auch wird im JohEv. die
Auferweckung der Toten nicht einfach vergegenwärtigt,
sondern im Falle des Lazarus antizipiert. Jesus handelt
in Joh 11 als der Menschensohn, der beim Auftakt des
Endgerichts die Toten aus den Gräbern rufen wird; Joh
5,28 f., nicht Joh 5,25 gehört zur Geschichte von Lazarus.
Deshalb spricht Johannes vom „Ewigen Leben" und
nicht vom „Neuen Leben". Die Vergegenwärtigung des
erst in Gottes Zukunft eingelösten ewigen Lebens ergibt
sich daraus, daß Jesus als der Messias und Gottessohn
die endzeitlichen Heilsgüter Wahrheit, Licht, Leben jetzt
schon schenkt; freilich fehlt ihnen in der alten Welt der
Finsternis und des Todes die jedermann überzeugende
Evidenz. Vf. sieht zwar die Zukunftsdimension des Lebens
mit Christus (vgl. S. 89f.; 157), aber schätzt sie nicht
richtig ein. Sie ist m. E. auch für die Seelsorge wichtig.
Denn erst die Gewißheit, Christus schenke das ewige Leben
, ermächtigt uns dazu, auch da von einem Sinn des
Lebens zu sprechen, wo dieses als lebensunwert erscheint
oder abrupt und völlig sinnlos zu Ende geht.

Tübingen Otto Betz

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