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Ausgabe:

1976

Spalte:

753-755

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schürmann, Heinz

Titel/Untertitel:

Jesu ureigener Tod 1976

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10

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scher Tora-Observanz gegenüberstehen. Indem aber „the
extreme deduction of Jesus lay in his view that the first
and only important step to be taken is in the direction o£
God" (Doppelgebot der Liebe! S. 44), besteht im Grunde
bereits bei Jesus selbst — nicht also erst bei Paulus
(S. 45) — die Tendenz, daß der Glaube an die Stelle der
Tora tritt, wird bereits durch Jesus selbst „the basic
structure of Jewish life as a response to God's gift of To-
rah to his people" bzw. „the very raison d'etre of the
Jewish people" in Frage gestellt (S. 45, mit Verweis auf
Mk7,14f.). Von daher ist dann schließlich auch die Verurteilung
Jesu durch das Judentum seiner Zeit zu verstehen
, wobei der Vf. in diesem Zusammenhang vermutet,
daß Jesus auf Betreiben der perushim (= Extremisten)
sowie der Tempelpriesterschaft als ein „rebellious eider"
(Dt 17,12) verurteilt worden ist (S. 46ff.). Innerhalb des
Judentums ist Jesus somit mit seiner Vision von der Verwirklichung
des Ideals der Bewegung der Hakamim gescheitert
, ja mußte er scheitern (S. 52: „for at the final
moment of the cruciflxion it seemed that the effect of
God was absent and that the Claims of Jesus, about the
nature of God and about the immediacy of the relation
between God and man, were empty") — aber: „It was the
resurrection which confirmed for them (sc: the first
Christians) the validity of the may which Jesus had
opened up to the reality of God, and which ultimately
made it inevitable that Judaism and Christianity would
become separated ways" (S. 52).

Was hier auf relativ wenigen Seiten vorgelegt wird, ist
somit ein höchst eigenwilliger, zugleich aber höchst anregender
Versuch, Jesus zunächst ganz aus dem Judentum
seiner Zeit zu verstehen, zugleich aber — und zwar
wiederum von Jesus selbst her — den Schritt vom Judentum
zum Christentum verständlich zu machen. Kritische
Anfragen an diese Grundkonzeption können nicht ausbleiben
. Sie werden u. a. das hier gezeichnete Bild von
der Bewegung der Hakamim zur Zeit Jesu betreffen, insbesondere
auch den Versuch, Gestalt und Geschichte Jesu
in dem Maße, wie es hier geschieht, aus der hilleliti-
schen Schule des Pharisäismus heraus zu verstehen. Vor
allem aber stellt sich nach der Lektüre des vorliegenden
Buches die Frage, ob es angemessen ist, die Stellung Jesu
im Judentum seiner Zeit allein von der Problematik der
Tora-Observanz her zu beurteilen. Ganz offensichtlich
ist es doch so, daß gerade die eigenartige und im einzelnen
zunächst so eigentümlich ambivalent erscheinende
Stellungnahme Jesu zur Frage der Tora-Observanz in
einem unmittelbaren Zusammenhang steht mit seiner
eschatologischen Verkündigung, mit seinem Verständnis
von der „Königsherrschaft Gottes". Und gerade dort,
wo der Vf. von „Jesus' insistence on the immediate
reality of God to faith" spricht (S. 52) oder auch davon,
daß Jesus in der Tora „an exemplification of God's in-
tention to be in real and covenanted relationship with
men" sieht (ebd.), wäre dann auch entscheidend und
grundlegend von der „Königsherrschaft Gottes" als der
eigentlichen Begründung solcher „relationship" zu sprechen
. Mit solchen kritischen Bemerkungen soll die
Grundthese des Vfs. freilich keineswegs als solche in
Frage gestellt werden, sondern lediglich das hier neu eröffnete
Gespräch zum Thema „Jesus und die Pharisäer"
aufgenommen werden. Dem Buch von J. Bowker wäre
es jedenfalls sehr zu wünschen, daß es nicht alsbald wieder
als einer unter vielen anderen Titeln in den entsprechenden
Bibliographien verschwände, sondern das Gespräch
zum Thema erneut in Bewegung brächte.

Rostock Hans-Friedrich Weiß

Schürmann, Heinz: Jesu ureigener Tod. Exegetische Besinnungen
und Ausblick. Freiburg-Basel-Wien: Herder
(Lizenzausgabe des St. Benno-Verlages. Leipzig)
[1975]. 155 S. 8". Kart. DM 19.80.

Der befremdliche Titel des Bandes ist mit Bedacht gewählt
. Der Kreuzestod Jesu und die Bedeutung des vorösterlichen
Jesus sind in das Zentrum theologischen Denkens
gerückt. Dieser Situation entspricht das Fragen,
welches über das nach den „ureigenen" Worten Jesu und
seinen „ureigenen" Taten hinausgreift und die ipsissima
intentio Jesu in seinem „ureigenen Tod" findet. Sch.
nimmt freilich sogleich auch ein gleichsam dogmatisches
Motiv in seine Überlegungen hinein und erläutert seine
Themaformulierung auch von der sachlichen Einmaligkeit
des Todes Jesu her, in dem sich Gott als der Immanuel
gab.

Vereint sind in dem Buch vier Arbeiten des Vfs., die
bereits früher veröffentlicht worden sind; „für diesen
Nachdruck sind sie — in Auseinandersetzung mit neuerer
Literatur — abermals durchgesehen und jeweils unterschiedlich
stark erweitert" (13). Der Aufsatz „Wie hat Jesus
seinen Tod bestanden und verstanden? Eine methodenkritische
Besinnung" erschien erstmalig in: Orientierung
an Jesus, FS J. Schmid 19731, der (ursprünglich
G. Delling zum 65. Geburtstag gewidmete) Aufsatz „Das
Weiterleben der Sache Jesu im nachösterlichen Herrenmahl
. Die Kontinuität der Zeichen in der Diskontinuität
der Zeiten" in der Schrift Sch.s: Jesu Abendmahlshandlung
als Zeichen für die Welt, Leipzig 1970 (vgl. auch BZ
NF 16,1972,1-23), der Aufsatz „,Das Gesetz des Christus'
(Gal 6,2). Jesu Verhalten und Wort als letztgültige Norm
nach Paulus" in: Neues Testament und Kirche, FS
R. Schnackenburg 19742, und schließlich der „Ausblick"
mit der Überschrift „Der proexistente Christus — die
Mitte des Glaubens von morgen? Eine theologische Meditation
" in: Diakonia/Der Seelsorger 1, 1972, 147—160.

Die drei großen exegetischen Abhandlungen bilden die
tragende Mitte des Bandes. Sie zeigen den Meister tiefgrabender
Interpretation, der in überzeugender Weise
historisch-kritische Exegese zu theologischer Auslegung
hinführt und meditativ durchdringt. Sie behandeln den
Reflex des „proexistenten" Todes Jesu, die beiden ersten
mit besonderem Blick auf das letzte Mahl Jesu, der letzte
für das Weltverhalten der Glaubenden nach Paulus. Der
erste Beitrag hat eine hervorragende Bedeutung wegen
des darin vorgeführten methodischen Vorgehens, mittels
dessen es Sch. gelingt, historische Wahrscheinlichkeit
trotz überlieferungsmäßig unsicherem oder doch angefochtenem
Boden zu erlangen. Der dritte Aufsatz zeigt,
welche fundamentale Bedeutung der irdische Weg Jesu
für das ethische Verhalten der Christen nach Paulus hat;
er ist damit zugleich ein wesentlicher Beitrag zur Frage
nach Funktion und Umfang der Jesus-Überlieferung bei
Paulus.

Die spezifische Besonderheit des Buches aber ist nach
meinem Empfinden der „Ausblick". In ihm versucht Sch.,
die „Fülle Christi" von seinem Tode her neu für die Gegenwart
zu fassen. Denn: „die Christusbotschaft wird jeweils
im ,Heute' in neuer Weise verständlich, da Christus
jeder Zeit nahe ist und sein Licht gibt" (123). Freilich
richtet sich in sehr bezeichnender Weise der Blick
Sch.s in Wahrheit auf das Christusbild und den Christusglauben
von morgen. Das ergibt bereits die Einteilung in
„I. Rückblick" und „II. Ausblick", deren Zuordnung zueinander
das Ziel hat, „eine Prognose über das Christusbild
von morgen zu stellen" (123). Hier entstehen Fragen
nach der Bedeutung und der Funktion von Gegenwart
und Zukunft und dem Verhältnis beider zueinander sowie
zur Zukunft Gottes.

In beeindruckend ökumenischer Weise zeigt Sch. im
„Rückblick", wie der Reichtum der Christuserkenntnis
sich in der Geschichte der Kirche entfaltet hat. Dabei erweist
sich, daß gültige Christuserkenntnis zeitgemäß und
not-wendend zugleich ist. Ihre „letzte große gültige Ausprägung
" findet Sch. „in der theologia crucis der Reformatoren
" (sowie deren Nachwirkung in Orthodoxie und
Pietismus und in der Herz-Jesu-Fiümmigkeit). „Danach