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Ausgabe:

1976

Spalte:

747-749

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Kelim (Gefässe) 1976

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10

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sprechen, zumindest für den, der ihn bemerkt. Nicht
viele haben es indessen bemerkt, wenn man von Jehuda
Arje da Modena (1571—1648) absieht, denn die Möglichkeiten
solch kritischen Denkens waren nur selten gegeben
. Immerhin gelang es Delmedigo, im Rahmen einer
Scheinverteidigung der Kabbalah gegen das kritische
Werk „Behinat had-dat" seines älteren Verwandten Elia
Delmedigo, dessen Kabbalahkritik zu verbreiten, eine
Form der Tarnung, die oft als negativer Charakterzug
ausgelegt worden ist, aber wohl kaum zu umgehen war.
Im übrigen hinderte dies alles Delmedigo nicht, im Bereich
der Kabbalah und Magie nach Ansatzpunkten für
die Beantwortung von Fragen zu suchen, die von der
Philosophie her nicht beantwortbar schienen.

Der letzte Teil (S. 299 ff.) streift Delmedigos Bibelkritik
. Ihre Bedeutung liegt weniger im Detail, wenngleich
er manches vorwegnahm, was später erst durchgekämpft
werden mußte. Bedeutsam ist seine betonte Rückführung
kabbalistischer Vorstellungen auf Talmud und Bibel, was
indirekt, das oben erarbeitete negative Urteil über die
Kabbalah vorausgesetzt, eine weitgehende grundsätzliche
Infragestellung der biblisch-talmudischen Religion
bedeutet. Kennzeichnend dafür ist auch das Fehlen ausgesprochen
religionsgesetzlicher Werke, ferner der überall
und immer gesuchte Kontakt zu karäischen Gelehrten
und das liberale Verhältnis zu Nichtjuden. Hier schimmert
ein neuer, noch Undefinierter Religionsbegriff und
eine neue Menschheitsvorstellung durch — wie sie dann
in der Aufklärung voll zutage traten. Seine Religionskritik
war nicht bloß Traditionskritik, sie war Kulturkritik.

Abgesehen von zwei Anhängen (A. über das Jahr der
Auswanderung aus Kreta; B. über die ungedruckten
Werke), enthält der Band noch eine sorgfältig gearbeitete
Bibliographie (S. 338—357) und ein umfangreiches Register
(S. 358—379). Alles in allem ein Meisterwerk, das
nicht nur für den Judaisten von Interesse ist, sondern
auch dem Philosophiegeschichtier und Kirchengeschicht-
ler vieles zu bieten vermag, zumal das Judentum in der
Theologie immer noch allzusehr allein vom Frühjudentum
und gewissen rabbinischen Quellen her gesehen und
beurteilt wird.

Einige belanglose Druckfehler: S. 40, ZI. 6 v. u., sollte es „silen-
tio" heißen, S. 109, letzte Zeile: „afraid", S. 254, Anm. 3, „Shir Ha-
shirim", S. 266, Anm. 1, wohl „Even-Shoshan".

Köln Johann Maier

Bunte, Wolfgang, Dr.: Kclim (Gefäße). Text, Ubersetzung
und Erklärung nebst einem textkritischen Anhang.
Berlin, New York: de Gruyter 1972. VI, 557 S. gr.8° =
Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung
mit eingehenden geschichtlichen und sprachlichen
Erläuterungen und textkritischen Anhängen,
hrsg. mit G.Mayer und R. Meyer von K.H.Rengstorf u.
L. Rost. VI. Seder: Toharot, 1. Traktat. Kart. DM 168,-.

Die Arbeit an der „Gießener Mischna" ist mit dem Abschluß
des ungewöhnlich umfangreichen Traktates Ke-
lim durch W. Bunte ein erhebliches Stück vorangekommen
. Der Traktat behandelt einen wichtigen Teil der
Reinigungsvorschriften: die Vorschriften über die Reinheit
und die Verunreinigung von Geräten. Kelim, „Gefäße
", wird in einem so weiten Sinne gebraucht, daß es
etwa dem deutschen Wort „Geräte" entspricht.

Dem Text mit Ubersetzung geht eine 54 Seiten umfassende
Einleitung voraus, die zum Verständnis des Ganzen
wesentlich beiträgt. Sie geht ein auf den Namen des
Traktates und seine Stellung in der Mischna, seine Komposition
, das Verhältnis zu dem gleichnamigen Tosefta-
Traktat sowie auf die historischen Voraussetzungen des
Traktates.

Der Stoff des 30 Kapitel umfassenden Traktates, der

ursprünglich vielleicht einmal entsprechend demTosefta-
Traktat in drei Abschnitte eingeteilt war — Baba kamma,
Baba meji'a, Baba batra —, wird von B. in folgender
Weise gegliedert: A. Unreinheit und Heiligkeit, allgemeine
Erläuterungen und Erörterungen (I, 1—9); B. Irdene
Geräte (II, 1-IV, 4); C. Öfen und Herde (V, 1-IX, 8);
D. Gefäße mit festschließendem Deckel (X, 1-8); E. Metallgeräte
(XI, 1-XIV, 8); F. Geräte aus Holz und Leder
(XV, 1—XVI, 8); G. Ein durchlöchertes Gerät (da es wegen
Unbrauchbarkeit nicht mehr den Vorschriften über
die Geräte und ihre Reinheit unterliegt) wird durch seine
Beschädigung rein (XVII, 1—3); H. Verschiedene Maßeinheiten
(XVII, 4—12); J. Meerprodukte und ihre Reinheit
(XVII, 13); K. Die Schöpfung - Reinheit und Unreinheit
(XVII, 14); L. Geräte werden durch an ihnen angebrachte
Behälter unrein (XVII, 15—17); M. Betten und andere
Dinge, die midras- und leichenunrein werden können
(XVIII, 1-XX, 7); N. Zusammengesetzte Geräte (XXI,
1—3); O. Tische, Bänke, Sessel und andere Sitzgelegenheiten
(XXII, 1-10); P. Reitzeug, Kissen, Netze (XXIII,
1—5); Q. Dinge, für die je nach ihrer Beschaffenheit
dreierlei verschiedene Bestimmungen über Verwendung,
Reinheit und Unreinheit gelten (XXIV, 1-17); R. Außen-
und Innenseite von Geräten (XXV, 1—9); S. Sandalen,
Felle und Überzüge (XXVI, 1—4); T. Ein Gerät kann
durch seine Bestimmung verunreinigt werden (XXVI, 5
bis 9); U. Kleider, Säcke, Felle und dergleichen müssen
eine bestimmte Größe und Beschaffenheit haben, um
unrein werden zu können (XXVII, 1—XXVIII, 10);
V. Schnüre, Stiele, Griffe und andere Teile bestimmter
Geräte machen diese unrein, wenn sie ein festgesetztes
Maß haben (XXIX, 1-8); Glasgeräte, ihre Beschädigung
und ihre Verunreinigungsfähigkeit (XXX, 1—4).

Der Traktat ist übersichtlich gegliedert; doch zeigen
sich, wie B. deutlich macht, einige Einschübe, die dem
Inhalt nach in andere Traktate gehört hätten, wofür vor
allem mnemotechnische Gründe verantwortlich zu machen
sind. So steht der Traktat auf der Grenze zwischen
streng systematischer Rechtskodifizierung und halachi-
scher Exegese.

Gründlich, wobei mehrere Tabellen zur Veranschaulichung
dienen, wird in der Einleitung auf das Verhältnis
des Mischnatraktates zum Toseftatraktat eingegangen.
Es ergibt sich, daß die Tosefta eine Fülle von Material
bringt, das über die Mischna hinausgeht, während nur
einiges aus der Mischna keine entsprechende Parallele in
der Tosefta hat. Oft fügt die Tosefta dem inhaltlich der
Mischna entsprechenden Satz eine Definition hinzu, eine
Verallgemeinerung oder Begründung oder auch eine
Beispielerzählung. Gerade letzterer Punkt ist aufschlußreich
: während die Tosefta eine Reihe haggadischer
Stücke bringt, findet sich in Mischna Kelim nur ein Stück
dieser Art (V4b). Aus dem Vergleich der beiden gleichnamigen
Traktate folgert B.: „Sicherlich ist bei der Redaktion
der M durch (den Kreis um) RJehuda ha-nasi
viel Traditionsgut nicht in die M mitaufgenommen, später
aber mit anderen mündlich tradierten Stoffen gesammelt
und zur T zusammengefaßt worden" (S. 33).

Einige Wünsche offen läßt Abschnitt IV der Einleitung:
„Die historischen Voraussetzungen des Traktates Kelim.
Rein und unrein — ein zusammenfassender Überblick".
Gewiß kann eine kurze Zusammenfassung nicht alles
bringen; aber sie sollte doch überall vom neuesten Stand
der Forschung ausgehen. Beleg dafür, daß im Gilga-
meschepos „der Reinigungsortfür Aussatzauf derSeligen-
insel jenseits des Totenflusses" liegt (S. 35), ist der zeitlich
weit zurückliegende Aufsatz von A. Jeremias, Hölle
und Paradies, Alter Orient I, 3. Gedacht ist beim Gilga-
meschepos wohl an XI 250ff., dort steht aber nichts von
Aussatz da. Anschließend wird auf die Reinheitsvor-
schriften der Sabier eingegangen, was durch das Werk
von Chwolson. Die Ssabier und der Ssabismus, Petersburg
1856, belegt wird. Gibt es nichts Neueres? Man ver-