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Ausgabe:

1976

Spalte:

742-743

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rad, Gerhard von

Titel/Untertitel:

Predigt-Meditationen 1976

Rezensent:

Westermann, Claus

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10

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schätzten Bereich der Tradition darstellt. Die vorliegende
Schrift stellt die communis opinio an wichtigen Punkten
in Frage. Sie verfährt in drei Arbeitsgängen.

Zunächst (S. 6—54) wird untersucht, was die von der
Forschung meist ganz selbstverständlich dem Alten Testament
entnommenen und für das Gesamtphänomen
verwendeten Ausdrücke „Weisheit" (hokmä) und „Weiser
" (häkäm) bedeuten. Weisheit ist allgemein und untechnisch
Intelligenz, wie in verschiedenen Abstufungen
Gott und viele Menschen sie besitzen. Die Weisen sind
nicht, wie man seit H. Greßmann anzunehmen pflegt,
eine besondere Berufsgruppe, weder als professionelle
Berater am königlichen Hof — also als eine Unterabteilung
der in den Prosatexten 4ärim Genannten — noch als
Lehrer an den trotz der Untersuchungen namentlich H.
J. Hermissons in ihrer Existenz problematischen Schulen
, noch schließlich als Autoren von Büchern.

Der zweite, kürzeste Arbeitsgang (S. 55—70) gilt nach
diesem negativen Ergebnis positiv der Frage, wer dann
die Autoren der Bücher Proverbien, Hiob und Kohelet
und die Träger der dort niedergelegten Tradition gewesen
sind; denn die Existenz einer solchen Tradition wird
nicht bestritten, sondern nur die Behauptung, daß diese
Tradition von einer bestimmten Institution getragen
wurde. Die genannten Bücher gehen auf Menschen zurück
, die sich nicht durch einen ihnen gemeinsamen bestimmten
Beruf, sondern durch ihre Intelligenz und Bildung
von anderen unterschieden und sich Gedanken über
die immer wiederkehrenden Probleme des menschlichen
Lebens machten.

Damit stellt sich auch die viel verhandelte Frage nach
dem „weisheitlichen Einfluß" im übrigen Alten Testament
etwas anders als bisher. Wo ist „the intellectual tradition
" außerhalb jener drei Bücher anzutreffen? Darum
geht es im dritten, umfangreichsten Arbeitsgang (S. 71
bis 154). Das Kriterium, das angewendet wird, ist das Vokabular
; die unsichereren Kriterien des Inhalts und der
Form werden nicht übergangen, spielen aber eine untergeordnete
Rolle. Sehr ausführlich wird (S. 76-120) untersucht
, wo die Wurzel hkm im Alten Testament begegnet
und wo nicht. Es folgen weitere Ausdrücke aus Proverbien
, Hiob und Kohelet unter dem Gesichtspunkt ihres
sonstigen Vorkommens; als Worte, die ausschließlich der
»intellectual tradition" angehören und zusammen mit
bkm für deren Ermittlung zu verwenden sind, ergeben
sich: binä, ba'ar, kesil, les, leqah, näbön. säkäl. 'ärüm,
tüsiyyä (S. 142—149). Die schließlich festgestellte Liste der
Texte, die für die „intellectual tradition" in Betracht
kommen, enthält: Gen 2f. (11,1-9?); 37-50; Dtn 1-4; 32;
2 Sam 9-20 und 1 Kön 1 f.; 1 Kön 3-11; Ps 1; 19,8-15; 37;
49; 51; 73; 90; 92; 94; 104; 107; III; 119; Jesl-39; Jer;
Ez28; Dan; zwei sekundäre Stellen in den Kleinen Propheten
(Hos 14,10; Mi 6,9).

Die Untersuchung unterscheidet sich von manchem,
was über die Weisheit geschrieben wird, durch die Begrenzung
der Aufgabe, den Verzicht auf vorschnelle, gar
ideologische Pauschalisierungen, die Zurückhaltung in
historischen Fragen (vgl. S. 156) und die exakte Arbeit
an Einzeltexten unter dem Gesichtspunkt ihres Vokabu-
*ars. Die Regeln, die hier für die Erarbeitung einer Wortstatistik
und den Umgang mit ihr gegeben werden (S. 75),
s'nd mustergültig und sollten auch anderwärts beachtet
Verden. Für die weitere Erforschung der weisheitlichen
Literatur und Tradition hat W. einen wichtigen Anstoß
Begeben oder vielmehr: er hat ihr einen Schuß vor den
Qug gesetzt, der sie jedenfalls für den Augenblick zum
Einhalten zwingt. Die Auseinandersetzung wird natürlich
vor allem auf dem Gebiet des Vokabulars zu führen
se'n und dort besonders die Stellen betreffen müssen, an
denen W. seinen Gegnern mit anerkennenswerter Vorsieht
entgegenhält, ihr Verständnis sei „not necessarily"
das richtige (S. 12 u. ö.). Der Rezensent gesteht, daß ihm
■n dem berühmten Satz Jer 18,18 trotz dessen interessanter
Neuinterpretation durch W. (S. 24—31) die Möglichkeit
, den Weisen wie den Priester und den Propheten als
den Vertreter eines Berufes zu verstehen, noch nicht aus
der Welt geschafft zu sein scheint, ja daß ihm diese Möglichkeit
nach wie vor als die natürlichste vorkommt. Aber
vielleicht liegt das daran, daß uns in den letzten Generationen
in der alttestamentlichen Wissenschaft ein institutionelles
Denken angewöhnt worden ist, aus dessen Bann
uns zu lösen heute zu den wichtigsten Aufgaben gehört.
Auch in diesem weiteren Rahmen könnte der schmale,
aber gewichtige Band von W. zu seinem Teil eine Mission
zu erfüllen haben. Das gilt auch dann, wenn er, wie
etwa schon ein Vergleich der obigen Liste von Texten mit
den herkömmlich als „weisheitlich beeinflußt" geltenden
Stücken des Alten Testaments zeigen kann, das Gesamtbild
von der Weisheit schließlich doch nicht allzusehr
verändern sollte.

Göttingen Rudolf Smend

Rad, Gerhard von: Predigt-Meditationen. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1973]. 105 S. 8°. DM 12,50.

In G. von Rads Wirksamkeit kann das Forschen und
Lehren nicht getrennt werden vom Predigen, vor allem
in der Heidelberger Universitätskirche. So sind die Uber-
legungen, die von der Auslegung zur Predigt führen, gerade
hier von besonderem Interesse. Es ist seiner Tochter
, Frau Ursula von Rad, als Herausgeberin und dem
Verlag zu danken, daß die in längeren Abständen an verschiedenen
Orten veröffentlichten Meditationen zu alt-
testamentlichen Predigttexten hier zusammengefaßt wieder
zugänglich gemacht werden. Es sind Texte aus dem
ganzen Alten Testament, dazu einer aus dem Hebräerbrief
. Eingeleitet ist das Ganze mit einer Ansprache zu
Beginn einer exegetisch-praktischen Übung: „Über Exegese
und Predigt".

Überblickt man die Meditationen, so fällt besonders
auf, wie sehr G. von Rad eigentlich jeden einzelnen der
alttestamentlichen Texte dem Christlichen zuwendet.
Die Aufgabe und Verantwortung des Predigers, der in
einer christlichen Gemeinde die Christusbotschaft zu predigen
hat, steht ganz im Vordergrund, und jegliches sonstige
Interesse am Text wird bewußt und bestimmt zurückgestellt
. In deutlichem Unterschied zu seiner AT-
Theologie und zu den Monographien wird bei jedem Text
bewußt einseitig herausgestellt, was er der christlichen
Gemeinde zu sagen hat. Das zeigt sich bis in den Wortgebrauch
: wo von Rad vom Volk Israel spricht (z. B. zu Jes
40,3-8), sagt er durchgehend „die Gemeinde"; und auch
sonst ist die Sprache ganz der Predigtaufgabe angepaßt.
Dem entspricht es, daß in den Texten immer wieder das
„Spirituelle" hervorgekehrt wird (S. 28; 30; 55; 79; 80).
Wie merkwürdig, daß demgegenüber das Besondere des
AT im Unterschied zum NT, das Konkrete, Einfache.
Diesseitige, das von Rad in seinen sonstigen Arbeiten betont
, hier kaum je erwähnt oder als für die Predigt wichtig
hervorgehoben wird. Mit Nachdruck wird dagegen
die Beziehung der Texte auf das Christusgeschehen betont
. Die Beziehung der alttestamentlichen Texte auf
Christus oder das Christusgeschehen ist für von Rad in
diesen Meditationen kein Problem, sondern Voraussetzung
. Er <sagt ausdrücklich, daß die Predigt eines AT-Tex-
tes nur von dem Prediger zu verantworten ist, der von
dieser Voraussetzung ausgeht. „Predigen kann man über
einen solchen Text (Josua 1) wohl nur, wenn man zu sehen
vermag, daß das Heilsgeschehen, von dem hier die
Rede ist, in einem so engen Zusammenhang mit dem
christlichen steht, daß sich die christlichen Vorstellungen
auch in den alttestamentlichen Worten aussprechen lassen
" (S. 43). — Bei den Texten aus der Vätergeschichte liegt
für von Rad die „Geschichtlichkeit" in dem, was der
Glaube Israels aus den alten Traditionen geformt hat;