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Ausgabe:

1976

Spalte:

731-734

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Texts and responses 1976

Rezensent:

Beyse, Karl-Martin

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731 Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 10 732

das Reich des Geistes selbst sah er von den Mönchen und
nicht vom Klerus irgendeiner Form bestimmt. Joachims
Schriften gehören nicht eigentlich zur apokalyptischen
Literatur, mochten seine Prophezeiungen auch weithin so
mißverstanden werden, sondern zur chiliastischen Literatur
. Das Reich des Geistes ist bei ihm selbst noch nicht
das Reich Gottes, sondern gleichsam dessen irdisches Präludium
und geht in dieses nach neuen dramatischen Verwicklungen
über. Waldes — ob er einen Vornamen besaß,
ist nicht sicher — war kein Kaufmannssohn, sondern
selbst vor seiner Bekehrung Großkaufmann (94). Wal-
denser und Albigenser waren nicht zwei getrennte Gruppen
mit gleichen Zielen, denn „Albigenser" war eine
zeitweilige kirchliche Sammelbezeichnung für alle als
häretisch geltenden Gruppen Südfrankreichs. Zu ihnen
gehörten nach katholischem Urteil also auch die Walden-
ser, in erster Linie jedoch die Katharer. Katharer und
Waldenser aber dürfen unter keinen Umständen auf eine
Stufe gestellt werden, wenn sie auch in der gemeinsamen
Antithese gegen die offizielle Machtkirche zeitweilig gewisse
gemeinsame Züge ausbildeten. Die Katharer formierten
sich zu einer neumanichäisch-dualistischen, nichtchristlichen
Gegenkirche, die Waldenser dagegen waren
eine christliche Erneuerungsbewegung. Es trifft auch nicht
zu, daß die Waldenser der verweltlichten Hierarchie von
Anfang an und überall das Recht auf Verwaltung der Sakramente
abgesprochen hätten, wie wir spätestens seit
dem grundlegenden Werk von Kurt-Victor Selge über die
ersten Waldenser (Westberlin 1967) wissen. Der Albi-
genserkreuzzug war kein schwerer Eingriff in die Rechte
des französischen Königs, sondern dieser profitierte am
stärksten von seinem Ausgang. Dieser Krieg führte noch
nicht dazu, daß die Waldenser in wenige schwer zugängliche
Alpentäler zurückgedrängt wurden, vielmehr gelang
es diesen, für 2 bis 3 Jahrhunderte eine international
wirksame Untergrundkirche in vielen europäischen
Ländern aufzubauen. Hieronymus von Prag wurde nicht
zusammen mit Hus (121), sondern ein Jahr später verbrannt
. Es ist schade, daß über die einzelnen Fraktionen
der Hussiten und ihre Geschichte fast nichts gesagt wird.

Auf die Anführung gelegentlicher Unrichtigkeiten bei
Namen und Daten verzichte ich.

Die letzten Bemerkungen möchten den positiven Gesamteindruck
nicht mindern. Ich selbst bin auf die noch
folgenden Bände gespannt, zumal Ku. dort seine eigene
langjährige Forschungsarbeit fruchtbar machen kann.

Rostock Gert Wendelborn

[Glatzer, Nahum N.:] Texts and Responses. Studies pre-
sented to Nahum N. Glatzer on the Occasion of his se-
ventieth Birthday by his Students, ed. by M. A. Fish-
bane and P. R. Flohr. Leiden: Brill 1975. XIV, 325 S.,
1 Porträt, gr. 8°. Lw. hfl. 64,-.

Festschriften, einem Gelehrten aus bestimmtem Anlaß
dargebracht, geben oftmals einen Einblick in dessen besonderes
Arbeitsgebiet, indem die Beiträge Themen behandeln
, die mit diesem in engem Zusammenhang stehen
. Das hier vorzustellende Werk dagegen umfaßt im
weitesten Sinne die jüdische Wissenschaft: das Verständnis
des Alten Testaments, die Gedankenwelt der Rab-
binen, die Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer
hervorragenden Vertreter bis in die jüngere Gegenwart.
Da mehrmals der tiefe Eindruck der Persönlichkeit des
Jubilars hervorgehoben wird, so z. B. in den dem Jubilar
gewidmeten „Seven Poems" von Stanley F. Chyet
(S. 265—269), ist diese Breite der Themenstellung nur damit
zu erklären, daß Nahum N. Glatzer ebenso vielfältige
Anregungen seinen Schülern vermittelt hat. Davon legen
außer gelegentlichen Bemerkungen in den einzelnen Beiträgen
die Ausführungen von Everett Fox, Nahum Glatzer
as Teacher (S. 1—5) sowie die „Bibliography of the

Writings of Nahum N. Glatzer" (S. 307-323) Zeugnis ab.
Im folgenden werden nun die Autoren und ihre Beiträge
genannt und deren Inhalt skizziert.

Die ersten fünf Beiträge befassen sich vorwiegend mit
Problemen biblischer und rabbinischer Texte. Michael A.
Fishbane, The Sacred Center: The Symbolic Structure
of the Bible (S. 6—27): Bei der Suche nach der verbindenden
Linie der at.liehen Überlieferung zeigt sich, daß alle
dargestellten Perioden (Garten Eden, Kanaan, Sinai, Jerusalem
) einen symbolischen, mit Jahwe unmittelbar in
Beziehung stehenden Fixpunkt besitzen, der den Rahmen
für die „religious history" abgibt. — Eric M. Meyers,
The Use of Archaeology in Understanding Rabbinic Materials
(S. 28—42): Die Probleme, die sich bei der Heranziehung
der Archäologie für die Erklärung des AT ergeben
, werden sinngemäß auch für das Verständnis der
rabbinischen Literatur gesehen, aber trotzdem bleibt die
Forderung bestehen: „The time is thus ripe for a new
symbiotic relationship to evolve between the literary hi-
storian and the archaeological historian; and only when
these diseiplines are joined will it be possible to pene-
trate truly the world of the Talmud" (S. 31). - Joseph
P. Schulz, Two Views of the Patriarchs: Noahides and
pre-Sinai Israelites (S. 43—59): Während die at.lichen
Erzählungen die Patriarchen so darstellen, als handelten
sie nach den Sinaigesetzen, vertreten die zwischentesta-
mentlichen Schriften wie das Buch der Jubiläen, die Testamente
der XII Patriarchen sowie Philo und Josephus
die Ansicht, sie befolgten lediglich die im Noahbund enthaltenen
Anordnungen oder nur einen Teil der Sinaigesetze
oder sie seien selber zur Erkenntnis bestimmter
für sie verbindlicher Gesetze gekommen. In dieser Auffassung
spiegelt sich wohl der Versuch wider, unter Hinweis
auf die Patriarchen den Proselyten den Zugang zum
Judentum zu erleichtern. — Arnold A. Wieder, Josiah and
Jeremiah: Their Relationship According to Aggadic
Sources (S. 60—72): Die rabbinischen Quellen befassen
sich mit der Frage, warum Josia beim Auffinden des deu-
teronomischen Gesetzes nicht Jeremia, sondern die Prophetin
Hulda befragt, ob die an Josia gerichtete Warnung
nach 2 Chron 35,22 durch Jeremia vermittelt wurde,
und mit der Stellung Josias und Jeremias unter den Königen
und Propheten in Israel. — Judith Glatzer Wechsler
, A Change in the Iconography of the Song of Songs
in 12th and 13th Century Latin Bibles (S. 73-93): Dem
zunehmenden Einfluß der Marienverehrung in der
christlichen Theologie des Mittelalters entspricht der
Wechsel in der Illustration des stets allegorisch gedeuteten
Hohenliedes. War früher die Seele oder die Kirche
als Braut gedacht, so wird es jetzt Maria, die sowohl als
Braut wie auch als Kindesmutter dargestellt wird. Es
folgt eine Aufstellung der Handschriften, die dieser Untersuchung
zugrunde liegen.

Die nächsten Arbeiten haben das mittelalterliche Judentum
, seine Geschichte, Liturgie und Dichtung zum Gegenstand
. Sidney Steiman, High Holydays Liturgical Va-
riations among Ashkenazim and Sephardim (S. 94—107):
Der Vf. geht besonders auf die unterschiedlichen Gebräuche
innerhalb dieser Gruppierungen zum Neujahrsfest
ein, macht aber auch auf gegenseitige Beeinflussungen
aufmerksam. — Leon J. Weinberger, Anatolian and
Balkan Synagogue Poets (S. 108—119): Es wird die mittelalterliche
jüdische Synagogendichtung Osteuropas mit
ihren bedeutenden Vertretern vorgestellt und zugleich gezeigt
, wie sich in deren Wirken die politischen und gei-
stesgeschichtlichen Verhältnisse ihrer Zeit widerspiegeln.
— Jochanan H. A. Wijnhoven, The Zohar and the Prose-
lyte (S. 120—140): Das von Moses de Leon verfaßte kabbalistische
Werk beurteilt in der Mehrzahl seiner Ausführungen
den Proselyten als dem gebürtigen Juden ungleichwertig
, wobei sich diese Aussagen aus der Entstehungszeit
des Werkes (Spanien im 13. Jh.) erklären
lassen. — Arthur Green, Rabbi Nahman Bratzlaver's