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1976

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Missionswissenschaft, Ökumene

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1970 Nr. 9

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dynamik, aher auch manche traditionellen Einzolthomen
der Katechetik wie übor das Erzählen, die Textintor-
pretation, das Gespräch, das Spielen. In bezug auf die
musischen Möglichkeiten, besonders Singen und Feiern,
hat die kirchliche Unterweisung in der DDR einige
Erfahrungen anzubieten (sie werden allerdings nicht
zur Kenntnis genommen). Die wichtigen Titel zur
Methodik von I. Baldermann und H. Fror fehlen.

Daß auch der 2. Teil mit seinen wissenschaftstheoretischen
Überlegungen für den reflexionswilligen
Praktiker ergiebig ist, zeigt nicht nur der letzte Abschnitt
, in dem das Verhältnis der Religionspädagogik
zur Theologie und zur Kirche geklärt wird. Das Ergebnis
, in dem wiederum ein Programm sichtbar wird,
lautet: Religionspädagogik ist „jene praktisch-theologische
Teil-Disziplin, die die faktischen und gesollten
Lebcnsvollzüge der Kirche im Bereich der Erziehungs-
und Bildungswirklichkeit reflektiert" (S. 294). Drei
mehr theoretische Themen (Verhältnis von Theorie
und Praxis, Ideologiekritik, Modellbegriff) wollen
möglicho Irrtümer des religionspndagogisehen Keldes
aufdecken und stellen wichtige Reflexionen im Rückblick
auf das in der Didaktik Erörterte dar. Die sich
anschließende religionspädagogische Methodologie innerhalb
des Bereiches der Wissenschaftstheorie verfährt
exemplarisch und an der Curriculum-Strategie
orientiert. Innerhalb der theologiseh-hermeneutischcn
Methoden wird die historisch-kritische Methode besonders
behandelt. K. Wegenast bietet hier einen konkreten
Verfahrensvorschlag für die Untorrichtsvorbe-
reitung an. Unter den verschiedenen Methoden der
Humanwissenschaften sind wohl die der Psychoanalyse
etwas unterbewertet. Muß nicht die therapeutische
Konstellation eines religionspädagogischen Feldes stärker
beachtet und analysiert werden ? Ungewöhnlich
und sehr zu begrüßen ist der Abschnitt über die naturwissenschaftlich
-technischen Methoden.

Der 2. Band des Handbuches beschäftigt sicli mit
dem im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehenden
Gegenstand der Religionspädagogik, mit der
Didaktik des Religionsunterrichts unter den Verhältnissen
in der BRD. Die Aufgabe eines heutigen Handbuches
besteht darin, empirisch und sachorientiert in
elementarer Weise eine Übersicht über den dargestellten
Gegenstand zu vermitteln. Das kann in bezug
auf die Didaktik des Religionsunterrichts mit Recht
nur als gleichzeitige Darstellung der Problemlage und
Beschreibung der noch zu lösenden Aufgaben geschehen
. Indem in diesem Band Stellung bezogen wird,
erhält der Leser Anstöße zur eigenen Meinungsfindung,
so z. B. bei dem wiederholten Insistieren auf die Normfrage
. Der traditionelle Vorrang der Inhaltsfrage und
des Problems der Aneigungsformen ist abgebaut, die
Fragen der anthropologisch akzentuierten Planung
und der roalitätsbezogenen Kontrolle des Religionsunterrichts
erhalten den Vorzug.

Potsdam Dieter Roiher

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

Harms, Hartwig: Hamburg und die Mission zu Itcirinn des

19. Jahrhunderts. Kirchlich-missionarischo Vereine 1814
bis 1836. Hamburg: Wittig [1973]. 236 K. 8° = Arbeiten
zur Kircheiigeschichte Hamburg, 12. Lw. DM 24,—.

„Kritische Distanz" zur christlichen Mission, zumal
derjenigen des 19. Jhs., ist in den letzten Jahrzehnten
beinahe eine theologische Selbstverständlichkeit geworden
. Woniger als anderen christlichen Lebens-
üußerungen verzeiht man es der Mission, daß auch sie

nach Gestalt und Selbstverständnis ein Kind jeweils
ihrer Epoche war. Es ist an der Zeit, daß die modischen
Klischees, deren Diktat die Beurteilung der Mission
heute weithin unterworfen ist, einer stärker sachgemäßen
und sachkundigen Betrachtung Platz machen.
Sehr hilfreich sind hierfür solido historische Untersuchungen
, die präzise Fakten ausbreiten und es
dadurch ermöglichen, gängige Pauschalurteile zu überprüfen
. Solchen Dienst leistet zu ihrem Teil eine Heidelberger
Dissertation, die als Band 12 dor Arbeiten zur
Kirchengeschichte Hamburgs veröffentlicht ist.

„Im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts
entstand in Hamburg wie an anderen Orten in Deutschland
eine Anzahl von kirchlichen Vereinen und Unternehmungen
, die auf Grund ihrer missionarischen Zielsetzung
lind durch die mehrfache Mitgliedschaft dor
sie tragenden Persönlichkeiten eng verbunden sind . . .
Mit diesen Vereinen setzt eine neue Epoche in dor
missionarischen und karitativen Tätigkeit der Kirche
ein" (9). H.s gesamte Arbeit ist ein interessanter Belog
dafür, daß eine ihrer Vollmacht und Pflicht sich neu
bewußt werdende Kirche die missionarische und karitative
Aufgabe einerseits nicht als identisch, andererseits
aber auch nicht als Alternative ansehen konnte. Die
Gegenwartsfehde zwischen „Vertikalisten" und „Hori-
zontalisten" setzt keineswegs Auseinandersetzungen
fort, in denen schon vor 150 Jahren die Väter dor
äußeren und inneren Mission gostandon hätten. Auch
in anderer Hinsicht wehrt H.s Darstellung allen Versuchen
, moderne protestantische Polarisierungssucht
ohne weiteres in frühere Zeiten zurückzuprojizieren.
So stand z. B. die Gründung dor Hamburger Vereine
zwar „im Zusammenhang mit dem Aufbruch der Er-
weckungsbewegung nach den Freiheitskriegen, ohne
doch durch dieses Stichwort vollständig gekennzeichnet
zu sein". Denn es haben „neben den Erweckton und
Pietisten auch Rationalisten Anteil an dor Arboit der
Vereine genommen" (ebd.). Es ist wichtig — nicht nur
hinsichtlich der Hamburger Situation —, daß „verschiedene
theologische Richtungen und andere zeitbedingte
Einflüsse die Gründung missionarischer Vereine
und ähnlicher Unternehmungen veranlaßt und
auf ihre Entwicklung eingewirkt" hüben (10 f.).

Was die heute übliche Geringschätzung kirchlicher
Vereine oder Gesellschaften betrifft, so führt H. den
Nachweis, daß eben diese Arbeitsform in hohem Maße
zweckdienlich war, weil sie dem staatskirchlielien
Bürokratismus entgegenwirkte und Amtsträgern wie
auch Laien, denen es nicht um Positionen und Publicity,
sondern um die Sache zu tun war, vielfältige Wirkungsmöglichkeiten
bot, freilich auch nicht selten
ein respektables Maß an Zivilcourage abforderte.

Nach einem Überblick über die kirchliche Lage in
Harnburg und Altona vor den Befreiungskriegen behandelt
H. nacheinander die Hamburg-Altonaischo
Bibelgesollschaft (HABG), dio Niedersächsische Gesellschaft
zur Verbreitung christlicher Erbauungsschriflen
(NG), den „Friedensboten", den Evangelischen Missionsverein
in Hamburg (HMV), dio Judenmission und
die Sonntagsschulen.

Der einleitende Überblick bringt in Erinnerung, daß
es zu den Mirabilia der Kirchengoschichte zu rechnen
ist, wenn sich in einer Stadt wie Hamburg ein geistlicher
Neuanfang ereignete. Herrschte doch dort am Anfang
des 19. Jh. — „von dorn grüßten Teil der Presse, der
Geistlichkeit und der Senatorenschaft offen oder
schweigend unterstützt" (17 f.) — ein vulgär aufklärerischer
Geist, dem reformatorische Frömmigkeit
als Mystizismus, Aberglaube und Roehtfortigungslehre
als das unmoralischste aller Dogmen galten.