Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1976

Titel/Untertitel:

Katechetik und Religionspädagogik

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

711

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 9

712

und bewirkt, als Gegenwartsgestalt zu nein für ein
gnadenhaft geschenktes Wirken Gottes" (02).

Neben diesem der Liturgiewissensohaft neue Perspektiven
eröffnenden Vortrag kann auf die anderen,
gewiß instruktiven Beiträge nur gerade noch hingewiesen
worden: Der durch seine, intensive Mitarbeit
an der liturgischen Krneuerung der kat holischon Kirche
seil dem II. Vatioanum bekannte Emil J. Lengeling
stellt- „Liturgie als Grundvollzug christlichen Lobens"
dar. Dor evangelische Liturgiker Frieder Schulz zeigt
«len ,,Gottesdienst in evangolischer Sicht", und der
Hamburger Praktische Theologe H.-H. Müller-Schwefe
eröffnet „Fastorale Perspektiven für den christlichen
K.". Unter dem Titel „Zehn Jahre danach. Zur gottes-
dienstlichen Situation in Deutschland nach Erscheinen
der Liturgie-Konstitution (1903)" gibt Balthasar Fischer
in der Erörterung von drei Thesen eine Situations-
analyse, aus dor auch für dio evangelische Kirche
manches zu lernen ist.

Greifswald William Nagel

KATECHETIK UND
RELIGIONSPÄDAGOGIK

Lötzgeh, Frieder: Kritik der Autorität. Das Sittengesctz als
pädagogisches Problem bei Luther, Kant und Schloior-
maoher. Köln-Wien: Böhlau 1974. VIII, 196 S. gr. 8°.
DM 28,—.

Thema dieses Buches ist die Kern- und Krouzfragc
aller Pädagogik: „Wie ein äußerer fremder Wille . . .
im Zögling autonomer Wille, d. i. zum Motive der
Sittlichkeit wird" (2). Vorausgesetzt ist dabei natürlich,
daß wahro Sittlichkeit (nach Kants Terminologie)
Moralität und nicht Legalität ist, oder (nach Luther),
daß nicht gute Werke den Menschen wahrhaft gut
machen, sondern alloin ein roinos Horz. Vorausgesetzt
ist weiter, daß Ziel aller Erziehung eben diese w.ihro
Sittlichkeit ist. Unter diesen (von Lötzscb freilich nicht
klar reflektierten) Voraussetzungen logt der Vf. das
Maß an die Erziehungßlehren Luthers, Kants und
Schleiermachers und befindet, daß allein Schlcior-
macher dem Maß genügt. Am schlechtesten sehneidet,
Luther a.b. Lötzsch zitiert mehrfach, mit dem Ausdruck
pädagogischen Entsetzens, Luthers Aussage, daß man
den Kindern „nicht Essen noch zu trinken geben"
solle, sie hätten denn den Katechismus aufgesagt
(39. 48. 50). Damit vortritt Luther nach Meinung «los
Vfs. eine hoteronomo Sittlichkeit: Voraussetzung aller
Sittlichkeit ist das Ergriffenwerden des Menschen von
der göttlichen Gnade. Daß dies aber hoteronomiseh
zu verstehen ist, hält Lötzsch wogen der unter dieser
Voraussetzung dann möglichen und gebotenen „autoritären
" Erziehung für erwiesen: Luther hat einen
durch den Nominalismus bestimmten Gottesbegriff.

Kant hat zwar — nach Meinung des Vfs. — Luthers
Heteronomie und Nominalismus überwunden; l'rin/.ip
aller Sittlichkeit ist bei ihm die Autonomie des Willens:
„Dio pädagogische Situation ist bei Kant oino grundlegend
andere als bei Luther: kommt es doch nunmehr
darauf an, durch menschliches Erziehutigshandeln don
Zögling zu der Ausübung der Sittlichkeit zu fuhren
und diese nicht mehr einem außermenschlichen Einfluß
wie der Gnade Gottes zuzuschreiben" (48). Indessen
bleibt doch auch Kant unter der gleichen
Verdammnis wie Luther, weil er über den natürlichen

Menschen das gloiche Urteil fällt wie Luther, daß —
nach dem Maß des kategorischen Imperativs — der
Mensch radikal böse sei. Damit fällt aber bei Kant, da
eben der autonome Wille dieses Menschen die einzig
mögliche Triebfeder sittlicher Bildung ist, die Möglichkeit
von Pädagogik überhaupt hin! „Auch Knut, weiß
keine pädagogisch gültige Methode zur intensiven
Besserung der durchs radikale I Jose bet roffenen Menschheit
anzugeben" (71).

Dio überraschende Losung bietet dann Schleier-
machor: „Avis echter pädagogischer Sorge" hat
er „seinen schwierigen Weg einer Neukonstruktion
der Ethik (ungeschlagen" (85: Sperrung vom Ro-
zensenten). Offenbar aus dieser Sorge heraus mußte
Sohloiei-machcr „don kategorischen Imperativ aufhellen
, um für die Pädagogik Platz zu bekommen"
(13). Sohleiermacher „nivelliert" zu diesem Zweck „die
ursprünglich von Kant getroffene Unterscheidung"
zwischen Moralität und Legalität (151 f.) dergestalt,
daß die durch pädagogischen Zwang (Strafe) erreichte
Legalität nicht ohno sittlichen Wort sei, sondern die
wahre Sittlichkeit abbilde („präjudiziell": 151) und
dadurch „dio Achtung des Zöglings vor den Zwecken
dor Erziehung auf ihn selbst zu richten hilft und ihm
durch Aufhebung dor Exklusivität seiner subjektiven
Gesinnung gegenüber ihrer Befolgung die oxokutorische
Wirklichkeit gibt, ein sittlich gebesserter Mensch zu
sein" (154). Es kommt also „beim Zögling darauf an,
dio Kovolution seiner Denkungsart didaktisch metho-
disierbar zu machen" (174), und dies geschieht so, daß
er sich zu dem Wert der legalistisch vollbrachton sittlichen
Leistung auch „persönlich bekennt" (104). Die
entscheidende Frage freilich, wie es denn nun wirklich
zu diesem persönlichen Bokonntnis kommen kann,
läßt der Vf. Schloicrmachor auch nur so lösen, daß es
eine Frage der Zeit sei (183 u. ö.).

Der Inhalt dos Buchos spricht gegen sich selbst.
(Dies wird freilich durch soino Unlesbarkoit verdeckt,
dio es der in dor Pädagogik boliobton Fromdwort-
schwolgoroi und dem widernatürlichen Satzbau vordankt
.) Am meisten tut der Vf. Schloicrmacher Unrecht
: Er läßt ihn auf oino Frage antworten, dio
Schleiormachor so nicht stellt, nämlich auf die nach
dem Worden dor wahren Sittlichkeit im einzelnen.
Schloiermachcr faßt bekanntlich die Ethik als eine
don „othischen Prozeß" der Verwirklichung dor Kulturgüter
in dor Menschheitsgeschichte beschreibende
Wissenschaft. Eine solche Beschreibung muß natürlich
den unbedingten Gegonsatz zwischen Gut und
Boso (und damit zwischen Logalität und Moralität)
in einon in dor Zeit vorlaufenden und psychologisch
beschreibbaron, freilich stets unabgeschlossonou Prozeß
betrachten. (Ein Vorgleich Schloionnachers mit Luther
und Kant müßte dioses völlig unterschiedliche Grund-
Verständnis des Ethischen zum Gogonstand haben
und nach dessen Wahrheit fragen.) Daß aber auch
Schloicrmacher (im Kähmen dieser Betrachtung) zwischen
Logalität und Moralität oder zwischen guten
Werken und dorn reinen Herzen unterscheidet
und sohr wohl weiß, daß das eigentliche Ziel der Menschwerdung
, das reino Herz, sich jeder pädagogischen
Bemühung ontzioht, hätto Lötzsch in den „llaus-
standpredigton" von 182t) und bosondors in der
Kefoiinations-Fcstprodigt von J817 nachlesen können.
(Dieser wahro Schlüssel zu Schleiermachers Pädagogik
ist offenbar den Pädagogen ganz unbekannt) di*
Texte stehen eben nicht in den gängigen Sammlungen.)

Schleierniacher spricht diesen Gegensatz sogar viel
schärfer aus als ■/.. Ii. Fichte; bei Lötzsch aber erscheint
Schleiermachers Ethik als roino Leistungsmorali