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1976

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Liturgiewissenschaft

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sierten fatalen Alternative zu verfallen, und zwar der
„Abhängigkeit von einer normativen Dogmatik".
Recht verstandene Theologie leitet hier dazu an, die
vielfältigen Probleme zu sichton und aufzugreifen, dio
heute die gottesdienstliche Predigt in Frage stellen.
Kein dogmatistisches Diktat, das die Antwort schon
kennt, zwingt dazu, sie zu übersehen oder zu verschleiern
; die soziologischen und psychologischen, aber
auch die gesellschaftlichen und ekklesiologischen Faktoren
werden offen genannt und erwogen, und es wird,
anders als in vielen homiletischen Lehrbüchern, nicht
nur vom „Hörer", sondern es wird von der „hörenden
Gemeinde" gesprochen, nicht zufällig auf dem Hintergrund
der Verwandlung der Volkskirche in eine Diasporakirche
(S. 09), die als solche mitsamt der „radikalen
Änderung", die sie mit sich gebracht hat (ebd.),
wahrgenommen wird — nüchterner, als das in den
Kirchen westlich der Elbe der Fall ist, wiewohl auch
hier der Gottesdienst längst zur „Restversammlung"
der Gemeinde geworden ist (S. 74, 94). Drei von acht
Vorträgen behandeln thematisch den Ort der Predigt
innerhalb des Verkündigungsauftrags und Zeugnisses
der Gemeinde (E.-H. Amberg, M. Seils und Ch. Schröter
). Ch. Demke, der auch den zusammenfassenden
Bericht geschrieben hat, erörtert, wie der Text als
hilfreiche wie auch als hindernde Störung der Predigt
zum Zuge gebracht werden kann; darauf, daß nicht
Texte, sondern Christus als Gegenstand der Texte zu
predigen ist, hat schon H. J. Iwand insistiert. Dio
gesellschaftspolitischen Faktoren werden reflektiert
von M. Henschel und H. Langhoff, der zur Frage dos
Dialogischen Erhellendes beiträgt, vor allem aber von
H. Zeddies, aus dessen Aufsatz „Zum Öffentlichkoits-
charakter der Predigt" ich am meisten gelernt habe.
Sein Offentliehkeitsbegriff ist kein ideologischer, sondern
ein intensionaler; daß Öffentlichkeit und Verhüllung
da. wo es um das Evangelium geht, korrespondierende
Begriffe sind, wird einleuchtend gemacht; kein „Offen t-
liehkeitsanspruch" kann die Öffentlichkeit, die das
Evangelium sich schafft, erstreben oder gar sichern,
sondern nur dementieren. Weiterführendes wird gesagt
über die Funktion des Pfarrers in der Gemeinde, der
„nicht mehr so sehr Träger, sondern auch Trainer der
Verkündigung sein" wird (S. 107). Wenn jemand von
der „Verantwortung der Kirchenleitung für den
Predigt dienst- heute" schreibt (H. Ammer), ist es kaum
vermeidbar, daß auch gestrige Gesichtspunkte sich einmischen
. Heißt Predigen ..jeden Sonntag ...immer
w ieder et was Neues und interessantes sagen ZU müssen"

(S. 118)? Oder geht es darum, daß das Nene gesagt
und angesagt wird, das als solches nicht eigens interessant
gemacht werden muß ? Das Puch erweckt den
Eindruck, daß die homiletische Einsicht in der DDR
der, wie sie sich in der BRD dokumentiert, um einiges
voraus ist. Es sei allen empfohlen, die sieh für die
Predigt verantwortlich wissen. In der BRD wird es
durch den Luther-Verlag in Bielefeld ausgeliefert.

Friedborg Walther Kürst

LITURGIEWISSENSCHAFT

Adam, Adolf: Krneufrte Lilurgie. Ein Sachbuch zum
katholischen Gottesdienst. Kroiburg-Bnscl-Wien: Horder
[1972]. 208 S. 8°. Kart. DM 22,—.

Dies Buch ist nicht ein Fach- sondern ein Sachbuch.
Das heißt also, es greift nicht in das Gespräch der
Fachgelehrten ein, sondern wendet sich an einen weiteren
Leserkreis, um ihn zu informieren. Als Leser kommen
alle in Betracht, die aus beruflicher Notwendigkeit

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(z. B. evangelische Pfarrer), Examensgründen oder
persönlichem Interesse am Gottesdienst und seiner
Gestalt für das Thema interessiert sind. Es dürften
nicht wenige evangelische; Theologen sein, dio danach
fragen, was denn nun eigentlich das 2. Vatikanum für
die Erneuerung des gottesdienstlichen Lebens in der
katholischen Kirche erbracht hat. Sie werden über
dio Fülle überrascht sein und es dankbar annehmen,
daß sie durch dieses Buch sachlich und abgewogen in
die Fakten und Problemo eingeführt werden. Vor allem
werden sie sehen, wie nahe sich die Erneuerung der
römischen Messe und des lutherischen Gemeindegottesdienstes
kommen.

Unter den 16 Kapiteln des Buches wird der evangelische
Leser besonders an dem 0. über die Feier der
Eucharistie und dem 7. über das Bußsakrament und
die Bußfeier, also das, was unter den Begriff Beichte
fällt, interessiert sein. Aber auch die Ausführungen über
„Liturgie und 2. Vatikanum", speziell die Richtlinien
der Reform (1. Kap.), die Erörterungen über Probleme
und Mißverständnisse der Liturgie, z. H. das Problem
der gottesdienstlichen Sprache (2. Kap.), und Kirchenjahr
und Kirchenraum (3. und 4. Kap.) dürfen auf
sein Interesse rechnen. Im 5. Kap. weiden Taufe und
Firmung so behandelt, daß auch für die Frage der
Konfirmation manches Bedenkenswerte abfallt, zumal
was ihr Verhältnis zur Taufe anbetrifft. Im 8. und 9.
Kapitel geht es um Fragen, die uns unter den Stichwörter
! Krankenseelsoigo und Ordination vertraut
sind (Sakrament der Krankonsalbung und YVeihe-
liturgie). Gelegentlieh hört man heute von gemeinsamen
Trauungen konfessionsversehiedener Paare.
Dazu nimmt das 10. Kapitel in sehr sachlicher und
abgewogener Weise Stellung. Die Kapitel 11 bis Iti
behandeln das kirchliche Stundengebet, dio Sterbe-
und Begräbnisliturgie, die monastischen Riten, dio
übrigen Sakramentalien, Liturgie und Kirchenmusik
und die Frage der Zukunft der Liturgie.

Da. es hier nicht möglich ist, auf den Inhalt dos
Buchet im einzelnen einzugehen, möge es wenigstens
durch Sätze uns dem Sehlußknpitol unmittelbar zur
Geltung kommen. „Überschaut man dio Vielfalt
liturgischer Reformen mit den Augen derer, die sich in
Jahrzehnten vor dem Konzil für eine liturgische
Erneuerung tatkräftig, aber zumeist, ohnmächtig eingesetzt
haben, dann sind ihre Ziele nicht nur orreicht,
sondern weil übertreffen" (8. 20.'!). „Es ist deshalb
Überraschend, daß es Stimmen der Unzufriedenheit
giht, denen das in wenigen Jahren Erreichte bei weitem
nicht zu genügen scheint. Sie fordern noch mehr
l'luralität des Gottesdienstes, mehr Gestaltungsfreiheit,
mehr Kreativität, mehr Verfremdung des Gewohnten,
mehr Verbundenheit mit dem alltäglichen Loben.
Man tut so, als ob dio heutige Glaubenskriso ihre
Ursachen in der Gestalt unserer Liturgie habe, anstatt
zu erkennen, daß dio von andern Wurzeln gospoisto
Krise des Glaubens und religiösen Lebens dio Hauptschuld
an einer gewissen gottesdienstlichon Müdigkeit
und Gleichgültigkeit hat" (S. 203). „Es ist auch nicht
zu verkennen, daß in unserer Zeit . . . die .freigestaltenden
Liturgen' Gefahr laufen, daß sie neben subjektiven
Liebhabereien und Einseitigkeiten auch ideologische
und doktrinelle Elemente einbringen, dio die richtigen
Akzente verschieben und Verwirrung in die Gemeinden
tragen. Würde der Grundsatz einer weitgehend vorgeformten
Liturgie zugunsten unbegrenzter Freiheit
aufgegeben, dann könnte bei der Vielzahl von Liturgen
und Gemeindon hier und da leicht dio Einheit und
Wahrheit im Glauben Gefahr laufen" (S. 205).

Hamburg Walter Uhsadel

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 9