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1976

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Praktische Theologie

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Theologischo Litoraturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 9

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zuzählen, geschweige denn iliro Erörterung im einzelnen
zu beleuchten. Es kann liier nur über einige
Beobachtungen berichtet werden, die dem Rezonsenten
als typisch für das ganze Werk erscheinen.

Auffällig ist, daß bereits das Einleitungskapitel in
seinem Kern eine Darstellung der lutherischen Recht-
fortigungslehro enthält. K. geht es darum, die „Lehro
von Gesetz und Evangelium als inhaltliche Einleitung
zur Dogmatik" (17) darzustellen. In deutlicher Anlehnung
an die (JA wird zunächst die Sündonlehre entfaltet
, dann über das Gesetz und schließlich übor die
Rechtfertigung gehandelt. Dies ist für R. offensichtlich
der „Gegebene Ansatzpunkt", von dem aus alle dogmatischen
Probleme behandelt werden (9). Dementsprechend
wird dann auch in den anderen Kapiteln die
Kategorie der Rechtfertigung bzw. die Spannung von
Gesetz und Evangelium immer an entscheidender
Stelle ins Spiel gebracht. Dies gilt sowohl bei der
Beurteilung der Religionen (53), als auch bei der Einteilung
der göttlichen Eigenschaften (63). ja sogar im
Abschnitt über dio Schöpfung, wo es heißt, daß dio
Rechtfertigungslehro „Deutungsprinzip auch für die
Welt" sei (69). Noch deutlicher wird diese Methode in
den Kapiteln über Jesus Christus und über den Heiligon
Geist, in denen jeweils am Ende in einem besonderen
Abschnitt die Beziehung zur Rechtfertigungslehro hergestellt
wird (vgl. 111 ff. und 193 ff.).

R.s entscheidendes Argument ist dabei, daß es sieh
beim christlichen Glauben um einen „Hoilsglaubon"
(19) handelt. Im Gegensatz zu allem Intellektualismus
soll das Interesse der Dogmatik auf das gerichtet
werden, „worin im Leben und im Sterben unser Heil
begründet ist" (19). „Am Anfang der Dogmatik steht
der Christ auf seinem Weg vom scheiternden Sünder
zum Gerechtfertigten" (19). Dabei kann die Dogmatik
diesen Weg „nicht denkend erschließen, sondern
knüpft daran an, daß der Wog in der christlichen
Existenz erfahren wird" (19).

Damit ist ein für dio vorliegende Dogmatik entscheidendes
Stichwort gefallen. Gesetz und Evangelium
sind für R. deshalb so wichtig, weil sio die Grund-
erfahrung des Glaubonden symbolisieren. Erfahrung
aber bürgt für die Realität des Geglaubten. Das wird
am deutlichsten innerhalb der Christologie. So wird
die „Überzeugung von der Realität der Auferstehung
Jesu" als eine ,, Grunderfahrung der christlichen
Kirche" bezeichnet (88). .Solche Erfahrung ist „grundsätzlich
von jedermann nachvollziehbar", und zwar
als „Erfahrung der Befreiung von der Todesangst und
der bewußten Eröffnung einer neuen Zukunft" (90).

R. ist sich darüber im klaren, daß er sich mit dieser
Betonung des Erfahrungsbegriffs auf gefährlichen
Boden begibt. Er verwahrt sich ausdrücklich dagegen,
damit etwa einen ,, .empirischen' Beweis" für die
Auferstehung führen zu wollen (113). Dio Priorität des
Glaubens soll gerade im Blick auf die Auferstehung
und damit auf die Gottheit Jesu nicht angetastet
werden. Es geht nicht, um Erfahrung im Sinne eines
für jeden Menschen beweisbaren Vorgangs, sondern
um „religiöse Erfahrung" (89), eben um das. was den
Menschen auf dem Weg vom Gesetz zum Evangelium
charakterisiert. Wenig überzeugend ist es freilich, mim
R. gerade in diesem Zusammenhang gegen „jede
Christologie, die mit existontialen Kategorien arbeitet"
(113), Stellung bezieht und dio Notwendigkeit des
Christus extra nos für die Keehtfertigungslehro und
den Glauben überhaupt betont. Wo der Erfahrung
eine derartige Schlüsselstellung innerhalb der Dogmatik
eingeräumt wird, da kann trotz gegenteiliger Be-
teuerungen das in der lutherischen Rechtfertigungslehro
verankerte extra nos nicht mehr wirklieh zum
Tragen kommen. Das zeigt sich bereits im Binleitungs-
kapitel im Abschnitt übor das Wort Gottes. Ob es
wirklich sachgemäß ist, Wort Gottes lediglich als
„Oberbegriff" zu Gesetz und Evangelium zu verstehen
, auf den nicht ganz verzichtet werden kann,
weil er „nun einmal zu einem der wichtigsten Begriffe
unserer Kirchensprache geworden" ist (41) ? Auch
wenn die Reformatoren „keine hehre von der Schrift,
im eigentlichen Sinne" kennen, auch wenn dio Unterscheidung
von Gesetz und - Evangelium als grundlegend
für die Theologie anerkannt wird, darf doch
nicht übersehen Werden, daß Gesetz und Evangelium
nur deshalb wesentlich für uns sind, weil in ihnen
Gott rodet, weil sie Formen des Wortes Gottes sind.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
hier eine gowil.t wesentliche theologische Unterscheidung
aus ihrem Zusammenhang gerissen und zum
allgemeinen Prinzip gemacht wird.

Die Folgen dieses Denkansatzos ließen sich an vielen
Punkten des Buches nachweisen, z. B. bei der Beurteilung
des Opfers Christi und im Kapitel über die
christliche Hoffnung. Trotzdem soll über dieser grundsätzlichen
Kritik nicht vergossen werden, daß R.s
Dogmatik viele Vorzüge hat. Vor allem im Kapitel
über den „Heiligen Geist und das Leben der Kirche"
findet sich vieles, was auf vorbildliche Weise dio Brücke
von der Dogmatik zur praktischen Theologie sehlägt.
Man kann nur hoffen und wünschen, dal.) dieses Buch
benutzt wird und so dazu beitragt, daß der Abstand,
der zwischen der offiziellen Lehro unsoror Kirche und
dem Leben der Gemeinden besteht, geringer wird.

Karl-Marx-Stadt Friedrich Jacob

PRAKTISCHE THEOLOGIE

hvand, Bans Joachim: l'rttdiidmcditationen. 2. Folge.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 235 S. gr. 8°.
Lw. DM 24,—.

Nitschke, Horst [Hrsg.]: Wart« zum Taps. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1973). 388 S.
8°. Lw. DM 14,80.

—: Das Wort vom Kreuz heute gSMgk Predigten der
Gogenwart. Gütersloh: Güterslohor Verlagshaus Gerd
Mohn L1973]. 157 S. 8". DM 14,80.

In der „Zweiten Folge" sind Predigtmeditationen
des Vf's. enthalten, die er in verschiedenen Bänden des
Werkes „Herr, lue meine Lippen auf" Veröffentlicht
hat. Helmut Gollwitzer hatte bereits auf sie — wenigstens
zum Teil — hingewiesen (vgl. das Geleitwort in
der Ersten Folge der l'redigtmeditationon, 1903,8. II).
Bs handelt sich um „klassische" Meditationen, die
nicht veraltet sind, obwohl sie bereits zwischen 1939
und 1959 entstanden sind. Nach wie vor enthalten sie
wesentliche systematisch-theologische (iodankengänge,
dio zur präzisen theologischen Überlegung anrogon.
Klassisch wirkt auch die Zitierung großer Geister ans
Kirche und Welt (Hieronymus, Chrysostomus, Luther,
Calvin, Bengel, Barth, Schniewind ; Dostojewski, Kierkegaard
, Niotzscho u. a.). Wer von uns setzt sieh mit
ihnen noch auseinander? Ks soll Lutheraner geben, die
monatelang keine Silbe aus Luthers Werken im Original
lesen. Stellonverwoiso machen deutlich, wie von dor
Voraussetzung der Einheit dor Heiligen Schrift her
gedaebt wird. Eine Beschreibung der Hörersituation,
an der zur Zoit größeres Interesse besteht, kommt im
Blick auf die Breite menschlicher Existenz nicht, vor;
aber ihre Tiefo wird ausgelotet. Gewiß wirkt dio eine