Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1976

Titel/Untertitel:

Systematische Theologie

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

697

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 9

698

Bewußtsein in Deutschland erst nm Ende des 18.
Jahrhunderts als dialektischer Gogenbogriff der Revolution
eingefühlt" wurde, zeigt Benz an interessanten
historischen Beispielen, daß Darwins Erkenntnisse
über die Abstammung des Menschen philosophisch
sowohl zu einem evolutionistischen Optimismus als
auch zu einem resignierenden Pessimismus gefühlt
haben und klärt an Hand verschiedener Äußerungen
Darwins dessen eigene Auffassungen über die weltanschaulichen
Folgerungen seiner Erkenntnisse. Im
Zusammenhang des seinerzeit erörterten Problems
einer „Wahlverwandtschaft zwischen Sozialismus und
Darwinismus" wird auf die Kontroverse zwischen
Rudolf Virchow, der sie behauptete, und Ernst Haeckel,
der sie bestritt, eingegangen. Nach einer interessanten,
kurzen Darstellung des katholischen Widerstandes
gegen dio ISntwickhmgslehre schildert Benz den berühmten
Tennessee-Prozeß von 1925, der durch den
Film „Wer den Wind sät ..." ja sehr bekannt wurde.
Im Anschluß daran berichtet Benz dann relativ ausführlich
und außerordentlich instruktiv über bei uns
bisher kaum bekannte amerikanische Theologen, die
bereits im 19. Jh. die Entwicklungslehre sehr positiv
der Theologie adaptiert haben. Vieles von dem, was
sich uns mit dem Namen Teilhard de Chardin verbindet,
wurde ganz ähnlich, vielfach sogar offener und deutlicher
von ihnen vertreten. Dieser Abschnitt verdient
seitens der Theologen eine ganz besondere Beachtung.

Abgewogen und belehrt durch die Erfahrungen mit
dem verbrecherischen Faschismus zeichnet Gunter
Mann ein differenziertes Bild der Entwicklung von
„Rassenhygiene- Sozialdarwinismus" bis zum 1. Weltkrieg
. Ergänzend hierzu behandeln Eduard Seidler und
Günter Nagel das Thema : ..Georges Vacher de Lapouge
(1854— 193(1) und der Sozialdarwinismus in Frankreich".
Für das ethische Nachdenken des Christon sind diese
Darlegungen unzweifelhaft anregend und bedeutsam.
Auf 38 Seiten setzt sich Werner Friedrich Kümmel mit
„Musik und Musikgeschichte in biologistischer Inter-
pretation" auseinander. Für den musikwissenschaftliehen
Laien ist dieser zitatenreiche Vortrug vermutlich
anregend und interessant, aber auch überfordernd;
jedenfalls ging es dem Rezensenten so.

Die beiden kürzeren, sich ergänzenden Aufsätze
Von Helmut Going „Bemerkungen zur Verwendung
des Organismusbogriffs in der Rechtswissenschaft des
19. Jahrhunderts in Deutschland" und von Fritz
Wieaeker „Bemerkungen über Ihering und den Darwinismus
" führen dem Leser nochmals — wie im
'bundo der ganze Band — vor Augen, daß ein Analogiedenken
, das Gesetzmäßigkeiten der Natur in Geschichte
und Gesellschaft wiederfinden möchte, zwar
sehr anregend sein kann, aber auch vielfach problematisch
, ja bisweilen geradezu gefährlich ist.

Obwohl gerade der Theologe von seinen speziellen
Voraussetzungen der Schöpfungslehre her dem Gedanken
einer Natur und Geschichte in gleicher Weise
durchziehenden allgemeinen Gesetzmäßigkeit nicht von
vornherein ablehnend gegenüberstehen sollte, denn
Gott könnte es ja aus einer Art ästhetischem Monismus
heraus in der Tat so geordnet haben, darf man auf
Rar keinen Fall kurzschlüssig spekulativen und monistischen
Bedürfnissen unkritisch nachgeben. Das
Studium dieses Bandes kann den Theologen vor der
Versuchung bewahren, kurzschlüssig naturwissenschaftliche
Denkmodelle allzu einseitig auf sein eigenes Ge-
hiet zu übertragen, so daß es nicht nur wegen des ausgezeichneten
Beitrages von Ernst Benz für ihn durchaus
Bewinnbringond ist.

Berlin Hans Hinrich Jenssen

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Track, Joachim: Der theologische Ansatz Paul Tillichs.

Eine wissenschaftstheorotische Untersuchung seiner „Systematischen
Theologie". Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht [1975]. XI, 538 S. gr. 8° = Forschungen zur
systematischen u. ökumenischen Theologie, hrsg. v. E.
Schlink, 31. Kart. DM 48,—.

„Zu beginnen wäre mit der Beobachtung, daß
Theologie sich heute oft als Artistik darstellt, als
ein Drahtsoilakt in schwindelnder Höhe. Auf Hochglanz
geputzte Formulierungen werden zur Schau gestellt.
Doch nur selten steigt einer auf das Baugerüst, dient
der oikodomü ... der christlichen Gemeinde, und
beschmutzt sich im alltäglichen Werk", klagt H.-J.
Kraus über dio Theologie seines Erfahrungsbereichs
Liest man den Untertitel des vorzustellenden Werks
und nimmt man zur Kenntnis, wie sehr Track das
Vokabular der westlichen Hemisphäre in diesem
Jahrzehnt offensichtlich vertraut ist, könnte befürchtet
werden, daß das Urteil von Kraus auch auf dieses
Buch zutrifft. Allein: Dem Vf. mißrät die Sprach-
garnitur nie zur sprachlichen Garnierung. Hier wird
diszipliniert gedacht und geschrieben. Mag sein, daß
die Verwendung des Begriffs „Wissenschaftstheorie"
etwas hoch ansetzt, auf jeden Fall wird theologischo
Arbeit bis auf ihre Grundlagen durchschaubar gemacht
. Und das meint das Anliegen doch wohl.

Der hoffnungsvolle Verdacht auf eine Praxis einschließende
theologische Theorie wird am Schluß des
Buches — und dort nun nicht mehr völlig überraschend
— erhärtet durch Sätze, die die Position des Autors
umreißen: „Gott will uns zuallererst durch seine
konkret werdende Liebe überwinden. Dazu bietet er
das Aufgebot des Glaubens auf, durch das er sich vermitteln
will. Darum sind wir, im täglichen Dialog und
in der täglichen Praxis gefragt, ob wir das Aufgebot
des Glaubens sind. Glaube will kenntlich und konkret
vermittelt werden. Dies sind wir, die wir in der Gewißheit
des Glaubens und zugleich im Zweifel an unserem
Glauben leben, Gott und dem anderen schuldig" (420).

Die theologische Theorie kann unsachgemäßen
Anforderungen gegenüber notwendig nicht das Geforderte
leisten. Aus diesem Grunde beendet Track
seine Untersuchung der „Systematischen Theologie"
Tillichs mit einem — nach seinen eigenen Worten —
ehrerbietigen und dankbaren Widerspruch: „Dies aber,
was Tillich in seiner spezifischen Prägung der Methode
der Korrelation anstrebt, die Frage nach Gott als
denknotwendig und lebensnotwendig zu erweisen,
leistet Tillichs ^Systematische Theologie' nicht" (421).

Dieses Ergebnis folgt aus der kritischen Rekonstruktion
des Tillichschen Systems. Dabei betont der
Vf. von vornherein, daß es ihm um eine formal-
kritische, nicht um eine inh altl i ch -kritische Rekonstruktion
geht. Die Methode wird mit allen Erschwernissen
für den Leser durchgehalten. Wenn
dieser dennoch Schritt für Schritt zu folgen vermag,
liegt es an der unprätentiösen Sachlichkeit des Autors,
der den Fortgang seiner Untersuchungen Punkt für
Punkt einsehbar begründet. Dabei wird Tillichs Ansatz
gewiß formalisiert und sozusagen auf „die magere
Schnur einer Idee" goreiht (Goethe). Darum wünscht
man sich mitunter Tillichs lebendige Sprache und dio
anregende Fülle seiner Weltbezüge. Doch deren In-
konsistenz bzw. Unscharfe werden eben durch diese
nüchterne Analyse entmythologisiert. Dies trifft etwa
zu, wenn Tillich seine philosophischen und theologischen
Entscheidungen nicht als solche kennzeichnet,