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1976

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Naturwissenschaft und Glaube

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Tiicologische Litoraturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 9

694

Jahre 1868 geäußerten Gedanken König Wilhelms I.,
«ich im Kölner Dum zum Kaiser krönen zu lassen.
Dazwischen Inj; die vielleicht von Boisseröc ausgehende
und 1841 mit dem König erörterte Idee, den Dom zum
doutschon Pantheon zu machen" (S. 89).

Die Gedankenfülle von III „Neugotik als Reform-
bewegung (1840—1860)" (S. 93—151) kann hier nur
summarisch wiedergegeben werden. G. zitiert und
kommentiert drei repräsentative, die Neugotik propagierende
Zeitschriften aus England („The Ecclesio-
logist"), Frankreich (,,Annalos archöologiques") und
Deutsehland („Kölner Domblatt"). Nicht nur das
christliche Bekenntnis, sondern die antiakadomischo
und damit anti klassizistische Haltung vorbindet sie
miteinander. Die Träger des „Ecclesiologist" sind
anglikanische Theologen der reformerischen Ecclesio-
logical Society. Die Architekten William Butterßeld
(1814—1900) und Richard Cromwoll Carpenter (1812
bis 1855) sind ihr verbunden. George Edmund Streel
(1824—1881) hreinllul.it sie maßgebend. Die Zeitschrift
ist am Kirchenbau, Pfarrhausbau und Schulhausbau
orientiert. Die Gotik gilt als Univcrsalstil, was als
Fortschritt gegenüber der „totgolaufenen Charakterlehre
" (S. 124) anzusehen ist. Das Interesse am Eisen
als neuem Baustoff, an der Zweckmäßigkeit der Anordnung
und an der handwerklichen Tüchtigkeil bei
der Herstellung der Dotails sind charakteristisch. Die
„Annalos arehöologujues" sind ein „Privatunternehmen
des Journalisten, [konographen, Devotionalienhändlers
und Glasmalers Adolphe.Napoleon Didron (1806 bis
1867), seines Bruders, des Buchhändlers, und seines
in manchen Kunstzweigen bewanderten Neffen, der
es erbte und noch zwei Jahre weiterführte" (S. 125).
Bedeutende Architekten wie Lassui (1807—1857). der
Atheist, Viollet-la-Duc (1814—1879) und Alfred Darcel
(1818— 1892) arbeiteten mit.

Die Gotik wird der Rangordnung nach mit folgenden
drei ideologischen Hauptgesichtspiinkten verquickt :
''' ine. Nationalstil und Christentum. Für Viollet-e-Duos
< <ot ikverständnis war die technische Meisterschaft
ausschlaggebend. Der Stil schien ihm wie eine zu
erlernende Sprache, aus der heraus Neues zu formulieren
ist. Der Herausgeber Didron war von der goistlichen
Bedeutting seines Unternehmens jedoch fest überzeugt.

Nicht die gleiche Offenheit wio die genannten
Zeitschriften gegenüber der Umwelt besaß das Kölner
Domblatt, das vom Sekretär des Zont ral-Dnmhau-
vereinS, August, EWohoiisporgor (1808—1895). heraus-
K^gobon und geprägt wurde. Zu den charakteristischen
Diskussionstheinon des Domblattes gehört die Frage
nach dem Vorzug von Gotik und Romanik. Der
Gosamtbofund ergibt: „Die Klosterkirche von Maria
Laach als Vorbild, de* Kölner Dorn als Kanon, Rücksicht
auf örtliche Eigentümlichkeiten als Empfehlung:
'Hau sieht, daß sieh (las .Kolner Domblatt' im Gegensatz
zum .Ecclesiologist' und zu den .Annalos archeo-
logiques' weder typologisch noch stilgoschichtlich auf
•ÜM Doktrin festlegt" (S. 143 f.). Don deutschen Neu-
gotikern fohlte ein Theoretiker vom Range Gottfried
SeinperBi Zu den weiteren führenden Ideen, für deren
•Ausbreitung und Verwirklichung sich das Domblatt
"insotzto, gehörte dio Bauhütte als christlich gebundene
Workgomeinsehaft mit dem Ziel der Regeneration
vcn Baukunst und Handwerk.

Die trotz Einschränkungen im Grunde positive
Würdigung der nougotischen Architckturthoorie als
Heforinbewegung ist nicht zuletzt begründet in den
Unter IV. dargestellten „Nachwirkenden Ideen" (S.
153— 159). G. geht hier den in dio Zukunft weisenden

Impulsen der neugotischen Bewegung nach. In ihr
liegen Ansatzpunkte für einen neuen Stil (William
Morris [1834—1806]), für den Funktionalismus (An«
toTiio Gaudi 11852—1926J) und den Weg von der Bauhütte
zum Bauhaus. Ludwig Grote (1965) wird zitiert :
„Das Bauhaus sah sich als Hütte am Fuß der Kathedrale
, dio Foininger in gläsernen Visionen verherrlicht
hat" (S. 164).

Am „Schluß" (V S. 165— 172) werden die Ergeb-
nisse zusammengefaßt. Noch einmal wird der Weg
neugotischer Architokturtheorio von dor Vorgeschichte
im Vitruvianismus über ihr Selbständigwerden und
ihren doktrinären Höhepunkt bis zum Ausklang um
die Jahrhundertwende aufgewiesen. Mit Vorsicht wird
zidetzt die bosondoro geschichtliche Bodeutung der
Neugotik als „Gelenk zwischen dem Vitruvianismus
des 16. bis 18. Jahrhunderts" und dor Architektur*
thoorie dos 20. .Iiis, gosohen und ihr der „Vorrang vor
Klassizismus und Eklektizismus" eingeräumt (S. 172).

Zum Verständnis dos Textos verhelfen 98 meist
seltene und weithin vom Vf. stammende Abbildungen
von Bauwerken und aus arohitekturtheoretisoheh
Veröffentlichungen. Das Register (S. 237—248) bearbeitete
I. Loeb-Müller.

Nicht zuletzt ist die gediegene Aufmachung dos
Buches zu loben. Dio Lektüre dor zahlreichen Anmerkungen
wird dadurch wesentlich erleichtert, daß
gie liehen dem fortlaufenden Text Stehen,

Leipzig Hartmut Mai

NATURWISSENSCHAFT UND GLAUBE

lliiluiiT, Jürgen! Di« Theologie JuhaniiPH Keplers zwischen
Orthodoxie und Naturwissenschaft. Tübingen: Mohr
1975. VIII, 334 S. gr. 8° = Beitrage zur historischen
Theologie, hrsg. v. G. Eboling, 50. Lw. DM 84,—.

Der Verfasser, Naturwissenschaftler und Theologe,
ist in Fachkreisen seit langom als Kepler-Spezialist
und besonderer Kenner dor Beziehungen zwischen
Theologie und Naturwissenschaft bekannt. Kaum ein
anderer dürfte Keplers Werke und dio entsprechende
Sekundärliteratur so gut kennen wio er.

Während wir über den Naturwissenschaftler Kepler
allgemein recht gut unterrichtet sind, fehlte bislang
noch eine Arbeit über den Theologen Kepler, die dorn
neuesten Stand entspricht. Hühner hat diese „Lücke"
gefüllt. Er war dazu gewissermaßen berufen; denn ihm
kam dabei nicht nur dio umfassende Kenntnis dor
Schriften Keplers zustatten, sondern er konnte, da er
als Naturwissenschaftler und Theologe über dieselbe
„Wellenlänge" wie jener verfügt, insbesondere auch
die Beziehungen angemessen untersuchen, dio zwischen
dem theologischen und naturwissenschaftlichen Denken
Keplers bestehen.

Zum Inhalt: Im 1. Teil geht Hübnor chronologisch
vor und zeigt auf, wie sich Keplers theologisches
Denken entwickelt. Er arbeitet im einzelnen heraus,
daß Kepler gewissermaßen von Anfang an „zwischen
den Frönten" stand und entsprechend aufwuchs. Wahrscheinlich
wurde or katholisch getauft, seine Erziehung
erfolgte jedoch zunächst in lutherischem Geist. Doch
schon den Schüler trieb das angoborono Interesse für
mat homatiseh-naturwissonschaftlichos Denken in die
Nähe der Calvinisten.

Je älter er wird und je mehr or gleichzeitig Theologie
und Naturwissenschaft studiort, um so unmöglicher
wird es ihm, die Begründung der lutherischen Abend-