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1976

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Kirchengeschichte: Reformationszeit

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081

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 9

682

Erkennen —, so sehr wird die Beziehung zum jungen
Schölling /.. B. deutlich gemacht, daß man zögert, das
Buch unter Mediävistik einzuordnen. Die 150 Anmerkungen
am Schluß sind knapp, sie belegen bona-
venturisches Gedankengut, fast nur mit Stellenangabon.
Das liueh konkurriert nicht mit den Baeumkerschen
Beitr&gen, ja, es könnte einen etwaigen Vorwurf von
seiton der strengen Mediävistik mit dem Argument
abwehren, man huldige dorn Historismus, wenn nicht
die Fruchtbarkeit des erforschten Historischen für die
Gegenwart erkennbar würde. Doch über die Zielsetzung
dieses Buchs läßt das Vorwort keine Unklarheit,
weiterführende Literatur ist genannt.

Grundlagenfragon einer Theologie von heute werden
hier gestellt und beantwortet, und dabei wird jeweils
auf den Denkweg Bonaventuras verwiesen. Von daher
gesehen, leistet (Ins Buch der Mediäv istik einen großen
Dienst — dem geschieht liehen Selbstbewußtsein der
Kirche damit auch —, indem es die Fragestellungen
und Denkschritte des Bonaventura aufschlüsselt. Was
zunächst aussieht wie uninteressante theologische
Trndition — der dreifache Schriftsinn z. B. —, wird
in der Melencht ung des Vf.s zu einem sinnvollen Beitrag,
und dies eben nicht nur für die Vergangenheit.

Der Vf. ist mit Leidenschaft Theologe. Daß Theologie
nur möglich ist innerhalb dos Lcbensvollzugos, den wir
Nachfolge nennen, reflektiert er. Theologie sei reflektierte
Nachfolge, freilich verändere die Situation des
antwortenden .Jüngers die Ausgangssituation des Evangeliums
; die Nachfolge reflektiere das Evangelium,
durch die Nachfolge wiederum reflektiere das Evangelium
den Menschen, und schließlich reflektierten auf
der einen Seite das Evangelium, auf der anderen Mensch
und Welt einander. Nach einer Bolchen Analyse, die den
unerläßlichen, aber auch beeinflussenden Bezug der
Theologie zur Spiritualität verdeutlicht, wird gezeigt,
wie Bonaventura Theologie als reflektierte Nachfolge
vorstand. Doch weicht der Vf. dann auch nicht moderner
kerygmatischer, hormeneutischor Problematik aus.

Ein Kapitel ist der Frage nach dem Ansatz der
Theologie gewidmet, immer wieder gibt es dabei
Bezöge zu Bonaventura, manchmal ist es ein knapper
Hinblick, manchmal wird er zitiert. Kirche, wird
Bonaventura referiert, werde „konstituiert durch eine
(ieschichte, und dieso ist Geschichte ihrer Glieder
miteinander in der gemeinsamen Geschichte mit dein
Wort Gottes, mehr noch: Geschichte des Wortes Gottes
selber" (S. 118). Der „Ansatz bei der Mitte" gibt Gelegenheit
, da* Phänomen des Anfangshaften darzustellen
. Kapitel 3 handelt von der „anderen" Logik
der Theologie. „Nachfolge und Auferstehung" ist unter
anderem Iiier behandelt. Das folgende Kapitel hat
die Überschrift: „Integration: Theologie als Weltwissen
und Wissenschaftslehre". Die Sehweise Bonaventuras
wird beleuchtet. Der dreifache Schriftsinn
erscheint als Ausdruck der Dimensionen fies Wortes
Gottes, als Botschaft — Gebot — Angebot, oder als
Ur-kunde — Anforderung — Verheißung (S. 120).
Einsat/, und Spit/.o der Theologie — so Kap. 5 —
Gottesfrage und trinitarische Antwort. Hier wird der
Leser einen Versuch finden, Monaventuras Denken als
Weg, nicht als kunstvolles Gebäude, zu verstehen.
So wird dem Vf. Bonaventura zum Helfer für unseren
eigenen Weg, der llistorik, Hermeneutik und Praktik
miteinander verknüpft, Erfahrung und Reflexion miteinander
verbindet. Die Aufgabe liegt vor uns, das
Puch ist ein guter Impuls, dem Erucht gewünscht
wird.

Kostock Peter Heidrich

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Lutlierjahrbuch 1975. Organ der internationalen Luther-
forschung. Im Auftrag der Luther-Gesellschaft hrsg. v.
H. Junghans. 42. Jahrgang 1975. Güttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht [1975]. 193 S. 8°. Lw. DM 20.—.

Zwei äußere Veränderungen am Jahrbuch sind zu
vermerken: Die Änderung im Titel, seit 1972 nur auf
dem Titelblatt durchgeführt, ist nun auch im Rückentitel
erkennbar. Der Einband zeigt nun auf der Vorderseite
die Lutherroso, umgeben von der Vulgata-Fassung
von Ps. 118, 17, in einheitlicher schwarzer Farbgestaltung
.

An der Spitze des Bandes stoben eine Würdigung
von Leben und Werk des am 6. (i. 197.'! verstorbenen
Franz Lau, ergänzt durch ein Foto des Verstorbenen,
sowie die Gedenkvorlesung, dio H. Junghans am 16. 1.
1974 in der Sektion Theologie der Karl-Marx-Universität
Leipzig unter dem Titel gehalten hat: „Ist dio
lutherische Agende zeit-, orts- und gemeindegemäß ?''
Junghans knüpft dabei einerseits an die letzte Veröffentlichung
Laus im Lutherjahrbuch 1970 an, andererseits
an kritische Äußerungen Karl Holls und sagt : „Als
lutherisch erweisen sieh Theologen dadurch, daß sie
ihre Theologie als Schüler Luthers betreiben. Die
Frage ist nur, wie sie das tun". Junghans vermißt an
der Agendcnrcforin im Sinne Luthers allo drei im
Titel genannten Merkmalo, da die Agendenreform
einseitig der Tradition und dem Erbe verpflichtet sei.
Man wird den Begründungen für dieses Urteil von
Luther her nicht in allen Einzelheiten folgen können.
So dürfte die Beurteilung des Verhältnisses Luthers
zur Musik seiner Zeit etwas zu pauschal ausgefallen
sein. Auch ist die Frage, ob nicht gcrado in Fortführung
von weiteren Ansätzen Luthers heute der im
Titel des Beitrags uinrisseno Fragehorizont zu eng
gefaßt ist und etwa um den Aspekt der ökumenischen
Hezogonheit erweitert werden müßte, so wie Junghans
ja auch nicht unbesehen die Sprachbogoisterung des
16. JIis. übernehmen möchte.

R. Gallinat schreibt zum Thema: „Der .natürliche
Mensch' nach Luther" und erhebt dio Doppel-
schichtigkeit des Begriffs nach dem neutral-anthropologischen
Aspekt und dem theologischon Aspekt.
Auch der erstere ist für Luther mit theologischen Implikationen
ausgestattet: Gott ist in der Schöpfung in
einer nicht aufhellbaren Verborgenheit gegenwärtig.
Tm zweitgenannten Aspekt kommt vor allem der Zorn
Gottes und die Sünde, damit aber auch dio Rechtfertigung
ins Spiel. Die Einheit dieser Doppelerkenntnis
mochte (!. in der Einheit des Menschen selbst und einer
komplementär zu verstehenden Methode sehen.

„Martin Luther und Moritz von Sachsen" behandelt
G. Wartenberg. Luther hat sein Mißtrauen gegen den
Dresdener Hof und die Meißner Adligen nie aufgegeben.
Seine Haltung in der Wurzener Fehde 1542 war in der
Öffentlichkeit unparteiisch, in Privatbriefen Und Tischreden
jedoch eindeutig antialbertinisch. Moritz Steht
Luther pragmatisch und unpolemisch gegenüber, weil
er nicht mehr zu der Fürstengoneration gehört, die
zur persönlichen Auseinandersetzung mit Luthers
Lehre gezwungen war. Politisch kann Moritz Luther
nur als Exponenten der Ernestiner sehen, während
Luther in den Räten des Dresdener Hofes nur heimliche
Katholiken sehen kann — sio bleiben auch nach
1539 dio gleichen wie vor 1539. Die Sicht Luthers hat
auch die spätere Beurteilung Moritz' stark beeinflußt.