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1976

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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des Sohnes Gottes erneute Ebenbildlichkeit wird die
königliche Souveränität des Menschen dem Kosmos
gegenüber eindeutig behauptet. Hier folgt Nestorios
den Spuren des Theodor von Mopsuestia und allgemein
den Antiochenern. Zunächst unberührt bleibt die
Problematik des Verhältnisses zwischen Wort und
Menschheit in Christus; feststeht aber, daß das Menschenheil
laut göttlicher Ökonomie durch Christus als
Menschen erfolgt. Der soteriologische Aspekt der
menschlichen Vollkommenheit Christi geht also für
Nestorios einer ontologischon Betrachtung voran,
distanziert ihn jedoch vom Arianismus, der Christus
um seiner Verdienste willen erst nachträglich in die
himmlische Hierarchie eingehen läßt.

Zum Patriarchen von Konstantinopel erhoben, setzt
Nestorios zunächst seine Predigt fort. Im Kontext der
dort vorgefundenen Volksfrömmigkeit konnte er nicht
anders, als ein wesentlich monophysitisches Christusverständnis
anzugreifen. Der Theotokoskontroverse
gegenüber, derentwegen sich Theologen bereits anfeindeten
, verhielt er sich mißtrauisch, da sie eine
falsche, dem biblischen Wortschatz Gewalt antuende
Problematik herausforderte. Die Thcotokoskritik des
Nestorios wurde nun zum Vorwand bonutzt, um ihn
der Behauptung zu beschuldigen, der Herr sei nur
Mensch gewesen. Einen nicht zu unterschätzenden
Einfluß auf die Heftigkeit dieser Beschuldigung hatte
der Grimm des Bischofs Proklos ausgeübt, dor als
Anwärter des konstantinopolitanischen Patriarchenstuhles
abgelehnt worden war.

Dom kampflustigen und zu pharaonischen Gebärden
neigenden Kyrill schienen die Versuche des Nestorios,
die Menschheit Christi zu betonen, einer verborgenen
Ketzerei verdächtig, nämlich der Annahme zweier
Gottessöhne. Unbegreiflich blieb dem Kyrill, wie für
Nestorios die Menschheit Christi ein soteriologiseh
operatives Prinzip bedeuten könne, da doch für den
hellenistisch denkenden Kyrill die Erlösung der Ver-
gottung gleicht. S. 110—138 wird Kyrills Cbristologie
besonders plastisch der des Nestorios gegenübergestellt
und dabei wird ihren alexandrinischen W inzeln Rechnung
getragen. Kyrills Sehreiben nach Rom denunziert
die Ketzerei des Nestorios und verursacht Korns Eingreifen
in die Fehde. Der Vf. zeigt, wie unsachlich sieh
Papst Coelestin in der Nestoriosfrage von Joh. Cassianus
unterrichten ließ und sich ganz auf Kyrills Seite stellte.
Der Rekonstruktion der theologischen Gedankengänge
zweier ungleichen Traditionen, der ant iochenisehen
und der alexandrinischen, folgt die Rekonstruktion des
Konzils von Ephesos. Ohne seine tumultuarischen
äußeren Abläufe zu vernachlässigen, analysiert der Vf.
den theologischen Ertrag der Verhandhingen, die,
unter Kyrills Einfluß, der Zweideutigkeit der ..min
physis" ein weiteres Leben zusicherten. Seine besten
Kräfte widmet Scipioni dem zu Fall gebrachten und
zum Exil verurteilten Nestorios. Aufgrund des von
Nestoriosschülcrn aus zwei seiner apologetischen Spat*
Schriften zusammengestellten Liber Heraelidis, wird
der reife Gedanke des Nestorios vorgeführt. Beachtenswert
ist die festgestellte Kontinuität mit der eigenen
Frühpredigt des Nestorios, wie auch die Anlehnung
an Irenaus. Gott hat initiativ seine „oikonomia" verwirklicht
: „Hätte nicht Gott das Fleisch angenommen
u11<I h&tte er es nicht in einem der- Monsehennatur
angehörigen Menschen realisiert, wäre die Mensch-
werdung illusorisch gewesen."

Nestorios antizipierte in der Tat die chnlkcdonisehe
Formel. In diesem Sinne geht Nestorios' Person und
Lehre rehabilitiert aus der Untersuchung hervor. Zu
einer Zeit, da die Theologie immer weniger in eigener

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Verantwortung und immer mehr als Sache des Lehramtes
botrieben wurde, verstand es Nestorios, auoh auf
Koston seines eigenen Wohlergehens, die Notwendigkeit
einer Spezifizierung der für die Cbristologie verwendeten
metaphysischen Termini zum Bewußtsein
der Kirche zu bringen.

Das Buch ist durch ein sorgfältiges Quellenvorzoich-
nis eingeleitet, und seine Benützung erleichtert ein
Verzeichnis der zitierten Bibelstellen, der patristisehen
loci sowie ein Namen- und Sachregister.

Prag Amedoo Molnär

DeddenR, Karol: Amins litiirnims.' F.en onderzoek naar do
betekonis van Cyrillus van .loruzalem voor de ontwikke-
ling van het .kerkolijk jaar'. Academiseh Proofschrift.
Goes: Oosterbaan & Le Cointro 1975. 272 S., 1 Taf. gl. 8°
— Theologische Hogosehool van de Gereformeerdo Korken
in Noderland te Kämpen, hfl. 35.—.

Es handelt sich um eine historische Studie, die auf
eine dogmatische Frage die Antwort gebon soll: Ist
der Gegensatz überbrückbar zwischen der orthodox-reformatorischen
Liturgie, in der die Verkündigung des
göttlichen Wortes im Mittelpunkt steht, und der
römisch-katholischen Liturgie, die eine Dramatisierung
des Hoilsgcschehens bietet ? In der historischen Analyso
versucht der Vf. zu zeigen, daß die katholische Liturgie
ihren Ursprung nicht in Rom findet, sondern in .Jerusalem
im 4. Jh. Somit ist diese Studio eine wertvolle
Ergänzung zu den meisten Veröffentlichungen zum 4.
Jh., in denen die Lehrentwicklung und nicht die Entwicklung
der Liturgie behandelt wird. Der Vf. ist der
Meinung, die Dramatisierung des Heiles in der Liturgie,
wie sie im 4. Jh. in Jerusalem entstand, führo von der
urohriatlichcn Lit urgie ab. Diese sei von der Reformation
wiederentdeckt worden, während jene in dor heutigen
katholischen Kirche noch fortlebe.

Auch wer die (sehr orthodox-kalvinistischon) dogmatischen
Ansichten des Vfs. nicht teilt, kann don
historischen Analysen viel Wortvolles entnehmen.
Ausführliche Zusammenfassungen in englischer, französischer
und deutscher Sprache öffnen dio Möglichkeit,
daß das Buch nicht auf den holländischen Leserkreis
beschränkt bleibt.

OegstgMost BS. I'. kfeijering

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Hemmi-rlc, Klaus: TlH'olagii» als Nachfolgt'. Bonaventura
ein Weg für heute. Freiburg-Hasol-Wien: Horder [1970].
186 S. 8°. Kart. DM 25.—.

Eine einstündige Vorlesung au der Universität
Freiburg im Sommerseinester 1974 liegt diesem Buch
zugrunde. Fs ist bewußt so geschrieben, daß „auch ein
des Latein Unkundiger dem Text folgen kann" (S. 5).
Also ist nicht speziell an Theologen als Leser gedacht,
sondern an einen weiteren Kreis Interessiertor. Und
doch ist es ein ausgesprochen theologisches Buch.
Seitenlang, fast kapitellang merkt der Leser dieses
flüssig geschriebenen Buchs gar nicht, daß es ein Buch
über eine große Gestalt scholastischer Theologie ist.
So sehr worden Fragen der Theologie von heute, des
Donkons erörtert, so sehr werden selbständig systematische
Fragestellungen entwickelt — etwa über (Ins

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 9