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1976

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Kirchengeschichte: Alte Kirche

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land" kann zu Mißverständnissen Anlaß geben, die zwar
beseitigt werden können, aber von vornherein etwa durch
die Bezeichnung „Kirchenprovinz Sachsen", vermeidbar
gewesen wären.

Xicliergall, Alfred: Die Geschichte der evangelischen Trauung
in Hessen. Göttingen: Vandonhoeck & Ruprechl 1972.
202 S. gr. 8° = Veröffentlichungen der Evangelischen
Gesellschaft für Liturgieforschung, hrsg. von Oskar
Söhngen, 18. Kart. PM 25.—.

Die geographische Mittellage der Landgrafschafl

Hessen hat dazu beigetragen, daß Hessen seit, der

Reformationsgeschichte eine konfessionelle Vermittlerrolle
zugefallen ist. So konnte Philipp ih r Großmütige
nicht nur bewußt, „ein Mittelstraßen zwischen den
Lutherischen und Zwinglischen" gehen, sondern auch
die eigenständige Entwicklung der Reformation in

Seinem Lande fördern. Wie Wilhelm .Pichl und Kurl
Dienst gezeigt, haben, hat, sich diese ausgleichende
Freizügigkeit mich in der Geschichte des evangelischen
Gottesdienstes in Hessen ausgewirkt. Das gilt nicht
minder für die Geschichte der evangelischen Trauung
in der Landgrafschaft Hessen, der Alfred Xiebcrgall
eine kenntnisreiche Untersuchung gew idmet hat.

Die Geschichte der Trauung in Hessen wird durch
zwei Gegebenheiten bestimmt. Die Abhängigkeit lies
sens vom Erzbistum Mainz hat zunächst das kirchen-
rechtliche Verständnis und den liturgischen Vollzug
der Trauung geprägt. Schon im 15. Jahrhunderl
Übernahm sodann nach Walter Heinemeyer der hessische
Staat die Rolle des Erziehers seiner Untertanen
zum „gemeinen nutz". Durch die Untersuchungen
Niebergalls dürfte sieh auch von der Frage der Trauung

her die Beobachtung bestätigen, daß bei Philipp dem

Großmütigen durch die Wendung zur Reformation
ein echtes reformatorisches Ethos geweckt, wurde, mit,
dem ein pädagogisches Verantwortungsbewußtsein für
den sittlichen Stand in seinem Lande verknüpf! war.
Von da aus wird es verständlich, daß Philipps Re-
formations-Ordnung von 1520 und die Homberger
„Reformatio Ecclesiarum Hassiae" aus dem gleichen
Jahre die kirchliehen Neuordnungen in ein umfassendes
pädagogisches Programm einmünden lassen, das in der
Gründung einer protestantischen Universität zu Marburg
gipfelt.

Unter dem Einfluß Martin Bucers setzt, sich in
Hessen der Gedanke von der selbstverantwortliohen
Gemeinde durch. In der Kasseler Kirchenordnung
von 1539 wird die Einsegnung der Ehe ebenso wie
Konfirmation und Ordination als „sakramentliche
Ceremonic" bezeichnet. Im weiteren Vorlauf aber
verstärkt sich der sächsische Einfluß auf die hessische
Trauung, so daß aus dem anfänglichen „Bestätigen"
der Ehe allmählich das „Zusammensprechen" zur Ehe
wird. Die Trauung erhält immer mehr die Funktion der
Aufrcchterhaltung bürgerlicher, sittlicher Ordnung,
wozu auch die verhängnisvolle Verbindung von Trauung
und Kirchenzucht beiträgt. Die hessische Reformationsgeschichte
findet ihren Abschluß mit der von Andreas
Hyporius angeregten Kirchenordnung von 1566 und
der Agende von 1574. In letzterer ist ein engerer
Anschluß an Luthers Traubüchlein zu bemerken.

Am Anfang des 17. Jh.s steht die politische und
konfessionelle Spaltung der alten Landgrafschaft in das
reformierte NiederheRsen (Kassel) und das lutherische
Oberhessen (Darmstadt). Das neue natur- und staatsrechtliche
Denken führt zu einer Vcrrechtliclumg und
Verbürgerlichung der Auffassung von der Ehe. Mit der
Einrichtung der Konsistorien wird überall die alt-

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hessische Freizügigkeit durch die staatskirchliche
Reglementierung abgelöst. Dankenswerterweise geht
der Vf. hier auch auf die Gesohiohte der Trauung in
den benachbarten Territorien Sehaumburg, Hanau,
Nassau und Waldeck sowie in den Reichsstädten
Friedberg und Frankfurt ein.

Bereits am Ende des 18. Jh.s wird Kritik gegen die
ungut e Verbindung von Trauung und Kirchenbuße laut.
Die Auseinandersetzungen um kirchliche Trauung und
obligatorische Zivilehe enden 1874/75 mit, der Trennung
beider. Die neuen Agenden versuchen sowohl die all
hessische Tradition weit möglichst zu bewahren als
auch den Forderungen der Neuzeit, gerecht zu werden.

Traufragen und Trauformel sollen vor allem den

christlichen Charakter der kirchlichen Trauung herausstellen
. Die vom Vf. bis zum gegenwärt igen Piskussions-

stand durchgeführte Untersuchung macht, deutlich,
daß Verkündigung und Fürbitte heute weithin als
sinngebender Mittelpunkt der Trauung angesehen wer
den.

Dem Vf. ist, nicht, nur ein lesenswerter Beitrag Zill'

Geschichte der- Kasualien in Hessen zu verdanken,
Seine Untersuchung führt vielmehr umfassend in die
grundlegenden theologischen, historischen und rechtlichen
Fragen ein, die mit der evangelischen Trauung
in Hessen von der Reformation bis zur Gegenwart
erbünden sind.

Marburg Winfried Zeller

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Benedeit, Pierre van: 4ns origines d'nne termihologle
sacra inen teile. Ordo, ordinäre, erdinatio dans lalitt erat ure
chretienne avant 813. Louvain: Rpicilegium Baornm
Lovaniense L974. XXXVII, 208 S. gr. 8° Spioilegium
Sacruin Lovaniense, Stüdes et Documenta, :t8. bfr.
500,—.

Um diesem Buch gerecht zu weiden, muß man es
an seinen Ansprüchen messen. Es interessierte den Vf.,
zu erfahren, ob die Christen vor 313 beim Gebrauch
von ordo, ordinäre, ordinal io im Zusammenhang
kirchlicher Funktionen sich bewußt waren, eine spezifisch
christliehe Realität anzusprechen, ob sie eine
sakramentale Realität meinten oder welche Realität
sonst. (XIV). Eine Sensation war danach nicht zu
erwarten, und die hauptsächlichen Ergebnisse lauten:
Die drei Termini bezieben sieh auf eine spezifisch
christliche Wirklichkeit; sie kann mit den Kategorien
heutiger katholischer Dogmatik und Kanonistik mir
sehr entfernt „sakramental" genannt werden und ist,
damals wesentlich „funktional" verstanden — nämlich
die (durchaus revozierbare) Beauftragung mit einem
kirchlichen Amt. Vf. stellt fett, wie stark sich der
semantische Gehalt der untersuchten Begriffe seil dem
3. Jh. bis heute entwickelt hat (159), daß man sich
aber' „schon" damals klar War, dal.) die kirchliche Amts-
funktion von spezifisch christlichem (und nicht bloß
juridischem) Charakter ist, und daß doch die damalige
Auffassung von der „Lehre der katholischen Kirche
heute" deutlich und gründlieh verschieden ist (104).
Das alles sind keine Üb. ;rrnschungen in der historischen
Theologie, aber mehr war ja auch nicht gefragt. Ks ist
allerdings noch auf die Motivation, das Verfahren und
die Einzel- oder Zwischenergebnisse einzugehen.

Das Motiv des Vf. zu dieser Studie ist, die St ril t igkoif
des kirchlichen Amts nachreformatoriseh bis heute bzw.
Ursprung, Wesen und Dauer der übertragenen Vollmacht
(Vllff.). Er versprach sieh Hilfe von der histo-

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1970 Nr. 1