Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1976

Spalte:

631-634

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Papsttum und Petrusdienst 1976

Rezensent:

Lins, Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

631

Theologische Literat urzei tu ng 101. Jahrgang 1976 Nr. 8

632

Kirchen niederzuschlagen, wenn sie auf die Einheit hoffen und
an die Wirksamkeit des Geistes glauben.

Die so dargestellte „Konvergenz" ist „nachträgliche Konvergenz
". Konziliariliit beruht wie diese vor allem auf der „apriorischen
Konvergenz", Sie hat ihr Urbild in dem „Verhältnis
der drei göttlichen Einzigkeiten zueinander", in der Trinität.
Diese ist „nicht nur platonisches Urbild für die Einheit der
Kirche, sondern die ,dritte' göttliche Einzigkeit, die göttliche
Selbst weggäbe, auch heiliger Geist genannt, ereignet sich im
Zusammenstreben der unterschiedenen Gnadengaben auf die
gemeinsame Mitte bzw. auf die gemeinsame Zukunft hin"
(S. 129).

Um dies auf die Wirklichkeit kirchlichen Lebens anwenden
zu können, diskutiert Vf. schließlich auch den Wahrheitsbegriff
. Im Lichte des personal verstandenen hebräischen
Wahrheitsbegriffes ist wahr, was in unmittelbarem Bezug zu
Gott selbst bekannt wird. „Das Gegenteil von Wahrheit ist...
nicht nur Lüge, nicht nur Irrtum, sondern auch die Übertreibung
und Verabsolutierung eines Tcilaspektcs. Dies wird im
ökumenischen Dialog viel zuwenig beachtet. Das Wahre ist
immer das Ganze, und dieses kann nur in der Konvergenz
unterschiedener Teilaspekte angestrebt werden" (S. 164).

Im von diesen Grundpfeilern abgesteckten Terrain ergeben
sich die ökumenischen Aufgaben konziliaren Lebens heute. Vf.
hat bei den praktischen Ausführungen vor allem die römisch-
katholische Kirche im Auge. In ihrer Geschichte und in den
Texten des Vatikanum Secundum sind die Voraussetzungen
gegeben. Als Aktions- und Denkschema wird vom Vf. die doppelte
Trias Selbstfindung/Dialog — Öffnung/Konvergenz —
Rezeption/Konsens gewählt und als Disposition für seine Ausführungen
benutzt. Mutig versucht er schließlich an dem Beispiel
des Amtsverständnisses, das sich in der ökumenischen
Geschichte des 20. Jhs. stets als schwierigstes Hindernis für
Einheitsbemühungen erwiesen hat und auch das Verhältnis
der römisch-katholischen zu den reformatorischen Kirchen
stark belastet, die Probe aufs Exempel zu machen. Als besonders
hoffnungsvoll bezeichnet er den vorsichtig in Gang gekommenen
Rezeptionsprozeß zwischen der römisch-katholischen
Kirche und der Pfingstbewegung (vor allem wohl in
Nordamerika). Sind sonst auch kaum Fortschritte festzustellen
, so sollte doch das Wissen um die geschenkte Konvergenz
der allen gegebenen .Jesuserfahrung zu einer ökumenischen
Hoffnung motivieren.

Nach Form und Inhalt hat Vf. ein ermutigendes Buch vorgelegt
Es gestaltet das Konzept der Konziliarilät zu einer
Herausforderung für Theologen und Praktiker aller Kirchen
und sollte deshalb viel beachtet und diskutiert werden. Daß
die Diskussion schon begonnen hat, zeigen das Geleitwort von
Kardinal Jaeger, das Nachwort von Kardinal Suenens, die
beigegebenen Anhänge (das Löwen-Dokument, eine Verlautbarung
zum Thema Konziliarität von der Gründungsversammlung
der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in
Nordrhein-Westfalen und ein Referent des Vfs. vom Düsseldorfer
Kirchentag 1973), und nicht zuletzt die hilfreichen biblischen
Meditationen von Lukas Vischer zum gleichen Thema.

Berlin Johanne» Althausen

Stirnimann, Heinrich, U. Lukas Vischer: Papstturn und Pc-
trusdiensl. Mit weiteren Beträgen von G. Gassmann, II.
Meyer, D. Papandreou, K. Staldter, A. Stoecklin und Dokumenten
. Frankfurt/M.: Lembeck; Frankfurt/M.: Knecht
[1975]. 145 S. 8° = ökumenische Perspektiven, hrsg. v.
M. Lienhard u. H. Meyer, 7. DM 13,50.
Der vorliegende Band orientiert über die beginnende interkonfessionelle
Erörterung der Papstfrage. Er enthält Vorträge
und Diskussionsbeiträge eines im Oktober 1974 in Zürich veranstalteten
ökumenischen Wochenendes. Besonders verdienstvoll
ist der hier (S. 91ff.) erfolgte Abdruck einer deutschen
Fassung des Ergebnisses im lutherisch-katholischen Dialog in
den USA vom Mai 1974: „Amt und universale Kirche — Unterschiedliche
Einstellungen zum päpstlichen Primat" (Mini-

stry and Primacy — Differing Attitudes Towards Papal Pri-
maey, Quellenangaben S. 22 Anm. 7 und S. 91, hier ,Universal
Primacy' zitiert).

Zunächst einige Bemerkungen zur Ortung des Gesprächs.
Die Züricher Diskussion ist durchaus nicht mehr als vereinzelter
Vorgang zu sehen. In einer gewissen sachlich bedingten
Synchronität gehen vielmehr auch die kalholisch-reformierten
und die katholisch-anglikanischen Gespräche sowie die der
Gruppe von Dombcs auf die Behandlung der Papstfrage zu.
Schließlich hat auch die Kommission für Faith and Other im
August 1974 in Accra/Ghana Studien zu Fragen des Primats
und der Lehrautorität in der Kirche befürwortet (S. 8f. Gassmann
) .

Allerdings ist der Komplex der Unfehlbarkeit päpstlicher
Lehrentscheidungen im Berichtsband durchgehend noch ausgeklammert
. Die nordamerikanischen Gespräche wenden sich
diesem Bereich inzwischen zu. Insofern ist das Thema hier
noch unvollständig behandelt (Universal Primacy 31 und 49).

Ist es nun so, daß die leichter lösbaren Kontroversfragen
(Schrift, Evangelium und Kirche, Amt, Eucharistie) inzwischen
bereits so weit beantwortet sind, daß man sich nunmehr
endlich dem „heißesten Eisen" behutsam nähern konnte (Gaßmann
, Vischer)? Oder ist es umgekehrt so, daß durch Annäherung
der Standpunkte vor allem in der Gnadeidehre neben anderen
Differenzen schließlich auch die Frage des Papstamtes
implizit schon mitbehandelt, sozusagen bereits von innen her
aufgelockert und entschärft ist (so H. Meyer) ? Diese Annahme
hat, jedenfalls für den lutherisch-katholischen Dialog, viel für
sich. Denn originär zog die lutherische und folgeweise überhaupt
die evangelisch-protestantische Verneigung des Papstamtes
ihre Hauptnahrung aus einer zentral und elementar
vom Rechtfertigungsglau ben her motivierten polemischen
Gegenüberstellung von menschlichem Papsttum und göttlichem
Gnadenhandeln schlechthin (83f.).

Der Knoten des Problems hat sich bekanntlich von jeher
dort geschürzt, wo der Konnex von Petrus und Papst behauptet
oder bestritten wurde und wo es um die Kriterien zum
Urteil über die faktische geschichtliche Entwicklung des Papsttums
ging. Dieser Knoten scheint lösbar. Die Kategorie der
Geschichtlichkeit erlaubt es, Identität im Wandel zu erkennen,
und zwar gerade für ein als Exponent der sich wandelnden
Gesamlekklcsiologie verstandenes Papsttum. Ein Dreischritt
von Methode, Gegenstand und Kontext bietet sich daher als
Schlüssel für Lektüre und weiteres Nachdenken an.

Erstens. Wiewohl exegetische Studien in unseren» Band
mehr vorausgesetzt (z. B. S. 24, 38, 97; vor allem durch Rück-
bezug auf die vorausgegangenen Studien „Peter in the New
Testament", Minneapolis 1973) als dargeboten werden, reflektieren
die Beiträge die Resultate der formgeschichllichcn Forschung
zu den „Laufbahnen" der verschiedenen Petrus-„Bil-
der" des Neuen Testamentes und ihre frühkirchliche Ausstrahlung
auf verschiedene Trager pelrinischer Funktionen, schließlich
besonders des Bischofs von Rom (S. 428). „Die Frage, ob
Jesus Petrus als ersten Papst ernannt hat, hat sich in der modernen
Forschung auf die Frage verlngert, in welchem Maße
der spätere Gebrauch der Bilder für Petrus im Blick auf das
Papsttum im Einklang mit der Ausrichtung des Neuen Testamentes
steht" (Universal Primacy 13). Es ist bemerkenswert,
in welchem Maße die historische Kritik, am Neuen Testament
ebenso bewährt wie an der Geschichte des Papsttums und seiner
rechts- und dogmcngeschichtlichcn Entfaltung einschließlich
des I. Vatikanums (S. 63, 69, 104), sich hier als „eine Gabe
Gottes" (Universal Primacy IV, 21) hilfreich und konstruktiv
erweist.

Zweitens. Die Verflechtung dieser Methode mit dem Willen
sowohl zur Auf rech tcrhaltung wie zur Veränderung des Papst-
amlcs als univcrsalkirchlicher Struktur ermöglicht die Generalunterscheidung
von Pclrusdicnst und Papstnmt, wie sie alle
Beiträge durchzieht (vgl. S. 13, 23, 54 u. ö.). Ist das Papsttum
nachweisbar eine historisch so gewordene Größe, so ist auch
nicht auszuschließen, daß es als solche Größe historisch durch
erneuten Wandel wieder vergeht. Nachdem einmal der neu-
testamentliche Petrus-Auftrag und das Bischofsamt von Rom