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Ausgabe:

1976

Spalte:

615-616

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Die Sprache der Befreiung 1976

Rezensent:

Hertzsch, Erich

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Seite 1

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testlienst" (VII. Der Gottesdienst: Gratuitätsfunktion und Ar-
kandisziplin) und „Präsenz" (VIII. Die Präsenz: Gratuitätsfunktion
und nichtreligiöse Interpretation) entfaltet. Gratui-
tät als eigengeprägter Begriff der Brüder meint Absichtslosi;;-
keit, Uneigennützigkeit, ein Absehen von sich selbst — ein
Verhalten also, in dem der eine darauf verzichtet, über den
anderen zu herrschen. Um die thematische Zielstellung dieser
Kapitel für den Leser einsichtig zu machen, werden sechs Abschnitte
informativen Charakters vorangestellt: I. Die Quellen
, II. Die Geschichte der Communaute bis Ostern 1949, III.
Die Berufung zur Gemeinschaft, IV. Das Engagement zur Gütergemeinschaft
, V. Das Engagement zum Zölibat, VI. Das
Engagement zur Anerkennung einer Autorität. Dabei werden
Gütergemeinschaft als urchristliches Zeichen und soziale Potenz
in der Gegenwart, Ehelosigkeit als größere Verfügbarkeit
und Anerkennung einer Autorität als konduktives Element
des Einsseins in der Vielfalt bzw. als Zusammenhalt in der
Pluralilät verstanden. Die Grenze dieser Studie liegt vielleicht
in der Beschränkung auf einen zweifellos ganz wesentlichen
Akzent des Selbstverständnisses der Gemeinschaft. Das soll
nicht moniert werden. Es gibt der Darstellung Profil, wenngleich
damit andere Wesensmerkmale von Taize nur angedeutet
werden. „Die ökumenische Existenz der Communaute"
(S. 154ff.) und „Die ökumenischen Jugendtreffen und das Konzil
der Jugend" (S. 198ff.) könnten beispielsweise dann noch
etwas deutlicher auf dem Hintergrund der Gemeinschaft der
Brüder reflektiert werden. Methodisch ist dem Vf. eine hilfreiche
und sehr instruktive Zusammenstellung von Zitaten
aus Taize-Veröffcntlichungen — besonders von frere Boger —
gelungen. Primärquellen etwa in Form eines Archivs standen
dem Vf. so gut wie nicht zur Verfügung (S. lOff.). Deshalb
teilt er vieles mit, was er gesprächsweise von den Brüdern
erfahren hat. Dazu gibt er Informationen aus Manuskripten,
die der öffentlichkeil sonst nicht oder kaum zugänglich sind.
Dies alles gibt dem Buch seinen besonderen Grad von geistiger
und geistlicher Intimität und macht seinen besonderen
Informationswert aus. Hingewiesen sei auf das Literaturverzeichnis
(S. 240ff.), das alle wesentlichen Veröffentlichungen
zur Geschichte der Communaute aufführt. Die taizespezifische
Begrifflichkeit kann im Bahmen einer Buchbesprechung freilich
nur angedeutet werden. Dem Vf. ist es gelungen, die Communaute
de Taize darzustellen als ein gelebtes Zeichen der
Einheit der Kirche, die mit allen alles zu teilen offen ist, und
als einen gclebten Versuch, die nichtreligiöse Interpretation des
Evangeliums in der Präsenz der Brüder sowohl in Taize als
auch in den Fraternitäten in aller Welt darzustellen, ohne dabei
den zentralen Wert des Gottesdienstes zu schmälern, sondern
ihn vielmehr dreimal an jedem Tage zu feiern als das
„Fest ohne Ende" in der ständigen Gegenwart des auferstandenen
Christus in uns, um uns und in der Welt Insofern in
dieses Buch ein Wegweiser zu einer Kirche der Scligpreisun-
gen.

Dresden Werner Tannert

Moltmann, Jürgen: Die Sprache der Befreiung. Predigten
und Besinnungen. München: Chr. Kaiser [1972]. 156 S. 8°.
DM 12,-.

Wenn der durch sein Buch „Theologie der Hoffnung" weithin
bekannt gewordene Systematiker M. ausgewählte Predigten
(mit einem ausführlichen homiletischen Nachwort) veröffentlicht
und damit die Probe aufs Exempel macht, kann er
ohne Frage auf großes Interesse rechnen. Und die Erwartungen
des interessierten Lesers werden auch nicht enttäuscht, insofern
als in den neun Predigten M.s Theologie in nuce enthalten
ist, und zwar so, daß seine Theologie seinen Predigten
zugute kommt. Ausgehend von der für die Anfänge der „dialektischen
Theolgie" grundlegenden Erkenntnis, daß „Gott
anders ist" (Jes 55,6—11), bezeugt der Prediger, daß Gott der
„Gott der Hoffnung" ist, der „die Zäune der Angst und die
Mauern der Sorge zerbricht" (Böm 15,4—13). Weil „Gott versöhnt
und befreit", ist „alles neu geworden" (2 Kor 5,12—21).
„Es ist", predigt M., „als führe uns (Paulus) vor einen Spie-

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gel, in dem wir uns mit andren Augen sehen und der uns
unser neues Gesicht zeigt. Es ist der Spiegel des gekreuzigten
Christus". Darauf gründet sich „die Berufung zur Freiheit"
(Gal 5,13—15!), die die „Bruderschaft des Glaubens" ermöglicht
(Gal 3,26—29). Daß die „geschehene Geschichte"„zukunftsoffen
" ist, bezeugen die letzten drei — besonders aktuellen —
Predigten über den „Frieden Gottes" (Lk 12,49—51 und Phil
4,7) über die „Zukunft Christi und das Ende der Welt" (Ml 21,
1 — 14) und über die „Freude an der Bevolution Gottes"
(Lk 1,46—55). Das Magnificat ist für M. „das Lied einer großen
Bevolution der Hoffnung; denn dieser Gott, in dem Maria
sich so kindlich freut, kehrt das Unterste zu obersl". Die
Predigt M.s über den Lobgesang der Maria hat im übrigen
den gleichen Tenor wie Luthers große Auslegung des Magnificat
(1520/21): „Gott zerstreut die Hoffärtigcn, damit sie aus
Unmenschen zu Menschen werden." „Bevolution" ist jedenfalls
bei M. ganz anders gemeint als bei denen, die darunter
die Befreiung von Entrechtung und Ausbeutung verstehen und
die Umgestaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Strukturen zum Ziele haben.

Im Blick auf die Predigt über „Liebe und Traurigkeit" ist
zu bemerken, daß die Abgrenzung eines Predigttextes wohl
eine Ermessensfrage ist, daß es aber doch wohl recht anfechtbar
ist, über Böm 5,2b—5b (ohne 1—2a und ohne 5c) zu predigen
. Im übrigen sind die Predigten selbstverständlich exegetisch
gut fundiert und entbehren nicht der Zeitnähe und der
Aktualität. Sie „bezeugen die geschichtliche Treue Gottes und
machen Mut zum Glauben auf diese Treue hin", wie es M.
von einer guten Predigt mit Beeilt fordert.

Aber M. verlangt von der Predigt noch wesentlich mehr.
Er stellt fest: „Viele Menschen haben heute Mühe, den Predigten
in der Kirche ... zu folgen ... Sie fragen sich, welche
Bolle die christliche Sprache in ihrem Leben wirklich spielt...
Hilft sie ihnen wirklich, getröstet und freier leben zu können?
Und — das ist wohl das Entscheidende — . . . lernen sie auch
diese Sprache selber zu sprechen, damit andere Menschen
zum Glauben ermutigt und zur Liebe befreit werden?" M.
antwortet: Jede Predigt sollte „einen Umsetzungsprozeß einleiten
", durch den die christliche Sprache „in die eigne .Sprache
(unserer Mitmenschen) und ihren eignen alltäglichen Umgang
mit anderen Menschen" übertragen wird. Damit überfordert
M. sich selbst wie jeden anderen Prediger. Auch die
Predigtsprache M.s ist die Fachsprache eines Fachtheologen,
die in ihren Formulierungen und Gedankengängen bibelunkundigen
und kirchenfremden Menschen kaum verständlich
sein dürfte. Und solange der Grundsatz gilt, daß jede evangelische
Predigt vor allem Schriftauslegung sein muß, kann das
gar nicht anders sein! Der „Umsetzungsprozeß" muß nach
dem Hören der Predigt beginnen bei dem kirchentreuen und
bibelkundigen Gemeindeglied, das seine missionarische Aufgabe
kennt und ernst nimmt.

Und M. überfordert sich und jeden anderen Prediger, wenn
er verlangt: „Die Sprache, die ich von Gott reden und hören
möchte, ist die Sprache der Befreiung." Was ist eigentlich gemeint
mit der Formulierung „Die Sprache der Befreiung", die
dem Buch den Titel gegeben hat? Die Formulierung ist syntaktisch
nicht korrekt, deshalb semantisch unscharf und pragmatisch
wenig wirksam. Syntaktisch korrekt darf man nur
von der „Sprache des Befreiers" (Joh 8,36) oder von der
„Sprache der Befreiten" (Ps 126,3) sprechen (und selbstverständlich
auch von dem „befreienden Sprechen", wie es M.
tut). Es dürfte nicht zufällig sein, daß das Wort „Befreiung''
in der ganzen Heiligen Schrift nicht ein einziges Mal vorkommt
! Man sage nicht: „Das ist Haarspalterei." Wer, wie M.,
linguistisch argumentieren will, der muß wissen, was er tut.

Jena Erich Hertuch

Fischer, Helmut: Thematischer Dialug-Gollesdiensl. Hamburg:

Furche-Verlag [1975]. 119 S. 8°. DM 19,80.

Das Buch ist entstanden aus der Praxis der Evangelisch-
Französisch-Beformierlcn Gemeinde Frankfurt/Main. Es legt
also keine vorausgehenden theoretischen Erörterungen vor,

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 8