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Ausgabe:

1976

Spalte:

603-604

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Gibson, Alexander B.

Titel/Untertitel:

The Religion of Dostoevsky 1976

Rezensent:

Onasch, Konrad

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Seite 1

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- Die orthodoxen Kirchen (IKZ 65, 1975 S. 213-245).
Swatos, William H.: Monopolism, Pluralism, Acceptance, and

Rejection: An Integrated Model for Church-Sect Theory

(Review of Religious Research 16, 1975 S. 174-185).
Tierney, Brian: On the History of Papal lnfallibility. A Dis-

cussion with Remigius Bäumer (Theol. Revue 70, 1974

Sp. 185-194).

Urban, Hans- Jörg, u. Voss, Gerhard: Eine katholische Selbstbesinnung
zur Ämterfrage (Una Sancta 30, 1975 S. 73—76).

Vincon, Herbert: Charismatische Bewegung — Frühling der
Kirche? (MD 26, 1975 S. 93-98).

Wehmeicr, Waldemar W.: Missouri and Public Doctrine (Cur-
rents in Theology and Mission 2, 1975 S. 23—34).

Weiss, Bardo: Zum Diakonat der Frau (TThZ 84, 1975 S. 14
bis 27).

Weih, Hermann: „Priester auf Zeit" contra „character indele-

bilis"? (ThGl 65, 1975 S. 19-37).
Zapf, Josef: Pieligiöse Gemeinschaften heute und morgen

(Wort und Antwort 16, 1975 S. 45-50).
Ziegenaus, Anton: Ausdehnung der Spendervollmachl der

Krankensalbung? (MThZ 26. 1975 S. 345-363).

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Gibsnn, A. Boyce: The religion of Dostoevsky. Tx>ndoii: SCM

Press Ltd. [1973]. X, 216 S. 8°. Lw. £ 3,80.

Gibsons Buch beschäftigt sich mit der Religion Dosloevskijs,
soweit sie sich aus seinem Werk und seinen Tagebüchern und
Briefen erschließen läßt. Ob auch Gibson der Vorstoß zu Dosloevskijs
„persönlichem" Christentum gelungen ist, muß
fraglich bleiben. Schon aus methodischen Gründen dürfte sich
ein solches Unternehmen als unmöglich erweisen. Unter dieser
Einschränkung des Themas und Voranmeldung noch zu
äußernder kritischer Einwände kann gesagt werden, daß dem
Vf. eine sachliche, auf keiner Seite schwärmerische, dagegen
wissenschaftlich fundierte Darstellung gelungen ist. Durchaus
in Kenntnis der angedeuteten Problematik beschäftigt er
sich im i. Kap. mit „The public' religion of Dostoevsky"'
(8—51), um im Kap. vor allem unter kritischer Benutzung
von Buchtins bekannter Arbeit2 „Dostoevsky as a Christian
novellist" (52—77) die Poetik des Dichters zu behandeln.
Unter der ansprechenden Überschrift „The ccllar and ihe gar-
ret" stehen die Untergrundaufzeichnungen, die „Meditationen
an der Bahre" und „Versprechen und Strafe" im Mittelpunkt
(78—103). In einer ausführlichen Analyse beschreibt G. den
Roman „Der Idiot" als „A Christian tragedy" (104—124). Die
positiven und negativen Aspekte des „vsecelovek" als „un-
limiled man" in Gestalt des „black angel" (im Gegensatz zum
„white angel" Myskin) Stavrogin und seiner dreifachen Ideensukzession
Petr Verchovenskij, Satov und Kirillov beschäftigt
das 5. Kap. „The assay of ihe All-Man" (125—153). Die Analyse
der komplizierten Figurenfiktion Stavrogins und seiner
Satelittengestalten gehört m. E. zum Besten des ganzen Buches
. „Varialions on the Earthly Paradise" (154-168) behandelt
eines der zentralen Themen der Dichtung des großen russischen
Dichters anhand der Traumvisionen Stavrogins, Dol-
gorukijs und Vorsilovs, beschreibt deren „emphasis on human
activity" und ihre endgültige Lösung beim Starzen Zosima als
„an anthropologically Christian formula". Unter ständigem
Hinweis auf die innere Logik Dostoevskijscher Werkentwicklung
wird der poetische Aufbau der „Brüder Karamazov" und
die theologische Auffassung vor allem des Großinquisitor-
Poems im 7. Kap. „Each and all: The Brothers Karamazov"
(169—208) entfallet. Die Kurzformel für das Poem: „an anar-
chist Christ is confronted by a solidarist church" ist in ihrer problemreichen
Darstellung weniger provokant, als es zunächst
erscheinen mag. Ein „Epilogue" (209—213) schließt die Arbeit
ah. G. orientiert sein Thema am Begriff der „sobornost'"
und dem Motiv des „Doppelgängers". Die Proklamation der
ersteren als „a meeting ground for his religion and Iiis pas-
sion for freedom" wird konsequent durchgeführt und eröffnet
nicht wenige fruchtbare Ausblicke in den Personenaufbau im
Werk Dosloevskijs. Nur muß bezweifelt werden, daß der Ent-

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wurf Chomjakovs zur Idee der sobornost wirklich so urnrtho-
dox war, daß G. bei Dostoevskij von „a conflict wilhin his
religious consciousness between the Western priority of in-
tellect and the Orthodox prioriy of sobornost' sprechen kann.
Hier ist ein nicht ungefährlicher Ansatz zu Mystifikationen
vom Vf. unbeachtet geblieben, wie die kritische Aufarbeitung
dieses Problcmkrciscs sowohl die poetische Meisterschaft als
auch die Einsicht des großen Dichten in seinen eigenen Mythos
von der religiösen Qualität des .,Volksgeistes" und seine
tiefe Fragwürdigkeit hätte aufzeigen können. Ähnliches gilt
von der Entfaltung des .,Dnppelgänger"-Motivs durch den Vf.
Die heuristische Fruchtbarkeit dieses Motivs ist in der Do-
sloevskij-Forschung seit längerem bekannt. G. verfolgt mit
einigem Geschick die „affinity of ,doubles' and .ideals'" von
dem wichtigen „Symbol very" an die Fonvisina bis zu Ivan
Karamazov. Aber es zeigt G.s Affinität zu Berdjaevä problematischer
Dostoevskij-Interprelation, wenn er auch hier mystifizierend
schreibt: „One expression of his ,doubleness', in him-
self and in his environment, was the dichotomy between faith
and rcason". G.. wie viele andere, verwechseln einen angeblichen
Irrationalismus bei Dostoevskij mit einem zweifellos
vorhandenen Transrealismus, wie er sieh in der Poetik des
Phantastischen und in der starken Anlehnung des Dichters
an die Ästhetik der klassischen Bildertheologie deutlich zeigt.
Dosloevskijs „doubleness" von Glauben und Unglauben. Christentum
und Atheismus äußert sich nicht nur in der Krise
der sibirischen Katorga, sondern, was G. übersieht, in der noch
viel ticler gehenden Krise seines utopischen Sozialismus, die
durch seine erste Heise nach Frankreich und die Enttäuschung
ober die Verfälschung seiner religiösen .lugenillrnume gerade
im Linde der Revolution selbst durch die französische Bourgeoisie
hervorgerufen wurde3. Es scheint, daß G. die neuesten
Textverüffciillicliungen der ..Meditationen an der Bahre" wie
der für die Dostoevskij-FVirschung sehr wichtgien Notizen zum
Thema „Sozialismus und Christentum"4 unbekannt oder noch
nicht erreichbar geblieben sind. Audi sonst ist die herangezogene
sovjetische Spezialliteralur über Dostoevskij etwas zu
schmal ausgefallen. Vor allem wird eine theologische Interpretation
des russischen Dichters nicht mehr an den Arbeiten
Kirpotins5 vorübergehen können. FCs fehlen aber auch, selbst
bei der auffallenden Bevorzugung der anglnamcrikanischcn
Literatur, wichtige und den Vf. vielleicht auf dem Gebiete der
Poetik Dosloevskijs fördernde Arbeiten aus diesem Baum,
unter denen vor allem die Untersuchungen R.L.Jacksons8
zu nennen wären. Sowohl Kirpolin wie auch Jackson haben u.a.
durchaus gegensätzliche, aber deshalb auch anregende Analysen
zum „Glaubenssymbol" im Brief an die Fonvisina und
deren Bedeutung im Oeuvre Dosloevskijs geliefert, die nicht
übergangen werden sollten. — Wenn auch noch manche F"ra-
gen an den Vf. offenbleiben7 und der Gesamteindruck keineswegs
positiv einheitlich ist, so ist seine Arbeit doch als ein
ernsthafter Versuch zu werten, sich in der Deutung des religiösen
und christlichen Gehaltes im Werke Dosloevskijs von
vorgefaßten Meinungen frei zu machen und ein für das Schaffen
des Dichters zentrales Thema einer von Mystifikationen
sich distanzierenden theologischen Hermeneutik zuzuführen.
Hallo (Saale) Konrad Onas*

1 Sperrung vom Rezensenten.

' M. Bachtin, Problemy poetiki I)o«loovikogo. Mölkau 1963» (Probleme
der Poetik D. s.).

3 Vgl. jetzt IL Schröder, Gorkis Erneuerung der Fniiittraditlon, Berlin
(971, HO—113; K. Stiidtke, Studien zum russischen Realismus de«
19. Jahrhundorts, Berlin 1973, 99-150.

4 Literaturnoe nasledstvo. Neizdannyj Dostoevskij. Zaplsnye knizki
i tetrady 1860-1881. gg., Moskau 1971 (Das Liternturerbe. Der nichl-
hernusgegebene D. Notizbücher und Hefto 1860-1881), 173-175 und
246—250 (Sozialismus und Christentum). Zu beachten sind die Einleitungen
von L. M. Rosenbljum und G. M. Fridlender.

5 Ich nenne hier nur folgend« Arbeiten V. Klrpotins: F. M. Dostoev
»kij. Tvorceskij put' (1821-1859), Moskau i960 (K.M.I). Der schöpferische
Weg [1821--18.'>9]). Dostoevskij v iestidcsjatye gody. Moskau 1966 (D. in
den sechziger Jahren). Razocarovanie i krulenie Radfona Raskol'nikovn,
Moskau 1970 (Enttäuschung und Zusammenbruch R. R.s.) ; Dostoevskij
chudoznik. Elju.ly 1 issledovanija, Moskau 1972 (D. als Kunstler. Studien
und Aufsfitze).

• Dostoevsky's Underground Man in Russian litoraturo, 's Grnven-
bago 1958 und Dostoevsky's quest for form. A study of his philosophy
of art, New Häven and London 1966.

Theologische Lileraturzeilung 101. Jahrgang 1976 Nr. 8