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1976

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 8

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In der Streitfrage, ob Wyclif mehr den mittelalterlichen Nominalisten
oder Realisten zuzurechnen sei, bestätigt der Vf.
die Ansicht, die in dessen Entwicklung eine Hinwendung zum
Realismus sieht (7—21). Dieser verbindet sich mit ekklesiolo-
gischen Aussagen Auguslins, so daß die Kirche für Wyclif zu
einer unsichtbaren „congregatio omnium predestinatorum"
wird. Diese ist die eine Kirche, die unabhängig von Zeit und
Raum besteht. Christus ist ihr Haupt, und jeder Erwählte hat
unmittelbare Gemeinschaft mit ihm. Während hier das Individuum
in den Vordergrund tritt, betont Wyclif bei der eccle-
sia mililans, der geschichtlichen Erscheinung der Kirche, die
Institution. Er weist die Ansprüche des Papstes zurück, die
eine Kirche zu repräsentieren, und sieht die ecelesia mililans
durch mehrere, territorial gegliederte Kirchen verkörpert. Den
Ursprung ihres Niedergangs sieht er in der Konstantinischen
Schenkung, die für die Leitung der Kirche die Vorstellung der
Jurisdiktion, verderblichen Reichtum und das Papsttum mit
»einen hierarchischen Ansprüchen brachte. Der Vf. stellt Wyclif
in die mittelalterliche Armulsbewegung hinein. Er zeigt, wie
eng Wyclifs Vorstellungen vom Verderben der Kirche und
ihrer Reform, nämlich die Folgen der Konslaninischen Schenkung
zu beseitigen, zusammenhängen. In der Frage, in welchem
Verhältnis Kirche und Staat zueinander stehen, übernimmt
Wyclif den Gedanken ihrer Einheit, kehrt aber die
papstlichen Vorstellungen um, indem er den Leiter dieser Gemeinschaft
nicht im Papst, sondern im welllichen Herrscher
des jeweiligen Gebietes sieht. Diese enge Verbindung führt zu
einer Gleichsetzung des Gesetzes Gottes mit dem des Königs.
Der König wird zum Beauftragten Gottes, die Reform der
Kirche zugleich zu einer Reform des Gemeinwesens.

Wie soll nach Wyclifs Meinung das Ziel dieser Reform erreicht
werden? Da der König im Auftrag Gottes handelt, bedarf
er der Fachleute, die das göttliche Gesetz kennen, also der
Theologen. Sie werden zum notwendigen Bestandteil der Lan-
desvcrwallung. Der König aber soll seine Machtmittel gebrauchen
, den Klerus zur ursprünglichen Armut zurückzuführen
. Für diese Enteignung sucht Wyclif eine juristische Begründung
. Er findet sie in der Behauptung, daß der kirchliche
Besitz nur unter bestimmten Bedingungen den Klerikern überlassen
worden und daher als Lehen zu verstehen ist, das von
den Stiftern bzw. ihren Nachfolgern zurückgenommen werden
kann. Dem König wird die Aufgabe zugesprochen, die Kleriker
zu bessern. Wyclif erhebt den König zur letzten Berufungsinstanz
auch in geistlichen Dingen. Er nimmt die Ansicht auf,
daß es notwendig ist, gegebenenfalls auch gegen bestehende
Ordnungen im Blick auf das Gemeinwohl zu handeln. Der Vf.
stellt dar, in welchem Maße Wyclif Rechtsbcslimmungen und
Rechtsgewohnheiten des englischen Staates übernimmt und
weiterführt.

Das Ergebnis dieser Untersuchung lautet: Wyclifs Reform-
•MOIM war revolutionär, denn er wollte die bestehende Rechts-
Und Vermögensordnung der Kirche grundlegend ändern, um
sie zur evangelischen Armut der Urkirche und damit zu ihrer
geistlichen Aufgabe zurückzuführen. Sein Reformverfahren
hingegen war nicht revolutionär, denn er versuchte, es im Rahden
der geltenden Rechtsordnung in England zu begründen.
Von diesen Bemühungen leitet der Vf. die entschiedene Zurückweisung
der Darstellung her, die in Wyclif nur den Theoretiker
sehen und seine Unkenntnis in weltlichen Dingen be-
'"»uplen. Für den Vf. ist Wyclif «in Meister der Anpassung,
der die vorhandenen gesetzlichen und politischen Verhältnisse
Englands in den Dienst seiner Reformziele stellen will.

Ohne Zweifel ist es dem Vf. gelungen, in Wyclifs Lehre Zusammenhänge
aufzudecken, die den Blick auf die Korrelation
v°n unsichtbarer Kirche und sichtbaren Kirchen, Reformzielen
Und Reformverfahren lenken. Wie weit sich weitere Lehrgegenstände
Wyclifs, die der Vf. nicht behandelt hat, in diese Ge-
S'inilschau einordnen lassen, muß sich erst erweisen. Und wenn
der Vf. auch den rechtsgcschichllichen Hintergrund der Überlegungen
Wyclifs in bezug auf das Reformverfahren aufdeckt,
80 kommt doch die Beziehung zwischen Wyclifs Lehre und
seinen eigenen geschichtlichen Erfahrungen, zwischen der Entwicklung
seiner Gedanken und den innen- und außenpolitischen
Vorgängen seiner Zeit zu kurz weg, um zu verdeutlichen,
in welchem Maße seine Erwartungen an die politische Macht,
daß sie seine Reform vollziehen werde, tatsächlich realistisch
war.

Leipzig Helmar Junghans

Berichtigung
ThLZ 100, 1975 Sp. 438, Zeile 25 v. oben muß heißen:
laslik, zumal seit dem Beginn des 15. Jh.s. Alte Dar-

Berg, Ludwig: Thomas von Aquin — der heilige Denker
(TThZ 84, 1975 S. 317-337).

Beumer, Johannes: Robert Grosseteste von Lincoln, der angebliche
Begründer der Franziskanerschule (Franziskanische
Studien 57, 1975 S. 183-195).

Brandmüller, Walter: Die Aktualität der Konziliengeschichtsforschung
oder Historia ancilla theologiae ThGl 65, 1975
S. 203-220).

Frank, Isnard W.: „Evangelische Armut" und Bettelorden
(W'ort und Antwort 16, 1975 S. 103-109).

— Pneuma und Schema. Zum charismatischen Aufbruch im
I2./13. Jahrhundert (Wort und Antwort 16, 1975 S. 72
bis 78).

Hageneder, Herta: Zur Geschichte der Minoriten in Enns von
den Anfängen bis 1553 (Franziskanische Studien 57, 1975
S. 107-127).

Jaspert, Bernd: Die Regula Benedicli-Forschung und die protestantische
Theologie (Erbe und Auftrag 51, 1975 S. 20
bis 34).

Leclercq, Jean: Der heilige Bernhard und das Weibliche (Erbe
und Auftrag 51, 1975 S. 161-179).

— Der heilige Petrus Damiani und die Frauen (Erbe und Auftrag
51, 1975 S. 270-281).

— Moderne Psychologie und die Interpretation mittelalterlicher
Texte (Erbe und Auftrag 51, 1975 S. 409-426).

Moosdorf, Dorothea: Symeon der Neue Theologe (f 1022)

(Erbe und Auftrag 51, 1975 S. 458-467).
Schlegeter, Johannes: Hermeneutik der Heiligen Schrift bei

Wilhelm von Ockham (Franziskanische Studien 57, 1975

S. 230-283).

Spahr, Gebhard: Der Weifenprozeß Konrad und die Benediktiner
(Erbe und Auftrag 51, 1975 S. 352-364).

Thamm. Georg: Zum Proslogionsbeweis des hl. Anselm (ThGl
65, 1975 S. 289-292).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Schäfer, Walter: Karneades Konrad Münkel und seine fort-
schrillsgläubige Zeit. Lebensbild des lutherischen Pastors
und Publizisten (1809-88). Verden: Lührs & Rover 1974.
96 S., 1 Porträt, 8°.

Der Autor ist mit seiner Arbeit über Eberhard von Holle,
Bischof und Beformator (1967), in dieser Zeitschrift positiv
gewürdigt worden (94, 1969 Sp. 283—84). Er hat weitere Arbeiten
zur regionalen Kirchengeschichte seiner Heimat vorgelegt
. Die hier angezeigte Arbeit über Münkel hat auch zunächst
regionale Bedeutung. Herkunft, Ausbildung und
Freundschaften werden dargestellt; Münkel wird 1847 Pfarrer
in Oiste bei Verden. Man erfährt Einzelheiten. So fand
Schäfer eine Nachschrift des 1857/58 durch Münkel erteilten
Konfirmandenunlerrichts (S. 30). Münkeis Predigten wurden
1854 erstmals gedruckt. 1856 übernahm er die Herausgabe des
„Neuen Zeitblattes für die Angelegenheiten der lutherischen
Kirche", das Pelri 1848 begründet hatte. 1869 wurde sein Pfarrhaus
durch Brand zerstört, Münkel gab sein Pfarramt auf und
lebte in Hannover seiner publizistischen Arbeit, die er 1883
aus Gesundheitsgründen aufgab. 1861 wurde er Ehrendoktor
der Theologischen Fakultät Bostock (S. 45). Bei der Gründung
der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz 1868
..war Münkel neben den Professoren Luthardl (Leipzig) und
von Zczschwitz (Erlangen) sowie dem Oberkirchenrate Klie-