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Ausgabe:

1976

Spalte:

588-589

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gaboury, Antonio

Titel/Untertitel:

La structure des évangiles synoptiques 1976

Rezensent:

Reicke, Bo

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Theologische Lilcraturzcitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 8

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Besonders das Befehlswort „geh" und ein universalistischer
Aspekt („alle") weisen das betreffende Wortfeld aus. Man bedauert
, daß II. die Form nicht auch noch durch soziologische
Rückfragen (nach Sit/, im Leben, dadurch befriedigtem Bedürfnis
usw.) exakt als Galtung erwiesen hat (S. 63 sagt er
lediglich, die Einzelerzählung „oflen involves Iiis assuming a
new role in lifo, c. g, that of prophet"). Handelte es sich um
eine für Propheten charakteristische Legitimationsform? Ist
diese Form dann (etwa deuleronomistisch) auf Erzväter und
Moses übertragen worden? Handelt es sich bei Cyrus um eine
weitere Übertragung oder kommt hier ein religionsgeschicht-
licher Hintergrund zutage? So wird auch die Frage nach einem
eventuellen Weiterleben der Form im zwischcnlestamentari-
schen Raum nicht verfolgt. Schade! So wirken die Aufstellungen
, als ob es II. nur um einen altlestamenlliehen „Hintergrund
^ ginge.

In einem zweiten Schritt untersucht Ilubbard die Relation
von Form und Neuprägung in Mt 28,16—20. Wie schon in den
alttestamentlichen Analogien eine spürbare Variationsbreite
zu beobachten war, ist die matthäische Diktion relativ stark:
Der Evangelist komponiert die Schlußszene seines Evangeliums
. Er steht formal im Bann der alttestamentlichen Form,
verwendet aber auch die liturgische triadische Formel (Appendix
two, S. 151—175, diskutiert die Frage eines eventuellen
Kurztextes: Eusebs Zilation ist häufig ungenau!). Darüber
hinaus möchte H. nachweisen, daß die Episode im ganzen auf
vor-matthäischer Tradition fußt. Er vergleicht die parallelen
Partien bei Lukas und Johannes (Appendix one, S. 137—149),
auch den unechten Markusschluß). Als Ergebnis erarbeitet er
the origin:! comniissioning narrative:

Einleitung: Jesus begegnete den Elf

Reaktion: Als sie ihn sahen, wurden sie froh, einige aber
zweifelten

Befehl: Er sagte: Predigt allen Völkern, (tauft) in meinem
Namen zur Sündenvergebung

Zuspruch: (und siehe) Ich will den heiligen Geist auf euch
senden (S. 122 f.).
Sitz im Leben sei die Legitimation ihrer Verkündigungsarbeit
im Blick auf den lirhöhten gewesen (S. 126). Doch nun unterläuft
II. ein arges Mißgeschick. Es mag nützlich und daher
erlaubt sein, sich über Vorformen paralleler Texte Gedanken
zu machen. Aber kann man eine bestimmte Vorform erarbeiten
? Müßten wir uns nicht mit dem Ergebnis begnügen, bestimmte
traditionelle Elemente aufzuzählen, ohne gleich eine
historische original narrative vorzuführen, die dann historisch
eingeordnet werden kann? Könnte im mündlichen Raum nicht
etwa die (formal durchaus ungeprägte) Nötigung zur Legitimation
das traditionelle Element gewesen sein, auf die man
jeweils variabel antworten konnte? Dann würden die Änderungen
hin zu Matthäus, Lukas, Johannes und Ps. Markus
nicht nur deren schriftstellerische Variation ausweisen, sie
könnten auch durch eine veränderte Tradition (erweiterte Anfrage
) ausgelöst sein. Für Postulate zur mündlichen Überlieferung
sollte unsere am Schriftlichen orientierte Vorstellung
möglichst weitgehend ausgeschaltet bleiben.

Hubbard geht noch weiter (S. 127t)! Er verteilt die Urform
des Missionsbefehls auf zwei Stufen: Einer der Elf habe die
Beauftragung durch den Erhöhten erzählt, die Heidcnmission
„added the universalistic emphasis". Iiier hätte die Aufarbeitung
der Form (universalistisches Grundmotiv!) verhindern
können, daß das eigene Ergebnis sorglos dem traditionellen
Bild über die Anfänge geopfert wurde.

Aber Ilubbards Studie regt zu einer Nacharbeit nn. Man
möchte den zuständigen Forschern die Beantwortung der Fragen
überlassen, ob und wo es im Alten Testament eine Lcgi-
timationsformel (etwa für Propheten) gegeben bat, auch: woher
diese abzuleiten ist. Im ncuteslamentlichcn Bereich spricht
man schon längere Zeit von Legitimationsformeln, wobei an
IKor 15,5ff., an das pauliniscbe Briefpräskript oder nn die He-
rufungs-Erzählungcn Mk 1,16—20 parr.; 2,14 gedacht werden
kann. Wer das ganze Material sichtet (nicht nur die Zwölfer-
Tradition, an die Mt 28,16 anknüpft), wird sich mit aller Behutsamkeit
an die Beantwortung der Frage begeben müssen,

warum es so theologisch grundverschiedene Gesamtaussagen
nebeneinander gegeben hat, etwa Legitimationsformcln im
Blick auf den Erhöhten und solche im Rückverweis auf den
voröslcrlichen Kyrios. Das von IL aufgearbeitete Formschema
gilt mit den notwendigen Variationen ja auch für die Beru-
fungs-Erzählungcn! Sogar der Selbslbericht Gal 1,15(1. läßt
sich formal von hier aus erschließen. Ist das urchristliche Be-
rufungs- (oder Ordinations-) Protokoll innerhalb des Spracli-
feldcs des Gotlesbefchls ausgeformt worden? Warum aber hat
man keine Einheitlichkeit bei der theologischen Begründung
gefunden? Solche Fragen stellen, beißt, dem Autor für seine
Anregungen danken, aber auch ihn bitten, bei den historischen
Schlüssen behutsamer vorgehen zu wollen, damit nicht eine im
formalen Bereich schöne Erkenntnis durch eine fragwürdige
historisierende Einordnung um ihr Gewicht gebracht wird.

Borsdorf bei l,cipzig Gottfried Sdiille

Gaboury, Antonio: La strueture des 6vangiles synoptiques. La
strueture-type a l'origine des synoptiques. Leiden: Brill
1970. IX, 226 S., 2 Falttaf. gr. 8° = Supplements to Novum
Testamentum, ed. by W. C. van Unnik, XXII. Lw. hfl. 52,—.
Mit dieser beachtenswerten Untersuchung will der Vf. die
Lücke zwischen formgeschichtlicher und redaktionsgeschicht-
licher Betrachtung der synoptischen Evangelien ausfüllen. Er
stellt mit Recht fest, daß über die Entwicklung der form-
geschichllich analysiertenPerikopen zu den redaklionsgcscliiclit-
licli studierten Evangelien allgemein Unklarkeit besteht. Man
beruft sich auf Ergebnisse beider Forschungsmethoden neben
der Zwoiquellentheorie, ohne zu bedenken, daß statisch gedachte
Einheiten wie das MkEv und Q die graduelle Entwicklung
von einzelnen Perikopen zu den gesamten Evangelien
nicht erklärt. Zwischen diesen Polen muß der Raum durch
Analyse von allmählich wachsenden Strukturen in der Überlieferung
aufgefüllt werden. Gaboury möchte dieses Problem
als Strukturgeschichle bezeichnen (S. 224 f.).

Ein weiterer Hauptzweck des Buches ist die Demonstration
eines grundlegenden Unterschiedes zwischen IVrikopenroilien
mit Differenz und solchen mit Konstanz in der Ordnung
(S. 54f.). Diese zwei 'lypen werden 1) und C genannt, Abkürzungen
für difference und constance.

D findet sich im synoptischen Material gleich nach der ersten
Notiz über Jesus in Galiläa (Mt 4,12/Mk 1,14/Lk 4,14) bis zur
Aussendung der Zwölf (Mk 6,6—13/Lk 9,1—6). Lukas hat diesen
Sektor mit dem Besuch Jesu in Nazarcth eingeleitet. Matthäus
und Markus haben ihn damit abgeschlossen (Lk 4,16
bis 30; Mt 13,53—58/Mk 6,1—6). Audi sonst ist die Variation
in der Reihenfolge der Perikopen hier notorisch.

C wird nicht in derselben Weise wie I) abgegrenzt, fällt aber
praktisch mit dem Rest der Drcierlradition zusammen. Für
dieses Material ist eine ähnliche Ordnung der Texteinheiten
charakteristisch, was Gaboury auf eine gemeinsame Formation
zurückführt. Diese hat nach seiner Ansicht die primäre Stufe
der Tradition gebildet, wobei der Passionsbcricbt evtl. als Vor-
studium gezählt werden könne (S. 219). C wird also nicht
etwa mit dem MkEv gleichgestellt, sondern als ein für die
Synoptiker gemeinsamer Tradilionsblock aufgefaßt. Lukas
habe diesen in einer früheren Gestalt als Matthäus und Mur-
kus gekannt (S. 2211).

Die jüngere, ursprünglich selbständige Traditionsschicht D
wurde später in C eingeschoben. Iiier ist es wiederum Matthäus
, der ein früheres Stadium der Formalion spüren läßt,
wie eine Rekonstruktion seines Ausgangsmaterials zeige
(S. 221). D sei graduell umgestaltet worden, wobei die Haupt-
momentc der Entwicklung von der Grundstruktur, vom MtEv
und vom MkEv-LkEv vertreten wären (S. 222). Ein kompliziertes
Schema verschiedener Quellen, genannt A-l, A-2 und
B in der Drciertradilion, I und II in der Zweierlradition, soll
diese Auffassung litcrarkritisch untermauern. Auch theologisch
findet Gaboury einen fundamentalen Unterschied zwischen
C und D, indem C die Person Jesu im Blick auf die Mcs-
siaserwarlung, D aber seine Worte und Werke im Blick auf
das Gottesreich illustrieren wollten (S. 224f.).