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Ausgabe:

1976

Spalte:

583-585

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Boutin, Maurice

Titel/Untertitel:

Relationalität als Verstehensprinzip bei Rudolf Bultmann 1976

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Theologische Literaturzeilung 101. Jahrgang 1970 Nr. 8

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men des Mensclicnsohnes in 10,23 seine evangeliare, redaktionelle
Bedeutung erst in der Spannung zu den Aussagen vom
bleibenden Mit-Sein des erhöhten Herrn in der Gemeinde . . ."
(S. 135). „Innerhalb des atl.-jiidischen Zeitempfindens, das im
,Heute' Vergangenheit und Zukunft als gegenwärtiges Handeln
Jahwes mit Israel erfahren konnte, bleibt auch für dag
mt Zeitempfinden die eigenartige prismatische Kouzentric-
rung disparater Geschichte, die problemlos die geschichtliche
Distanz überspringen kann, konstituierend" (S. 356). Kann
man so etwas nicht einfacher Bagen?

Unschön wirken kleinliche Polemik, summarische Urteile,
souveräne Abkanzelungen. Vielfach sind die Differenzen, die
Fr. bemerkt, nur hauchdünn, manchmal iu der Sache gar nicht
zu entdecken. Sind dem Aufspüren von Nuaucen, das natürlich
zum exegetischen Geschäft gehört, nicht gewisse vernünftige
Grenzen gesetzt?

Ungeachtet mancher kritischer Anmerkungen stellt das
Werk eine respektable Leistung dar, für die man die ihr entsprechende
Beachtung erhofft.

Leipzig Wolfgang TrilUng

1 Vgl. u. a. die inzwischen erschienenen weiteren Arbeiten zu Mt:
Joachim Lange, Das Erscheinen des Auferstandenen im Evangelium nach
Matthäus. Eine traditions- und redaktionsgeschichtliche Untersuchung
zu Mt 28,16—20 (Forschung zur Bibel 11), Würzburg 1973; Alexander
Saud, Das Gesetz und die Propheten. Untersuchungen zur Theologie des
Evangeliums nach Matthäus (Biblische Untersuchungen 11), Regensburg
1974.

2 Vgl. jetzt auch die kritischen Bemerkungen von A. Sand, a.a.O. 211 f.
zu R. Walker, Die Heilsgeschichle im ersten Evangelium, Göttingen 1967,
die in die gleiche Richtung zielen.

* O. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, Neukirchen
1967.

Boutin, Maurice: Relationalität als Verstehensprinzip bei Rudolf
Bultmann. München: Kaiser 1974. 626 S. 8° = Beiträge
zur evang. Theologie, hrsg. v. E. Jüngel u. R. Smend,
67. Lw. DM 64,-.

Die vorliegende Dissertation, von Michael Schmaus angeregt
und 1973 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der
Universität München als Dissertation angenommen, war ursprünglich
als Teil einer umfassenden Untersuchung über
Bultmanns Theologie gedacht, deren Umfang indessen den
Rahmen einer Promotionsarbeit sprengte. Darum legt der Vf.
nur den ersten Teil der umfangreichen Arbeit vor, einen freilich
auch selbst noch voluminösen Band, der ursprünglich den
Titel trug: Bultmanns Anthropologie unter dem Gesichtspunkt
des Frage-Antwort-Schemas.

Diesem Titel entsprechen Inhalt und Gliederung von Bou-
tins Arbeit besser als dem jetzigen, etwas dunklen Buchtitel,
der indessen die Spitze der vorliegenden Interpretation von
Bullmanns Theologie bezeichnet.

Boutin gliedert seine Schrift in vier Abschnitte: I. Der
Mensch als Frage (29-166); II. Frage und Antwort (169 bis
254); III. Gottes fragende Antwort (257-365); IV. Gottes bejahende
Antwort (369-592). Vorwort und Einleitung sowie
umfangreiche Register rahmen die Untersuchung ein.

Unter dem Stichwort „Der Mensch als Frage" behandelt
Boutin Bultmanns Anthropologie (im engen Sinn: der Exi-
slenzbegriff), seine Hermeneutik und den Goltesbegriff.

„Frage und Antwort" deckt die Erörterung von Bultmanna
Stellung zu Traditionen aller Art (mit einem Exkurs über
„Bultmann und das Alte Testament"), des existentiellen Wahrheitsbegriffs
Bultmanns und des Problems von Anknüpfung
und Widerspruch.

Unter der Uberschrift „Gottes fragende Antwort" erfolgt
eine ausführliche Darlegung des Begriffs „Sünde" in der Theologie
Bultmanns mitsamt einschlägiger Problemkreise wie
„Angst" und „Fragwürdigkeil" des Daseins.

Am umfangreichsten ist das letzte Kapitel „Gottes bejahende
Antwort", das offensichtlich Abschnitte aus den zurückgestellten
Teilen der umfangreichen Untersuchung in sich aufgenommen
hat. Boutin erörtert die zusammenhängenden Begriffe
„Gnade", „Freiheit" und „Entscheidung" (bzw. „Glaube") und
geht dabei unter dem Aspekt der „äußeren Freiheit" ausführlich
auf die Weltverantwortung des Glaubens im Verständnis
Bultmanns ein. In einer Schlußbetrachtung legt Boutin dar,
wie Bultnuinn das „simul peccator — simul iustus" versteht.

Aus der Behandlung der einzelnen Themen läßt sich erkennen
, warum Boutin den ursprünglichen Titel durch den jetzigen
ersetzt hat. „Relationalität" — der Begriff selbst begegnet
in Boutins Untersuchung im übrigen ebensowenig wie bei
Bultmann — nimmt die Bultmannscheu Begriffe Beziehung,
Bezug, Bezogenheit, Verhältnis usw. auf. Die grundlegende
Bezogenheit in Bultmanns Theologie besteht Boutin zufolge
darin, „daß der Glaube auf das ,kontingent<: Faktum Jesus
Christus' bezogen ist" (S. 19). Durch die Beschränkung der
vorliegenden Arbeit auf den ersten, die Anthropologie (im
weitesten Sinn) betreffenden Teil der ursprünglichen Untersuchung
hätte der Eindruck entstehen können, daß Bultmann
die Theologie in Anthropologie auflöse. Diesem verbreiteten
Eindruck bzw. Vorwurf gegen Bultmanns Theologie will Boutin
offensichtlich von vornherein wehren, indem er den Begriff
„Relationalität" im Titel der Dissertation als das Verstehensprinzip
der Theologie Bultmanns herausstellt. Und in
der Tat unterläßt der Vf. es im Verlauf seiner Arbeit auch um
den Preis von Wiederholungen nicht, die Bezogenheit der Anthropologie
Bultmanns auf die Offenbarung bzw. die Einheit
von fides qua creditur und Ddcs quae creditur herauszustellen
.

Damit deutet sicli ein Boutin überhaupt leitendes Interesse
an: Er bemüht sich, Bultmanri als einen „orthodoxen" Theo-
Log«) darzustellen. Dies Bemühen ist um so leichter von Erfolg
gekrönt, als die Probleme der Christologic und der Eschatolo-
gie einschließlich des Programms der Entniythologisierung aus
der Untersuchung ausgeschlossen bleiben, traditionelle dogmatische
Begriffe wie z. B. Erbsünde aber als für Bultmann relevante
Begriffe nachgewiesen werden.

Dieser Intention entspricht, daß Boutin Bultmann an keiner
Stelle seiner Untersuchung ernsthaft kritisiert, obschon seine
umfangreiche Arbeit keineswegs frei von kritischen Erörterungen
ist. Indessen dienen diese Erörterungen vor allem dazu,
Bultmann gegen ungerechtfertigte Angriffe seiner Kritiker zu
verteidigen, überzeugend weist Boutin z. B. nach, daß Bultmanns
Betonung des Glaubcnsvollzuges (das „Daß" des Glaubens
) den Glauben nicht inncrmenschlich begründen will, sondern
auf den extra hominem befindlichen Gegenstand des
Glaubens (das „Was") bezogen bleibt; daß der wenig glückliche
Ausdruck „EntweltlicJiung" nicht Weltlosigkeit oder Ver-
innerlichung meint; daß Bullmann in seiner Weise die politische
Dimension des christlichen Glaubens bedenkt usw. (In
dem zuletzt genannten Zusammenhang setzt Boutin sich dabei
in gescheiter Weise mit J. B. Metz auseinander, der, weil
er sich an dem altlestamcnllichen Vcrheißungsgeschehen und
nicht, wie Bullmann, an dein neutestamentlichen Indikativ
des Heils orientiert, mit seiner Kritik Hultmann night trifft.)

Die Kritiker Bultmanns, denen Boutin nachweist, daß sie
Bultmanns Intention in wesentlichen Punkten mißverstanden
haben, stammen alle aus dem katholischen Lager; neben Metz
ist vornehmlich Marie Gesprächspartner Boutins. Das Gegenstück
dazu bietet die Tatsache, daß Boutin immerfort auch
Karl Rahner in das Gespräch über Bultmanns Theologie einbezieht
, und zwar offensichtlich in dem Bestreben, die große
Nähe Bullmanns zu diesem katholischen „Normaldogmatiker"
aufzuzeigen.

In diesem Zusammenhang ist eine weitere Beobachtung von
Interesse; nicht nur Theologen, sondern auch Philosophen und
Naturwissenschaftler werden von Boutin als Teilnehmer am
Gespräch über die Theologie Bullmanns herangezogen: Mo-
nod, Carl Friedrich von Weizsäcker, Gabriel Marcel, Kant,
Dilhey, Jaspers und natürlich vor allem Heidegger. Dabei
erweist sich Bultmann nicht nur stets als höchst aktueller und
durchaus moderner Denker, der die Stimme der christlichen
Theologie eindrücklich und überzeugend im Umkreis der Welt-
wissenschaflcn zur Geltung bringt. Er erscheint auch in überaus
starkem Maße in der philosophischen Tradition verwurzelt
. Mit besonderer Liebe und Aufmerksamkeit arbeitet Boutin
jene Züge des Bultmannschen Denkens heraus, in denen