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Ausgabe:

1976

Spalte:

580-583

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Frankemölle, Hubert

Titel/Untertitel:

Jahwebund und Kirche Christi 1976

Rezensent:

Trilling, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 8

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selbst in „original" griechisch formulierten Sätzen in beiden
Städten mit Semitismen zu rechnen ist. Nicht so leicht scheint
mir dagegen der Vorwurf der „konsequenten Traditionsgeschichte
" erledigt zu sein — auch nicht mit dem nicht explizit
darauf eingehenden Aufsatz „Zum Überlieferungsproblem im
Neuen Testament" (1969).

Der Rez. gesteht, daß ihm auch die — z. T. nicht erstmalige
— Lektüre der Aufsätze keine Klarheit in der schon angedeuteten
Grundfrage der theologischen Konzeption C.s gebracht
hat. Offen bleibt vor allem die — auch im „Grundriß"
ausdrücklich (S. 15f.) verweigerte — Bestimmung des Rele-
vanzverhältuisses von Jesuslradition und nachösterlichem
Credo. Der programmatische Aufsatz „Zur Methode der Leben-
Jesu-Forschung" von 1959 endet mit der Feststellung des
notwendigen „Daß" der Jesusüberlieferung im Rahmen des
Kerygmas (S. 29), und so erörtert der „Grundriß" die Probleme
der Botschaft Jesu (C. spricht merkwürdigerweise lieber von
Jesu „Lehre") eingebettet in den 2. Hauptteil, der „das synoptische
Kerygma" behandelt. Aber welche theologische Relevanz
nun eigentlich das Eigenverständnis Jesu von seiner
Botschaft hat (denn dies ist mit dem scheinbar noch psycholo-
gisierenden Stichwort vom „Selbstbewußtsein" Jesu in dem
schon erwähnten zuerst schwedischen Aufsatz ebenso wie im
§ 16 des „Grundrisses" natürlich gemeint), bleibt offen. M. E.
muß dieses Eigenverständnis Jesu — daß es in wesentlichen
Grundzügen historisch beschreibbar ist, bestreitet C. ja durchaus
nicht! — doch als Norm des nachösterlichen Credo gelten,
wenn anders dieses Credo doch Jesus, den Mann aus Naza-
reth, als den Christus, Kyrios und Gottessohn bekennen und
sich nicht auf ein unverifizierbares Phantom beziehen will. Wo
einer Verhältnisbestimmung dieser Art ausgewichen wird und
statt dessen alles bei einer (iraditionsgeschichtlichen) Variante
des Bultmannschcn „bloßen Daß" Jesu belassen wird, bleibt
offen, ob es nicht doch das Credo ist, das Jesus zu legitimieren
hätte, und ob nicht der Sachverhalt des Überliefertseins der
Jesustradition und der nachösterlichen Credo-Tradition als
solcher die theologisch-kritische Verifizierung dieser Tradition
an Jesus selbst überflüssig machen soll. Das wäre dann eben
doch eine gefährliche „konsequente Traditionsgeschichte" oder
— anders ausgedrückt — die Gefahr eines „Kerygma-Positi-
vismus"1.

Es bedarf wohl keines Wortes, daß diese kritische Anfrage
den Wert der Aufsätze oder des „Grundrisses" nicht herabsetzen
will — Rez. bekennt gern, daß er aus C.s Arbeiten immer
wieder dankbar lernt. Doch verbietet die gebotene Kürze,
auf die Einzelheiten der weithin ja bekannten Aufsätze einzugehen
. Das gilt auch für die wichtigen Arbeiten zu Paulus:
über Isis als „die Mutter der Weisheit" (19G4J und die Weisheitsspekulation
als eine der „Mütter" der Theologie des Paulus
(„Paulus und die Weisheit", 1967), womit einer Monopolstellung
der Apokalyptik als Wurzel paulinischer Theologie
wohlbegründet gewehrt wird. Es ist bekannt, welche Holle
diese Frage für das Verständnis der Gottesgerechtigkeil nach
Paulus spielt. C. beteiligt sich an der Diskussion darum engagiert
in dem Aufsalz „Die Rechlfertigungslehre des Paulus:
Theologie oder Anthropologie?" (1968) und in dem Vortrag
„Rechtfertigung durch den Glauben" (1967), dem es vor allem
darum geht, zu zeigen, daß die Rechtfertigungslehre keine
„Sonderlehre" des Paulus ist, sondern die paulinische Formulierung
dessen, was im Neuen Testament überhaupt als Gotles
Heil für uns geglaubt wird. — Auf den Beitrag zum l Joh bzw.
zur „johanneischen" Ekklesiologie („Was von Anfang war",
1054) kann nur eben noch hingewiesen werden.

„Theologie als Schriftauslegung": so hatte C. 1961 die Arbeit
R. Bultmanns in einem Aufsatz für das „Studium Generale
" charakterisiert, mit dem er jetzt den vorliegenden Band
eröffnet, gewiß als nochmaliges Bekenntnis zu seinem Lehrer.
Nun dient ihm diese Formel auch als Motto seines eigenen
Programms. C. erläutert das im Vorwort dahin, daß es der
Beitrag der Exegese zur theologischen Arbeit sein müsse, „im
Bewußtsein zu halten, daß die theologischen Grundbegriffe
Beziehungen zu Gott bezeichnen: Glaube, Liebe, Hoffnung,
Gnade, Gerechtigkeit". Ohne daß nun alle diese Grundbegriffe

im vorliegenden Band explizit behandelt würden, wird doch
durchweg der Protest des Exegeten gegen eine Verwechslung
christlich-theologischer Arbeit mit der Erarbeitung einer so
oder so gefüllten „Weltanschauung" deutlich. Immer wieder
wird herausgestellt, daß sich das Urchristentum von seiner
Mitwelt nicht primär durch eine andersartige Wellsicht unterscheidet
, daß es vielmehr ein besonderes Geschehen zur
Sprache bringt. Gerade auch in Richtung der oben angedeuteten
Kritik kann der Bez. diesem Grundanliegen nur entschieden
zustimmen.

Das Florieren der Gattung „Gesammelte Aufsätze" zeigt, daß
ein offenkundiges Bedürfnis nach derartigen Sammelbänden
besteht. Welcher exegetisch interessierte Theologe hätte schon
alle einschlägigen Zeitschriften usw. in seinem Bücherschrank!
Dem Autor und dem Verlag ist mit Dank zu bestätigen, daß
der vorliegende Band zu den wichtigen seiner Art gehört.

Naumburg Nikolaus Waltor

1 Die Nähe dioser Konzeption Conzolrnnnns zu der von Heinrich Schlier
ist offenbar auch anderweitig schon aufgefallen, vgl. M. Rese, VuF 15,
1970, Heft 2, S. 83f. (mit Anm. 30).

Frankcmölle, Hubert: Jahwebund und Kirche Christi. Studien
zur Form- und Traditionsgcschichle des „Evangeliums" nach
Matthäus. Münster/W.: Aschendorff [1974]. X, 429 S. gr. 8°
= Neutestamentl. Abhandlgn, hrsg. v. J. Gnilka, N. F. 10.
Lw. DM 84,-.

Die anfänglich enger angelegte Arbeit zur historisch-soziologischen
Gestalt einer Kirchengemeinde im MtEv. weitete sich
dem Vf. zu einem neuen Deutungsversuch des ganzen Matthäus
-Evangeliums aus, den er in dieser Münsteraner Dissertation
(bei J. Gnilka) vorlegt. Man ist überrascht, zu sehen,
wie anregend und fruchtbar sich weiterhin das MtEv. für
rodaktionskritischc und traditionsgeschichtliche Befragungen
erweist1.

Von der anfänglichen Themenstellung her erklärt sich der
Ansatz beim Kirclienvcrstündnis. Die zahlreichen Arbeiten der
letzten Jahre kamen nach Frankemölle (= Fr.) trotz des gemeinsamen
methodischen Ausgangspunktes zu z. T. „völlig
entgegengesetzten Ergebnissen" in der Kirchenfrage (S. 1).
Diese zutreffende Feststellung motiviert die vorliegende umfassend
angelegte, gründlich gearbeitete, die Literatur reichlich
diskutierende Untersuchung zum Kirchenverständnis und zur
Theologie des MtEv. Die Entdeckerfreude darüber, des Rätseid
Lösung gefunden zu haben, klingt noch in den überzeugten
Sülzen der Einleitung nach: „Revisionen in Einzclfragen sind
vorauszusehen, während eine Revision der grundsätzlichen
These, die sich im besten wissenschaftlichen Sinn als ,These'
versteht, nämlich die These vom doppelpolig strukturierten
Denken des Ml (.Jahwebund und Kirche Christi'), ausgeschlossen
erscheint" (S. 6). Kann man eine „These" von vornherein
gegen jede Revision sichern? Jedenfalls ist man auf diese These
gespannt.

Sie wird vom Anfang bis zur letzten Seite des Buches konsequent
entfaltet. Ihr Kern ist die Herausarbeitung einer „bun-
drstlicologischcn" Konzeption, die Mt in bewußter Anknüpfung
an die deutcronomischc und chronistische Geschichts-
theologic entwickelt habe. Dieses „literarisch-theologische"
Konzept einer ntl.-evangelischen „Bundestheologie" sei eine
eigenständige theologische Leistung des Evangelisten. Die Aus-
einandersetung mit „Israel" (als einer stets streng theologi-sch
gefaßten Größe) werde auf dieser Basis der deutcronomisch-
chronistischen Geschichtsdeutung geführt, wodurch sich die
Mögli cli keilen einer Kontinuität von Gottes Heilswirken
ebenso wie einer Abgrenzung zwischen „Israel" und „Kirche"
eröffneten. „Der Aktualität des Problems Israel — Völker
beim Dt und der von Vülkcrkirche — Israel bei Mt verdankt
die eine wie die andere Schrift ihr Entstehen" (S. 141 f.). Aualog
zu Paulus in Hörn 9—11 bewege Mt das Problem der Treue
Gottes zu den Verheißungen, „die Jahwe als treuer Gott Israel
gegeben hatte" (S. 219). „Das Verhältnis von ,Israel' zur
Kirche mit dem Jahwebund bzw. der Treue Jahwes als ge-