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Ausgabe:

1976

Spalte:

571-573

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Gnosis und Gnostizismus 1976

Rezensent:

Tröger, Karl-Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 8

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des „Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium" oder auf
die zahlreichen Texte der koptischen und der äthiopischen Literatur
in der „Patrologia Orientalis" genügen, um nur dieso
beiden Sammlungen von orientalischen Quellen aus dem
Abendland zu zitieren.

In diesen Arbeiten sind die Theologie, die Kirchengeschichte,
die Liturgie, die Hagiographie und das Kirchenrecht sehr ausführlich
vertreten. Man hätte dem Leser zumindest einen Hinweis
darauf geben sollen.

Ferner fehlt eine Erklärung der technischen Terminologie
der beiden Kirchen. Auch in Büchern von weit geringerem
Umfang erfährt der Leser, was „etcheque" und „debtera" in der
äthiopischen Kirche bedeutet oder „qummus" in der koptischen
Kirche.

In den Bibliographien des Anhangs haben wir einige Autoren
vermißt, z. B. Beguinot, Burmester, Lebon, Morenz, Pe-
reira, Quecke, Sapeto, Wipsycka. Noch nützlicher wäre eine
Bibliographie nach Sachgebieten in Paragraphen unterteilt
gewesen. Es besteht auch keine Einheitlichkeit der Transkription
. Wenn man die wissenschaftliche Umschrift mit den
diakritischen Zeichen nicht anwenden wollte oder aus typographischen
Gründen nicht anwenden konnte, so wäre doch die
Durchführung eines einzigen und konstanten Kriteriums nötig
gewesen. Statt dessen tritt derselbe Name und dasselbe Wort
in verschiedenen Umschreibungen auf.

Bei den Büchern in arabischer Sprache sind die bibliographischen
Daten manchmal nicht präzis und exakt.

Dankbar begrüßt man die Aufnahme einer Dokumentation
über ökumenische Begegnungen. Man hätte aber dabei nicht
bei der Konferenz von 1971 in Addis Abeba stehenbleiben
dürfen. In diesem und dem folgenden Jahr wurden in Wien
Konsultationen zwischen Vorchalcedonensern und Chalcedo-
nensern veranstaltet. Die Zeitschrift „Wort und Wahrheit" hat
über diese Vorgänge berichtet. Sie hätten Erwähnung finden
sollen.

Unsere hier ausgesprochenen Beserven könnten allzu streng
erscheinen. Wir wollen jedoch durch sie die Hochachtung nicht
zurücknehmen, die wir all dem gegenüber, was sich an Gutem
in dem Buch findet, zum Ausdruck gebracht haben. Nur schien
uns dabei, daß diese Gelegenheit, dem gebildeten abendländischen
Leser zwei orientalische Kirchen vorzustellen, noch
besser hätte genutzt werden sollen, als es geschehen ist.

Rom Vincenzo Poggl

(übersetzt von Werner Becker)

Rudolph, Kurt [Hrsg.]: Gnosis und Gnostizismus. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975. XVIII, 862 S. 8° =
Wege der Forschung, CCLXII. Lw. DM 117,—.

Dem Herausgeber geht es um die Markierung der „Hauptwege
" der Gnosisforschung, nicht um die „Irr- und Abwege-*
(S. IX), wiewohl man indirekt von solchen Sackgassen durch
polemische Äußerungen der einzelnen Autoren noch genug erfährt
. Der besseren Orientierung in diesem mit großer Sachkenntnis
und Sorgfalt zusammengestellten Sammelband dient
das kurze, instruktive Vorwort von K. R. Er nennt fünf Abschnitte
der Gnosisforschung, repräsentiert durch die Namen
F. C. Baur, Harnack, Bousset, Jonas und Nag-Harnmadi. Et
geht ihm vor allem darum, „eine Anzahl markanter Stimmen
über Wesen, Ursprung und Entwicklung der Gnosis bzw. des
Gnostizismus festzuhalten und für die zeitgemäße Debatte
fruchtbar zu machen" (S. XVII). Spezialuntersuchungen
konnte der Herausgeber begreiflicherweise nicht aufnehmen.
Dennoch ist das Buch auch in dieser Hinsicht eine Fundgrube,
denn es fehlt nicht an Hinweisen auf specialissima mit entsprechenden
Literaturangaben. Leider ist mancher renommierte
Forscher in dieser Sammlung nicht vertreten, einige aus
Verlags- und autorenrechtlichen Gründen (so z. B. Bousset),
andere wegen des beschränkten Baumes. Doch begegnet man
vielen von ihnen (so Bultmann, Leisegang, Quispel, ßöhlig
u. v. m.) in den einzelnen Artikeln, durch das Autorenregister
leicht erschlicßhar, und in der ausgewählten Bibliographie. In

dieser sollte die Quellensammlung von B. Haardt (Die Gnosis,
deutsch 1967, englisch 1971) noch Aufnahme finden.

Um den Sammelband bibliographisch zu erschließen und
auch denen, die ihn nicht zur Hand haben, einen Einblick in
die Vielfalt der Themen und Autoren zu vermitteln, führen
wir die chronologisch geordneten Beiträge im einzelnen auf:
Im Anschluß an das Vorwort von K. Rudolph folgen: F. C.
Baur, Die Gnosis (1853/60); B. A. Lipsius, Gnostizismus
(1860); G. Koffmane, Die Gnosis nach ihrer Tendenz und Organisation
(1881); A. v. Harnack, Die Versuche der Gnostiker,
eine apostolische Glaubenslehre und eine christliche Theologie
zu schaffen, oder: die akute Verweltlichung des Christentunis
(1886); A. Hilgenfeld, Der Gnostizismus (1890); A. v. Harnack
, Bezension über: W. Bousset, Hauptprobleme der Gnosis
(1908); W. Schultz, Dokumente der Gnosis (1910); R. Beit-
zenstein, Iranischer Erlösungsglaube (1921); H.-Ch. Puech,
Das Problem des Gnostizismus (1933/34); R. P. Casey, Die Erforschung
des Gnostizismus (1935); A. D. Nock, Rezension
über: H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist I (1936); K. Stürmer
, Judentum, Griechentum und Gnosis (1948); G. Widen-
gren, Der iranische Hintergrund der Gnosis (1952); G. Kretsch-
mar, Zur religionsgeschichtlichen Einordnung der Gnosis
(1953); W. Foerster, Das Wesen der Gnosis (1955); H.J.
Schoeps, Zur Standortbestimmung der Gnosis (1956); W. C.
van Unnik, Die jüdische Komponente in der Entstehung der
Gnosis (1961); H. Schlier, Gnosis (1962); K. Rudolph, Stand
und Aufgaben in der Erforschung des Gnostizismus (1964) ; A.
D. Nock, Gnostizismus (1964); H.-M. Schenke, Hauptprobleme
der Gnosis (1965); U. Bianchi, Das Problem der Ursprünge des
Gnostizismus und die Rcligionsgcschichte (1965); II. Jonas,
Typologische und historische Abgrenzung des Phänomens der
Gnosis (1966/67); S. Arai, Zur Definition der Gnosis in Rücksicht
auf die Frage nach ihrem Ursprung (1966/67); R. Haardt,
Bemerkungen zu den Methoden der Ursprungsbestimmung von
Gnosis (1966/67); G. Widengren, Die Ursprünge des Gnostizismus
und die Rcligionsgcschichte (1966/67); U. Bianchi, Gesichtspunkte
zur Erforschung der Ursprünge der Gnosis (1966'
67); P. Pokomy. Der Ursprung der Gnosis (1967); K. Rudolph,
Randerscheinungen des Judentums und das Problem der Entstehung
des Gnostizismus (1967); H. J. W. Drijvcrs, Die Ursprünge
des Gnostizismus als religionsgeschichtliches Problem
(1967/68); am Schluß stehen die „Ausgewählte Bibliographie
zum Thema des Bandes", ein Begister der Sachen und nntiken
Autoren und ein Register der modernen Autoren. Einige Beiträge
sind mit jüngeren Nachtrügen versehen.

Diese 30 Arbeiten (Aufsätze, Vorträge, Rezensionen, Auszüge
aus Sammelwerken und Monographien) stehen nicht zufällig
oder beziehungslos beieinander, nur weil sie unter das
Schlagwort „Gnosis und Gnostizismus" geraten sind, sondern
sie sind in vielfältiger Weise miteinander verzahnt und voneinander
abhängig, sei es in kontinuierlicher Forlführung von
Forschungen und Konzeptionen (vgl. z. B. die Herausbildung
bestimmter Thesen zum Wesen der Gnosis bei Lipsius — Koffmane
— Harnack), sei es durch Kontroversen (z. B. Hilgen-
feld contra Harnack, Harnack contra Bousset). Gerade dieses
breite Spektrum von Positionen und Gegenpositionen aus über
100 Jahren Gnosisforschung seit F. C. Baur macht den eigentlichen
Reiz des Buches aus. Was zu den einzelnen Beiträgen
kritisch gesagt werden müßte, stünden sie für sich allein, da*
ergibt sich durch die Vielfalt der Konzeptionen und ihre gegenseitigen
Korrekturen weithin von selbst. Wer sich die Mühe
macht, das Buch durchzulesen, und es nicht nur als eine
Sammlung wichtiger und oft schwer zugänglicher Arbeilen
versieht, wird durch viele wertvolle Erfahrungen und Anregungen
belohnt. Er wird sein Vergnügen an dieser Lektüre
haben, weil sie ihn am Ernst und an der Leidenschaft des
Forschens damals und heule teilnehmen läßt, und Gewinn
auch insofern, als sie ihm die Gefährlichkeit gewagter Analogieschlüsse
und überkühner Hypothesen vor Augen führt.

Immer wiederkehrende Themen sind — nhgesehen vom Gc-
neralthema „Ursprung und Wesen der Gnosis" — das Verhältnis
von Christentum und Gnosis, interessant und wichtig
auch für jeden, der sich mit der frühen Kirchcngcschichte be-