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Ausgabe:

1976

Spalte:

567-571

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Koptisches Christentum 1976

Rezensent:

Poggi, Vincenzo

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Theologisch« Kiteraturzcitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 8

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RELIGIONSWISSENSCHAFT

Vergbesc, Paul [Hrsg.]: Koptisches Christentum. Die orthodoxen
Kirchen Ägyptens und Äthiopiens. Stuttgart: Evang.
Verlagswerk [1973]. 284 S. 8" = Die Kirchen der Welt,
hrsg. v. H.H.Harms, H.Krüger, G.Wagner, H.-TI. Wolf,
XII. Lw. DM 35,-.

In Ägypten leben fast vier Millionen Christen und in Äthiopien
etwa zehn Millionen. Es handelt sich dabei um zwei
christliche Kirchen von höchstem Alter. Die eine geht auf die
Zeit der Apostel zurück, die andere auf die ersten Jahrhunderte
des christlichen Zeitalters. Das christliche Ägypten hat aus seinem
Schoß die berühmte Schule von Alexandrien hervorgebracht
, ein schöpferisches Zentrum christlicher Theologie, liier
ist der Ursprung des Mönchtums, von dem bewußt oder unbewußt
das gesamte christliche Kloslerleben im Orient und im
Abendland inspiriert ist.

Diezweite, die christliche Kirche Äthiopiens, begleitet seit der
Antike alle sozialen, kulturellen und künstlerischen Aspekte
des äthiopischen Lebens, sie ist eine christliche Insel im traditionsgebundenen
oder islamischen Afrika.

Diesen beiden orientalischen Formen des Christentums in
Afrika ist das Phänomen des Zusammenlebens von Islam und
Christentum und die Anhängerschaft an dieselbe Ausprägung
des prächalccdonischen Christentums gemeinsam, und beide
sind in der Tat keine überlebte Wirklichkeit, sondern bleiben
lebendig und aktuell und sollten bei den Christen des Abendlandes
gründlicher bekannt sein, als es gegenwärtig der Fall ist.

Dieses Buch möchte der Versöhnung zwischen den Christen
des Abendlandes und diesem Teil der Christenheit dienen. Wie
schon der Untertitel erkennen läßt, handet es sich hier um
zwei autonome Kirchen. Wir würden es einen Anachronismus
nennen, seit den 50er Jahren, wollte man noch vom koptischen
Christentuni sprechen, um die beiden Kirchen Ägyptens
und Äthiopiens zu bezeichnen. Tatsächlich sind seit dieser
Zeil die beiden Kirchen unabhängig voneinander. So ist auch
der vorliegende Band in zwei wohl unterschiedene Teile unterteilt
: A. Die Koptische Kirche Ägyptens. B. Die Äthiopische
Kirche oder die Kirche Äthiopiens.

Der Herausgeher des ganzen Werkes ist weder Kopte noch
Äthiopier. Das bedeutet allerdings nicht, daß diese Kirchen
nicht in der Lage wären, sich selber vorzustellen. In der Tat
sind einige Kapitel der beiden Teile von Gliedern dieser beiden
Kirchen geschrieben.

Für diese Aufgabe erwies es sich als opportun, einen Mittler
zu haben, der mit beiden Gesprächspartnern, d. h. mit dem
Christentum des Orients und des Abendlandes, vertraut ist.
Paul Vcrghese ist Orientale, er stammt aus Südindien und ist
Glied der Syrisch-Orthodoxen Kirche Südindiens, die sich
ebenso wie die koptische und die äthiopische Kirche zur vor-
chalcedonischen Christologie bekennt. (Dieses geschichtliche
und tlielogische Element ist nach meiner Ansicht charakteristischer
als das Attribut „orthodox", das übrigens auch die
Chalcedonenser für sich in Anspruch nehmen.)

Der ökumeniker Verghese, der seit Jahren beim Weltrat der
Kirchen verantwortlich mitarbeitet, steht in lebendigem Kontakt
mit den Christen des Abendlandes und führt mit ihnen
einen fruchtbaren Dialog.

Die beiden Teile A und B des Werkes setzen sich aus zahlreichen
Kapiteln oder Beiträgen zusammen. Sie sollen im
folgenden kurz dargestellt werden.

A 1 Paul Verghese, Die Kirche von Alexandrien. Eine kurze
historisch-theologische Einführung (S. 11—27). Hier wird die
Geschichte Alexandriens als der geistigen Hauptstadt des Hellenismus
und des Judentums und eines Schauplatzes von
Christenverfolgungen skizziert. Die Bedeutung dieses Kulturzentrums
der damaligen Welt und seine strategische Funktion
im Machtspiel zwischen Born und Konslanlinopel werden hier
vor Augen gestellt.

A 2 Amba Samuel, Der Beitrag der koptischen Kirche zum
universalen Christentum (S. 28--30). Hier werden die bedeutenderen
Beiträge Ägyptens zu diesem Phänomen zusammengestellt
: Die Kalcchetische Schule von Alexandrien, das Münch-
tum und die missionarische Wirksamkeit, die die christliche
Botschaft nach Nubien und Äthiopien brachte.

A3 Paul Verghese, Gottesdienst und Disziplin in der koptischen
Kirche (S. 40—48). Paul Verghese beschreibt in diesem
Beilrag das sakramentale und liturgische Leben dieser Kirche,
deren Praxis des Bußfaslens noch strenger sein dürfte als die
der übrigen orientalischen Kirchen.

A4 Maurice Assad, Ägyptisches Mönchtum — noch immer
eine einflußreiche Kraft (S. 49—55). Iiier wird dargestellt, daß
die heutige kirchliche Erneuerung und Lebenskraft der Koptischen
Kirche ihre Wirksamkeit der geistlichen Theologie der
Wüstenväter verdanken. Asketische Gestalten wie Ambä Abraham
ff 1914) und der Zeitgenosse Matta al-Mnskin konnten
das koptische Leben aufs tiefste beeinflussen.

A 5 Nodia Miha'il, Die Koptische Kirche von 1800 bis 1970
(S. 56—73). In diesem Beitrag werden die Geschichte, die Persönlichkeiten
und die Unternehmungen der Koptischen Kirche
der letzten 170 Jahre beschrieben. Seit der Zeit Mehemet 'Alis
und Gamal 'Abd al Näsirs hatten die Kopten Beformatoren
wie den Patriarchen Cyrill IV, Juristen wie Häbib al-Masry
und Makram 'Obebd, Kenner der koptischen Kunst wie Mor-
kos Simayka, Politiker vom Bang eines Bulrus Gali und Historiker
wie Miha'il Sarubiin oder Aziz Surial 'Atiya.

A6 Amba Atanasius, Die Koptische Kirche heute (S. 74 bis
86). Audi hier geht es um die gegenwärtige Situation der Kopten
, und zwar unter einem mehr kirchlichen Gesichtspunkt.
Die Klöster und der Klerus »erden behandelt und biographische
Profile der letzten 10 Patriarchen (l'äpste) des Stuhles
von Alexandrien gezeichnet.

A 7 Maurice Assad, Prägung der koptischen Identität (S. 87
bis 116). A 7 eröffnet einen geschichtlichen und sozialen
Aspekt. Die Kopten sind eine wenn auch zahlenmäßig bedeutende
Minderheit im Verhältnis zu der Gesamtbevölkerung
Ägyptens, das überwiegend dem Islam angehört. Seit Jahrhunderten
ist das islamisch-christliche Zusammenleben hier
ein Beispiel für ein friedliches Miteinander. In der Vergangenkeil
haben die Kopien Generationen von Beamten gestellt
, und sie nehmen aktiv am sozialen Ijcben des Landes
teil, sind allerdings auch gegenwärtig an der Auswanderung
von Ägyptern nach USA, Kanada und Australien beteiligt.

Von der Kirche wurden für das koptische Volk Einrichtungen
für die Katechese, Schulen und Unternehmungen für den
sozialen Fortschritt geschaffen.

A8 Maurice Assad, Theologische Ausbildung und koptische
Kultur (S. 117—129). Hier wird das kulturelle Leben der Koptischen
Kirche dargestellt, mit besonderer Berücksichtigung
des Theologischen Seminars; außerdem werden das kopiische
Museum, die Gesellschaft für koptische Archäologie und das
Institut für koptische Studien erwähnt.

Damit schließt der I.Teil des Bandes.

Der zweite Teil (B), der der Äthiopischen Kirche gewidmet
ist, besteht aus sechs Beiträgen.

B 1 Paul Verghese, Die Äthiopische Kirche heute (S. 133
bis 149). Hier wird über den zahlenmäßigen Bestand der
Kirche berichtet, der Mitglieder des Klerus, sowie über die
Einteilung des Landes in Diözesen, das liturgische Leben, die
Beziehungen von Kirche und Staat, die kirchlichen Bewegungen
„Apostolische Vereinigung" und „Glaube der Väter".

B2 Paul Verghese, Die Frühgeschichte der Kirche (S. 150
bis 158). Der Beitrag behandelt zuerst die Ursprünge der äthiopischen
Christenheit, die ins 4. Jh. zurückgehen. Kr berichtet
über Frumcntios, den die Äthiopier Abba Salama nennen. Zu
dem Einfluß des Mutterlandes Ägyptens gesellte sich später
im 6. Jh. ein syrischer Einfluß, der sich auch durch sprachliche
Zeugnisse dokumentiert.

B3 Taddcsa Tainrat, Die Kirche von 700 bis 1600 n. Chr.
(S. 158—174). liier wird die Geschichte der Äthiopischen Kirche
an dem Punkt weitergeführt, an dem Verghese stehengeblieben
war. Mit dem Vordringen des Islams begann für die
Koptische Kirche eine Periode der Isolierung. Im 16. Jh., als
Ahmad Ihn Ibra him Kirchen und Klöster überfiel und plünderte
, rief Äthiopien die Portugiesen zu Hilfe. Ahmad wurde