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Ausgabe:

1976

Spalte:

534-536

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Grave, Horst

Titel/Untertitel:

Leichenreden und Leichenpredigten Tübinger Professoren 1550 - 1750 1976

Rezensent:

Mohr, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1978 Nr. 7

(184-246), unter denen die sog. „Deutsche Laientheologie
" nach Umfang und Gewicht hervorragt.

Am schmälsten ist der erste Teil, der „Kindheit und
•rügend" A.s gewidmet ist. In knappen Zügen entstellt
vor uns das Bild eines begüterten und privilegierten
jungen Mannes, der wie zahllose andere seiner Zeit vom
Geist der politischen und insbesondere der künstlerischen
Romantik erfüllt war und dementsprechend auch
auf literarischem Gebiet dilettierte. Die in diese Epoche
fallende Liebes- und Lebenskrise A.s. die offenbar seine
Hinwendung zu einem persönlichen, stark gefühlsbetonten
Glauben verursacht oder doch entscheidend
mitbestimmt hat (41-52), bleibt freilich ziemlich unklar.
Das ist um so bedauerlicher, als sich bei nahezu sämtlichen
führenden Persönlichkeiten der Krweckungs
bewegung derartige Krisen und Brüche in ihrer Knt-
wioklung beobachten lassen, deren Würdigung ins-
gesa mt allerdings noch a ussl cht.

Der zweite Teil der Untersuchung, der nach Umfang
und Thematik als Hauptziel der Arbeit anzusehen ist,
gliedert sich in zwei Kapitel, in denen A. als „Erweckter
" (53-114) und als „Lutheraner" (115-178) vorgefühl t
wird. Der Vf. hat hier versucht, die biographische Entwicklungslinie
mit der theologie- und geistesgeschicht-
lichen Fragestellung zu verbinden. Daß ihm dies in überzeugender
Weise geglückt sei, kann ich allerdings nicht
finden. In hohem Maße dominiert das Referat einzelner
Pakten, zahlreich sind die zusammengetragenen Informationen
- wohingegen man die Interpretation im Sinne
einer wirklichen geistes- und theologiegeschichtlichen
Einordnung des dargebotenen Materials weithin ver-
'nißt. Dementsprechend blaß bleibt die Schilderung von
A.s fortgesetzten Bußkämpfen, seiner Hinwendung IUI
Mystik in Gestalt der katholischen Erweckungs-
!>Pwegung, seine Faszination durch Schuberts romantische
Naturphilosophie, die Begegnung mit Herrnhut
Und die gewisse! Befreiung, die er durch seinen Kom-
jmfenthalt erlebte. Noch fragwürdiger mutet es an, wenn
■m. Anschluß hieran wohl A.s Kritik an der Erweckungs-
'»ewegung und am Pietismus referiert wird, von seiner
eigenen Prägung durch diese Bewegung jedoch nur im
aufdie finanziellen Zuwendungen die Rede ist. die
w nach diesen Richtungen hin ausgeteilt hat (96-114)!
Die somit vertane Gelegenheit, aufgrund einer interpretierenden
Analyse die Umrisse und Grenzen dieser
c, wecklicheu Frömmigkeit herauszuarbeiten, wirkt sich
'lann natürlich auf die Charakterisierung A.s als
■ ■Lutheraner" aus. Als wenig befriedigend, weil rein
Wditiv und undifferenziert vorgeführt, muß leider die
a'lgemeinc Darstellung der „Anfänge des Neuluther-
tunw" in Hannover (115-124) bezeichnet werden; sehr
v'el eindrücklicher liest sich demgegenüber die Interpretation
von A.'s Abendmahlsstudien (124-139), weil
".'er an einem konkreten Beispiel sehr schön die luthe-
l|Nehe Intention des Vf.s einerseits und seine durchaus
"nliitherischen Ergebnisse andererseits zutage treten.
Diese Betonung des „geistlichen" Charakters des
''V'endinahls, verbunden mit einer unverkennbaren !!<•-
''"iflussung durch das romatische Organismusdenken
,M'Kegnet auch in A.s Kirchenbegriff (139-162); belehnend
ist in diesem Zusammenhang seine hohe
" ert Schätzung der schlesischen Separation (142f). inter-
''SSi"»t das stark von theosophischen Gedanken durch
z"gene V(lll Deuts, 1,1 ii111. Luther und einer luthe-

riNehen Nationalkirche (I 57f. dann bes. 231 246). Inwie-
*'k,i '»an angesichts dieses Sachverhalts allerdings von
^ s Luthertum als dem ,,Ergebnis seiner intensiven
ptuHien der Schriften Luthers" sprechen kann (144),
"'durfte wohl der weiteren Krläiiterung.

Jüe folgende Interpretation der ..Deutschen Laim

Geologie" (162 178) bei der es sich allerdings keines

wegs um die Behandlung aller Lehrstücke, sondern lediglich
um die Bearbeitung des Themenkomplexes Sünde,
Glaube und Rechtfertigung handelt, bietet wiederum in
erster Linie ein Referat der von A. gemachten Aussagen.
Wo der Vf. darüber hinauszugehen versucht, gerät er alsbald
in allerlei Widersprüche und Unklarheiten (vgl.
dazu lies. 171-173). Ähnliche Hinwendungen ließen sieh
an nicht wenigen Stellen bei der Kommentierung der
„Laientheologie" erheben (z.B. Anm. 51,201 f, Anm.
118,224 usw.). Ein grober Fehler begegnet 194, Anm. 37,
wo die vom Konzil zu Karthago ausdrücklich zurückgewiesene
Auffassung als die römisch-katholische Lehre
ausgegeben wird! Über den hochinteressanten Vorgang,
wie in dieser „Laientheologie" im Gegenüber zum
Katholizismus ein religiös-theologisches Grundproblcin
der Erweckungsbewegung entfaltet wird, nämlich das
Sündenbewußtsein des .Menschen und sein Drängen nach
Heilsgewißheit - bis hin zu der in der Tat nicht mehr
erwecklichen Formulierung, daß „es gilt, eben ohne
und sogar wider alles Gefühl fest zu glauben" (227) -
erfährt man in dieser allein auf lehrhafte Einzelaussagen
konzentrierten Erläuterung bedauerlicherweise nichts.

Die Zahl der Druckfehler, vor allem bei den fremdsprachigen
Zitaten, ist überdurchschnittlich groß. Auffällig
ist die konsequente Falschschreibung des Namens
von Marheineke. Alle diese Einwände zusammen bewirken
, daß man diese Studie zuletzt einigermaßen enttäuscht
aus der Hand legt. Was sie bietet, ist reiches
Material, wobei man dem Vf. vor allem für die im Anhang
edierten Texte dankbar ist. Was sie dagegen vermissen
läßt, ist die gründliche historische und theologische
Interpretation des zusammengetragenen Stoffes.

Mi'mstcr/Westf. Martin Urcsclmt

Schmidt-Grave, Horst: Leichenreden und Lcichciiprediglen
Tübinger Professoren (1550-1750). Untersuchungen zur
biographischen Geschichtsschreibung in der frühen Neuzeit.
Tübingen: Mohr 1974. V11L 135 S. 8 c Contubernium.
Beitrage zur (iescliiehte der Kberliard-Karls-Universitiit
Tübingen, hrsg. v. H. Decker-Hauff, 6. Kart. DM 36,—.

Die Untersuchung wertet die Lebensbeschreibungen
von etwa 100 Tübinger Professoren aus zwei Jahrhunderten
aus, wie sie in den lateinischen Gedächtnisreden
und in den Personalieiianhängen von Leichen-
predigten vorliegen. Man erhält einen guten Kindruck
von den Rednern, ihrer Vorbereitung, dem Ort, der
Dauer und der Art des Vortrags, von der Beurteilung
durch „das Publikum", von Zensuren und Änderungen
vor der Drucklegung, von der Auflagenhöhe und späteren
Verwendung der Reden. Die aus diesen selbst gewonnenen
Ergebnisse finden eine glückliche Ergänzung
durch Tagebucheintragungen des Professors Martin
Oranna aus den Jahren 1596 bis 1605.

Der Inhalt der Leichenreden und der Personalien bei
den Leichenpredigten richtet sich nach einem bestimmten
biographischen Schema aus der antiken rhetorischen
Tradition und berücksichtigt in der Regel folgende
Topoi: Geburt, Eltern (Abstammung), Studien (Doktorat
), Ehestand, Kinder, öffentliche Wirksamkeit
(Ämter), christliches Leben, Krankheit, Sterbevorberei-
tung, seliges Knde.

Zum Aufweis dieser Topik beginnt der Vf. mit einem
Uberblick über die griechische und römische Leichenrede
. Die früheste bekannte antike Leichenrede ist die
von Thukvdides aufgeschriebene Beile des Perikles aus
dein Jahre 431/30. Für die in ihr repräsentierte athenische
Leichenrede ist typisch, daß sie im Auftrag des
Staates gehalten wurde und unterschiedslos allen Ge-