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Ausgabe:

1976

Spalte:

531-532

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Dokumente zur Bonhoeffer-Forschung 1976

Rezensent:

Müller, Hanfried

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Seite 1

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531 Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 7

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Glentherj, Jorgen: [Hrsg.]: Dokumente zur Bonhoeffer-For-
schung 1928-1945. München: Kaiser [1969J. 367 S. gr. 8°
= Die mündige Welt, V. DM 32,—; Lw. DM 36,—.

Im Unterschied zu den bisher in der Reihe „Die
mündige AVeit" in lockerer Folge edierten mehr oder
minder repräsentativen Aufsätzen aus der Bonhoeffer-
forschung bietet dieser von Jergen Glenthoj, dem namhaften
dänischen Bonhoeffer-Forscher zusammengestellte
Band ausschließlich Dokumente, die wissen
scliaftlich sorgfältig bearbeitet, und sparsam, aber
höchst sachkundig kommentiert werden. Der Herausgeber
hat selbstlos und mit einem alle, die ihn dabei erlebten
, faszinierenden Eifer aus allen möglichen Archiven
zusammengetragen, was unmittelbar oder mittelbar
für die Bonhoefferforschung wesentlich schien. Dabei
treten Quellen in den Vordergrund, die erhellend für
Bonhoeffers ökumenische Tätigkeit sind; aber auch
Quellen aus der Widerstaudsarbeit und der Zeit der Haft
sind sorgfältig zusammengetragen. Nicht nur jeder Bon-
hoefferforscher, sondern auch jeder, der über die Ökumene
in dieser Zeit arbeitet, wird auf diesen Band nicht
verzichten können.

Viele der vorgelegten Quellen sind, nicht zuletzt aufgrund
der engen Zusammenarbeit beider Forscher, bereits
in E.Bethges Bonhoeffer-Biographie verwertet.
GUentheri selbst meint: ,,Der Band erweist somit nur
dann seinen vollen Wert, wenn er im Zusammenhang
mit den ,Gesammelten Schriften' (Bonhoeffers) und der
großen Bonhoeffer-Biographie Eberhard Bethges benutzt
wird" (S.9). Wie Bethges Biographie eine Anleitung
zur Benutzung dieses Materials ist, kann umgekehrt
dieses Material zur Ergänzung und kritischen
Wertung der Biographie dienen.

Die Sammlung der Dokumente ist chronologisch and
nach Wirkungskreisen Bonhoeffers durchsichtig gegliedert
; Fremdsprachliches ist, im Anhang übersetzt;
ein Namensverzeichnis ermöglicht es dem Sachkenner,
in Verbindung mit dem sehr genauen Inhaltsverzeichnis
schnell zu finden, was er braucht; für manche Benutzer
wäre darüber hinaus für eine neue Auflage ein Bachregister
sicherlich zusätzlich hilfreich. Im einzelnen
bietet die Sammlung w ei l volle Ergänzungen zu der
Widerspiegelung des Vikariates in Barcelona und des
1. Amerika-Aufenthaltes in den Gesammelten Schriften ;
eine fast vollständige Dokumentation zu Bonhoeffers
Tätigkeit als Jugendsekretär in der Ökumene; viele
wertvolle Quellen zum Kirchenkampf einschließlich der
Zeit Bonhoeffers als Auslandspfarrer in London und
eine eindrucksvolle Dokumentation zu dem Thema
„Widerstand, Abwehr, Tarnung 1940-1945". Für diesen
Abschnitt freilich dürfte zugleich in besonderem Maße
gelten, daß „zu vermuten ist, daß noch nicht alles zusammengetragen
ist. Für den engeren Kreis der Spezialisten
, die nach Vervollständigung verlangen, gibt es
sicher noch manches Unveröffentlichte zu entdecken"
(S.9). Die Sammlung schließt mit einem „Epilog. Der
Neuanfang". Die hier gebotene Skizzierung des Weges
zum Stuttgarter Schuldbekenntnis steht sicher mit
innerem Recht abschließend im Zusammenhang mit
Bonhoeffers Tätigkeit, obgleich Bonhoeffer an diesem
Weg nicht mehr beteiligt sein konnte. Dieser Abschnitt
bietet ebenfalls einige interessante Quellen, bleibt aber,
wie bei solchem Kpilog nicht anders zu erwarten, unvollständig
und setzt in der Beurteilung einige Akzente, die
in.E. kritischer Rückfragen bedürfen. Die Dokumenten
Sammlung bewährt sich in der Arbeit damit. Die Frage
freilich, ob und wie sie etwa noch besser hätte zusammengestellt
werden können, kann der Rezensent

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nicht beantworten, da er ja jene Archive und Einzel-
quellen - allein dreißig Archive werden im Vorwort als
ausgewertet aufgewiesen - nicht kennt, aus denen Glen-
thej gesammelt und ausgewählt hat. Zu solchem Urteil
fehlt also die Möglichkeit zum Vergleich. Sicherlich gil1
aber auch im Blick auf diese Dokumentensammlung die
allgemeine Erkenntnis, daß auch in einem scheinbar so
objektiven Vorgang wie der Sammlung, Sichtung, Auswahl
und Herausgabe von Quellen notwendig ein Stink
subjektiver Interpretation steckt: Auch und gerade bei
größtem Willen zur Zuverlässigkeit kann dennoch vom
eigenen Geschichtsbild und von eigener Geschieh ts-
kenntnis her dem einen als nicht zur Sache gehörig erscheinen
, was dem anderen höchst wesentlich ist ; und
es kann unter neuen Fragestellungen geradezu entscheidend
werden, was unter bisherigen Fragestellungen
als gänzlich unbedeutend erschien.

Die beste Dokumentensammlung kann darum aatür
lieh die Vollzahl des Archivmatcrials selbst nicht ersetzen
. Da aber die von Glenthoj erschlossenen Quellen
noch auf lange Zeit im allgemeinen der Mehrzahl der
Forscher unzugänglich bleiben werden, und da Glenthoj
wirklich alles greifbare Wesentliche erfal.il zu haben
scheint, hat dieses Buch auch dann größten Wert, wenn
die Frage, ob hier und da etwas nicht aufgenommen ist,
was vielleicht ein Benutzer unter bestimmter Fragestellung
gerade brauchen könnte, offenbleiben muß.

Es sei immerhin angemerkt, daß der Rezensent an
einigen Stellen, wo er selbst die Quellen kennt, den Eindruck
hatte, Glenthoj sei vielleicht hier und da ein wenig
zu vornehm gewesen in der Rücksichtnahme auf noch
lebende, z.T. in imperialistischen Ländern zum Zeitpunkt
des Erscheinens auch recht repräsentative Personen
, z. B. im Blick auf Eugen Gerstenmaier. Wer el w a
die Hintergründe des Bonhoeffer-Prozesses aufdecken
möchte, hätte sich hier rückhaltlosere Quellenpublikationen
gewünscht. Aber auch bei solcher Anmerkung
muß ja bedacht werden, daß seit jeher Forscher an
Archive den Zoll einer gewisser Begrenzung der Publizität
entrichten mußten - und durch zu kühne Ver
öffentlichungen Archive zur Publikationsfeindschaft zu
provozieren, würde ja insgesamt der Forschung nicht
dienlich sein.

Es ist zu hoffen, daß der Herausgeber seine bisher so
fruchtbaren Bemühungen um die Komplettierung der
für das Verständnis Bonhoeffers wichtigen Dokument«'
fortsetzt und deren Ergebnis, sobald möglich, in einer
noch erweiterten Ausgabe seines Werkes der Öffentlichkeit
übergeben kann.

Berlin KsnfMed ttflllcr

Kräunier, Hunsjorg: August von Arnswaldt 1798 1855.

Hin Beitrag zur Geschichte der Enveekungsbewegung und
des Xeuluthei'luins in Hannover. Göttinnen: Vandenhoeck
& Ruprecht [19721. 270 8. gr. 8° = Studien zur Kirchengeschichte
Niedersaclwens, in Verb. m. B. Drögereit u.
K.Schmidt-Clausen hrsg. v. H.-W.Krumwitde, 20. Kart.
DM 35,—.

Über die Anfänge der Erweekungsbewegung sowie
über deren Übergang in das Neuluthertum w issen wir
bislang nur in groben Zügen Bescheid. Darum greift man
mit besonderem Tntcres.se nach einer Studie, die, konzentriert
auf den niedersächsischen Kaum, einen neuen
Beitrag zu diesem wichtigen Thema, zu liefern versprich! •
Nach Aussage des Inhaltsverzeichnisses soll das unter
drei Aspekten geschehen: unter einem biographischen
(13 52), einem theologiegeschichtlichen (53-178)sowie
durch den Abdruck einiger bislang unbekannter Text«!