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1976

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

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459

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 6

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sagen ,neutrale' Bedenken von solchen Entwicklungen
im Bereich religiöser Vorstellungen, die sich stets an Erfahrung
bewähren müssen, in die Nähe theologischer
Aussagen.

Die folgenden Vorlesungen können noch stärker als ein
Versuch gewertet werden, Vorgänge zu bedenken, die im
Ergebnis zu einer geoffenbarten Botschaft führen. Die
2. Vorlesung untersucht „Paranormale Erkenntnis, Symbolismus
und Inspiration" (21—36), die folgende „Bittgebet
und Telepathie" (37—55), die 4. „Verborgene geistige
Fähigkeiten" (56—77). Im hier gebotenen Rahmen
nur einige Eindrücke: Die Erkenntnismöglichkeit, um die
es sich handelt, beruht auf einem Zwei-Stufen-Prozeß;
in der unbewußten Schicht werden paranormale Impressionen
aufgenommen, auf der zweiten Stufe taucht „this
paranormal impression" auf die eine oder andere Art in
unserem Bewußtsein auf, in der Form eines wachen
geistigen Bildes oder in der Form eines Traumbildes. P.
nennt weitere Übergangsstadien (Visionen, Stimmen,
Eindrücke beim Ubergangszustand zwischen Schlafen
und Wachsein), ferner „Ahnungen", Impulse zu an sich
unerklärten Verhaltensweisen, auch Störungen bis zum
Sichverhören bezieht P. ein. Eine Schranke, die P. „cen-
sorship" nennt, wirkt als Schutz, selten gelangen solche
Eindrücke direkt ins Bewußtsein. Ein Umweg führt über
den Symbolismus ins Bewußtsein. P. verweist auf die Interpretation
von Träumen und abnormen Verhaltensweisen
. Die Kontrolle paranormaler Kräfte sei jedoch
nicht aussichtslos. Die Inspiration, die jeden geistig Arbeitenden
zu Einfällen führt (und NB erklärt, wieso unabhängig
voneinander Gleiches an verschiedenen Orten
wirksam werden kann), sollte in der Tat nicht unterschätzt
bleiben. P. will die paranormalen Eindrücke unter
planmäßigerer Öffnung für Inspiration jedoch menschlich
verfügbarer machen. Mancher wird dagegen die biblische
Warnung vor Magie anführen. Immerhin darf der
Inspiration Raum gegeben sein, sofern es wirklich ein
Warten und Empfangen bleibt: denn theologisch gesehen
bleibt der Mensch immer Gefäß und Werkzeug göttlicher
Einwirkung.

Wunder und Erhörung von Gebet grenzt P. von Telepathie
ab. Er versucht diese Phänomene von einer nicht-
theistischen Basis zu betrachten. Beide Bereiche, Telepathie
und diese religiösen Phänomene, überschneiden
sich aber seiner Ansicht nach (35 u. 45). Eine Telepathietheorie
des Bittgebets, wieder auf Zweistufenprozeß beruhend
, sei eine Erweiterung der Selbstsuggestionstheorie
(die übrigens Schleiermacher verwendete). Der Gedanke
von P. an ein „Common Unconscious (50), das nicht
mit Geist Gottes zu identifizieren sei, also die Vorstellung
, daß der Hilferuf über Eingehen in ein Kollektivunterbewußtsein
Hilfsbereite alarmiere, mag nicht irreal
sein, widerspricht m. E. auch nicht dem Zusammenhang
von Schöpfer, Schöpfung und Hilferufenden, die Hilfe in
Not erfahren. Der Glaube anerkennt ohnehin Überschneidungen
von nichttheistisch gemeinter Erkenntnis und
Glaubenserfahrung, freilich nicht zum Zwecke irgendeines
Beweises. Und P. scheint sich nicht immer bewußt
zu sein, welche gefährlichen Konsequenzen die vorgetragene
Theorie des Freisetzens paranormaler Kräfte bei
sich hat. Das christliche Gebet darf um Hilfe bitten, ist
aber immer und zuerst Dank und Fürbitte.

Einsichtiger sind die Ausführungen über latente „spi-
ritual capacities". Paranormale und spirituale Fähigkeiten
wünscht P. deutlich zu unterscheiden. Über beide urteilt
P., daß sie verborgen (und meist unentwickelt bleibend
) vielen Menschen innewohnen. Von den geistlichen
Fähigkeiten meint er, „daß jedes normale menschliche
Wesen fähig ist, solche ursprünglichen (first-hand) religiösen
Erfahrungen zu haben, ob es dies weiß oder nicht"
(56). Die Frage kehrt wieder, welche Beziehung zwischen
beiden Kräften besteht. Aussagen im paranormalen Bereich
(wie Hellsehen und Wahrsagen) könne man mit
normalen Methoden überprüfen. Bei geistlichen Erfahrungen
gäbe es keine solche Uberprüfung. Hier liege ein
unverfügbarer Wirklichkeitsbereich vor. Der einzige Weg
bestehe darin, solche Erfahrungen selbst zu machen
oder jene nach Mt 7,16 an ihren Früchten zu messen (58).
Anzunehmen sei, daß selbst bei Visionen, die normal
nicht zugänglich sind, es sich um erschaffene Dinge, nicht
um das ,endlose Sein', den Schöpfer selbst handle Allerdings
vermutet P. die Wurzel (starting-point) des Religiösen
Suchens' (60) in der spiritual capacity, die auch
bei dem, der nichts von ihr bei sich weiß, entsprechend
sonstiger unbewußter Eindrücke, da es nie gänzlich ruht
(not wholly dormant), „in einer unbewußten oder unterbewußten
Sphäre" wirkt. Hier öffne sich ein Weg, die
religiösen Aussagen zu verifizieren. P. will das „Klopfe
an und es wird dir aufgetan!" als Gott-Suchen verifizieren
. Der Weg des Suchens beginne mit einem Eindruck,
der vom Zeugnis anderer ausgelöst sei. Der Ruf „Versuch
es und sieh selbst!" ist freilich auch bei P., indem er gehört
wird, schon Wirkung von Gottes Gnade, also gleichsam
„inside".

Aufschlußreich sind 5. „Gründe für den Unglauben an
das Leben nach dem Tode" (78—97), 6. „Zwei Konzeptionen
der nächsten Welt" (98—117) und der Anhang über
„Die Erscheinungen nach der Auferstehung" (118—122).
P. beschäftigt sich in einer Art Motivforschung mit Meinungen
über Himmel und Hölle, die sich m. E. als bloße
Spekulationen erweisen. Diese Vorlesungen stellen alte
und neue Stimmen in einer Auswertung zusammen, wie
sie Meinungsforscher versuchen. Im Grunde besagen sie
für die anvisierten Möglichkeiten nichts. Man sieht P.
wohl auch eher auf Seiten derjenigen, die ein Jenseits,
sei es körperliche oder unkörperliche menschliche Existenz
bedingend, nicht sehr ernst nehmen. So sind schließlich
die Erörterungen über 1 Kor 15,3—8, Joh 20,17. Mk
16,7 und Lk 24,13—35 nur der Versuch, die nachösterlichen
Erscheinungen zu entmaterialisieren. Die Theorien der
De- und Rematerialisation und der vierdimensionalen
Beweglichkeit sind eben Erklärungsversuche für Berichte
, die rational nicht erklärbar sind. Aber wenn para-
psychologische Zusammenhänge sich an religiösen Erfahrungen
aufweisen lassen, dann macht wissenschaftliche
Methodik von Beobachtung und Deutung vor dieser
— vielleicht mehr oder weniger sicheren — Überlieferung
nicht Halt. Es sind interessante, für manchen nicht unmoderne
, aber doch wenig verpflichtende geistige Übungen
an rätselhaften Erfahrungen, die dem Zuhörer Sensationen
versprechen, aber außer einem Zuschauergruseln
vorerst nur Abwarten verursachen. Von einer „Zuversicht
im Glauben", die mit solchen Erwägungen von
Möglichkeiten, die vielleicht naheliegen, gestützt wird, ist
m. E. nicht viel zu erwarten. Ein Wirken Gottes „nachzuweisen
" ist dem Wesen des Glaubens fremd. Der Glaube
ist der Zusage Gottes gewiß, weil er sie als unverdiente
und unerwartete Gabe empfängt und mit ihr wirklich
lebt. Das Statut der Sarum Lectures verlangt freilich, daß
der mit ihnen beauftragte Dozent die Erkenntnisse seines
Faches in der Absicht verwendet, den christlichen Glauben
zu unterstützen (support). Wieweit das gelungen sei,
soll — so P. im Vorwort — der Leser selbst entscheiden. So
interessant die Darlegungen sind, der Rückfall in überholte
apologetische Tendenzen schadet Theologie und
Glaubenszeugnis.
Jena __Horst Bclntkcr

Asheim, Ivar: Stand og institusjon. Historiske og syste-

matiske refleksjoner til sosialetikkens kategoriskjema

(NTT76, 1975 S. 85-101).
Baufay, Jacques: La criteriologie du divin chez .1. Nabert

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Bellah. Robert N.: Rejoinder to Lockwood: „Bellah and

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