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Ausgabe:

1976

Spalte:

456-457

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kuske, Martin

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament als Buch von Christus 1976

Rezensent:

Müller, Hanfried

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 6

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der göttlichen Selbstmitteilung entfaltet Rahner in zwei
Reihen: Herkunft, Angebot, Geschichte, Wahrheit — Zukunft
, Transzendenz, Annahme, Liebe (S. 355f.), so
schwingt die sich entäußernde Trinität im Menschen
gleichsam ins Mysterium zurück.

Ein sechstes Kapitel (S. 365—399) bündelt die gewonnenen
Einsichten hilfreich und unterstreicht zugleich noch
die im Vorigen ein wenig vernachlässigte Dimension der
Zukunft und Hoffnung (S. 377ff.), wobei deren weltzugewandten
Aspekte mit Ernst Bloch hervorgehoben werden
. Doch zeigt Fischer, wie fest Rahner den mystisch-
transzendierenden Ansatz durchhält. Die absolute Zukunft
Gottes dient nicht wie bei J. Möllmann und J. B
Metz nur dazu, uns Hoffnungshorizonte zu erschließen,
in die wir unsere Planentwürfe hineinstellen können,
sondern in einer Art „Anthropologia negativa" (S. 381 ff .)
vollzieht der Mensch die „Fuga mundi" in „Gestalt vorlaufender
Bereitschaft zum Scheitern am Kreuze Christi
" (nach S. 388, Anm. 32) und erweist sich darin als
das „Wesen, das sich in Gott hinein verliert" (Schriften
zur Theol., Bd. VIII, S. 245). Das mystische „Sich-los-
Lassen" umgreift die aktive Weltverantwortung.

In dieser hiermit nur knapp referierten Studie hat Fischer
das weitverzweigte Opus Rahners von dessen anthropologischen
Implikationen her verständnisvoll und
hilfreich durchleuchtet. Die mannigfaltigen Rückgriffe
und Wiederholungen ließen sich bei Rahners ständigem
Kreisen um die „Reductio in Mysterium unum" kaum
vermeiden. Die identitätsphilosophische Denkgestalt jenes
mystisch-ignatianischen Ansatzes ist weithin offengelegt
; was hiermit nun auch auf die katholische Kirche
zukommt, ist freilich in seiner Tragweite noch kaum zu
ermessen. Der evangelische Leser wird wohl vor allem
für den Einblick in das Ringen um die Ignatius-Deutung
innerhalb des Jesuiten-Ordens dankbar sein. Die von
Fichte und Hegel ja schon bewußt anvisierte Verschmelzung
zwischen Identitätsphilosophie und mystischer Tradition
müßte freilich noch kritisch durchdrungen werden.
Der indirekte Einfluß von Kant und Fichte dürfte für
Rahner wohl noch stärker sein, als dies aufgezeigt wird.
Vielleicht liegen die analogen Engführungen aber auch
nur am abstrakten Schematismus: Mensch — Welt — Gott
wie an dem Einsatz bei einem Geisthaft-Inwendigen, das
sich entäußert in ein Welthaft-Leibliches hinein und
durch diese Entäußerung hindurch vom gottheitlichen
Grund ergriffen wird. Von diesem abstrahierenden Ansatz
her entschwindet die Sprache als Atemraum menschlicher
Kommunikation wie als Geschehen, durch das sich
Sinnvolles geltend macht, fast ganz dem Blick. Die globale
Orientierung an „dem Menschen" und „der Welt"
verdeckt, daß niemand als isoliertes Einzelwesen existiert
, sondern wir alle unser Menschsein sprachhaft, institutionell
sowie auch leibhaft erst durch die Kommunikation
mit anderen Menschen gewinnen, daß auch „die
Welt" nicht lediglich Material für geisthalte Selbstüberschreitung
ist, sondern der Lebensraum, der uns erst bedingt
, daß auch unser Körper nur in jenem sprachhaft-
interaktionellen Gefüge zu je meinem Leib wird. — Diese
mystisch-transzendierende Engführung in der Anthropologie
schlägt sich theologisch darin nieder oder hat ihre
theologische Wurzel darin, daß die biblisch-prophetische
Dimension unseres Herausgerufenwerdens vor Gott in
Gericht wie Gnade abgeblendet bleibt. An diesem Kernpunkt
dürfte sich die anthropologische Kritik an Rahners
Ansatz zur theologischen Kontroverse zwischen der biblisch
-prophetischen Tradition und dem mystisch-idealistischen
Identitätsdenken zuspitzen. Fischer weist indirekt
mehrmals auf die hier zwangsläufig aufbrechende
Problematik hin, er hat sie aber leider nicht thematisiert.
An dieser Stelle müßte die fraglos hilfreiche und verständige
Studie weitergeführt werden.

Heidelberg Albrecht Peters

Kuske, Martin: Das Alte Testament als Buch von Christus
. Dietrich Bonhoeffers Wertung und Auslegung des
Alten Testaments. Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1970]. 140 S. gr. 8°.

Der Vf. widmet sich einem Spezialthema der Bonhoef-
ferforschung, der Beziehung Bonhoeffers zum Alten Testament
, das doch zugleich geeignet ist, wie in einer
Linse das Ganze Bonhoefferscher Theologie — methodisch
und inhaltlich — in den Blick zu bekommen. Die
scheinbare Enge und reale Weite des Themas machen
einen erheblichen Reiz des Buches aus, in dem es dem
Vf. gelingt, wesentliche Momente der Entwicklung Bonhoeffers
nun unter dem Gesichtspunkt seines Schriftverständnisses
zu erfassen. Das ist darum möglich, weil
sich einerseits Bonhoeffers Entwicklung in seinem
Schriftverständnis spiegelt, andererseits das Schriftverständnis
auf Bonhoeffers theologische Entwicklung einwirkt
.

Vf. setzt sich zunächst — um Bonhoeffer in seiner Abhängigkeit
und Eigenständigkeit gegenüber seiner Zeit
einordnen zu können — mit „der Wertung des Alten Testamentes
in der Umgebung Bonhoeffers" auseinander.
Drei Komponenten kommen hier vor allem zum Tragen:
polemisch die unmittelbare kirchenpolitische Wirkung
des faschistischen Antisemitismus mit ihrer paganistisch-
barbarischen Verwerfung des AT; antithetisch die — darf
man sagen: paganistisch-humanistische? — kritische Distanz
Harnacks, des lange bestimmenden Lehrers Bonhoeffers
, gegenüber der Wertung des AT als normativen
Kanons in der evangelischen Kirche; zuletzt die christo-
logische Konzentration auch im Schriftverständnis in
der Dialektischen Theologie vor allem Barths, die das
Alte Testament als Christuszeugnis versteht, wie das für
diese Zeit bestimmend von Wilhelm Vischer vertreten
wird. (Kritisch darf in diesem Zusammenhang vielleicht
angemerkt werden, daß Vf. zwar erfreulicherweise sauber
differenziert zwischen der Harnackschen AT-Kritik und
der antisemitischen AT-Polemik, daß er aber — leider! —
S. 97 diese Differenzierung vergißt, wenn er den Deutschen
Christen Hirsch mit Schleiermacher in einem Atem
nennt.)

Schon dieser einleitende Uberblick zeigt — für neuere
Kontroversen in der Bonhoefferforschung nachdrücklich
beachtenswert —, daß auf der großen Linie Bonhoeffer an
der Seite Barths und nicht als sein Kontrahent einzuordnen
ist; die — tatsächlich vorhandene — Spannung zwischen
ihnen trägt — im polemischen Gegenüber zu aller
nicht christologisch-offenbarungstheologisch orientierten
Theologie — den Charakter gegenseitig förderlicher
selbstkritischer Fragen.

Mit Recht gewinnt Vf. aus der Bestimmung des Bon-
hoefferschen Ansatzes im Gegenüber zu dessen Zeitgenossen
den Ausgangspunkt seiner weiteren Darstellung
in den Thesen: 1. daß die Bibel der Ort des Redens
Gottes sei, also in der offenbarungstheologischen Grundlage
; 2. daß die ganze Bibel Zeugnis des Einen Gottes sei,
also, wie man mit Luther sagen könnte, in der Altes und
Neues Testament umspannenden Geltung des 1. Gebotes;

3. daß die Bibel Zeugnis der Liebe Gottes in Jesus Christus
sei, also, wie man mit Barth sagen könnte, in der
Evangelium und Gesetz umfassenden Gnade Gottes; und

4. daß die Bibel Buch der Kirche sei, daß sie also nur ek-
klesiologisch — und darf ich selbst interpretierend sagen:
weder existentialistisch-anthropologisch noch metaphysisch
-religiös — recht gelesen und gehört wird.

Die bestimmende — Bonhoeffers Stellung zu Schrift
und vor allem zum Alten Testament in der Tat erfassende
— Überschrift des eigentlichen Hauptteiles des
Buches: „Das Alte Testament als Buch von Christus" ergibt
sich aus dieser vierfachen Bestimmung geradezu
notwendig.