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Ausgabe:

1976

Spalte:

435-439

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Funk, Robert W.

Titel/Untertitel:

A Beginning-Intermediate Grammar of Hellenistic Greek, II: Syntax 1976

Rezensent:

Steyer, Gottfried

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435

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 6

436

Funk, Robert W.: A Beginning-Intermediate Grammar
of Hellenistic Greek. I: Sight and Sound, Nominal System
, Verbal System. II: Syntax. III: Appendices, Pa-
radigms, Index. 2nd Edition. Missoula, Montana USA:
Society of Biblieal Literature, University of Montana
1973. XXX, XXII, 726 S., XXII, 185 S. 4° = Sources for
Biblieal Study, 2. $ 9.50.

Zum ersten Mal liegt hier Unterrichtsmaterial des neu-
testamentlichen Griechisch vor uns, das nach den Grundsätzen
des Strukturalismus konzipiert ist. Sosehr freilich
das Herz des Vf. für die neuen Ideen schlägt, sowenig
kann er sie gradlinig durchführen, denn einerseits ist
das Textmaterial an vielen Stellen strukturanalytisch
noch nicht aufgearbeitet — Vf. erhofft für die Zukunft
Hilfe vom Computer —, andererseits kann der Vf. an
Standardwerken wie der Debrunnerschen Grammatik
und dem Bauerschen Wörterbuch nicht vorbei, sondern
muß aus ihnen schöpfen und zu ihnen hinführen. Leider
gehen aber die Disharmonien in dem Werk weit über
das Maß dessen hinaus, was sich von vornherein aus der
besagten Spannung zwischen Idee und Material ergibt.

Schon bei einem Vergleich des Titels mit dem Inhalt
kommt es zu keiner Deckung. Der Umfang der drei
Bände läßt einen bedenklich werden bezüglich der Bestimmung
„für Anfänger und mäßig Fortgeschrittene",
auch wenn man in Rechnung stellt, daß bei dem gewählten
Druckverfahren (photomechanische Wiedergabe
eines fabelhaft sauberen maschinegeschriebenen Manuskripts
) eine Seite wenig mehr als die Hälfte einer üblichen
Druckseite faßt. Die einzelnen Abschnitte der Formen
- und Satzlehre werden gleichzeitig als Lektionen
bezeichnet (zusammen 62), wollen also Lerneinheiten
sein. Zu einer Lektion gehört aber durchgeformtes
Ubungsmaterial. Vf. will es später in einem zusätzlichen
Arbeitsbuch herausbringen. Können wir ihm beipflichten
, wenn er meint, mit ein bißchen Erfahrung werde jeder
Dozent in der Lage sein, es sich einstweilen selbst zusammenzustellen
? Und steht die durch die „Lektionen"
vorgezeichnete Methode noch zur Diskussion, die dem
Lernenden erst die Deklination, dann die Konjugation,
jeweils mit allen Untergliederungen, und schließlich die
Syntax vorsetzt? In weiten Teilen — nicht nur auf den
86 Seiten, die als Anweisungen und Einführungen zwischen
und vor die Lektionen gesetzt sind — ist das Werk
eine Art Lehrbuch der Theorie und Methode des Strukturalismus
und insoweit keine Grammatik einer Einzelsprache
. Der Anspruch ,Hellenistic Greek' schließlich
wird, wie der Vf. gesteht, inhaltlich nicht gedeckt. In
Anlehnung an Bauer geht es um die Sprache der urchristlichen
Literatur. Denkt man sich zu dem jetzt Vorliegenden
das für später Angekündigte hinzu, also
Übungsbuch, Erweiterung in die übrige Koine hinaus
und Erweiterung der ,Short Syntax', die jetzt 350 Seiten
umfaßt (gegen 300 Seiten Formenlehre), so kann man
gegenüber einem solchen Unterrichtswerk für Theologen
schon vom Umfang her nur noch bedenklicher werden.

Der Vf. ist ein geschworener Feind des herkömmlichen
Unterrichts mit seiner praxisfernen Grammatik und seinen
ausgedehnten Memorieranforderungen. In diesen
Dingen sieht er geradezu Hindernisse auf dem Weg zur
Gewinnung sprachlicher Potenzen. Von solcher .mortifi-
cation' weg möchte der Vf. hinführen zu den praktischen
Spielregeln, nach denen man mit Hilfe der am konkreten
Text vorflndlichen Merkmale mit einem Minimum an
explizitem Wissen am bequemsten und schnellsten zum
praktischen Verstehen eines Textes gelangt. „Bei allem
Lernen Text vor Augen!" ist darum ein wichtiger Grundsatz
. Zum Unterschied von anderen neueren Versuchen
geht es primär nicht darum, die sprachliche Arbeit vom
Inhalt des Gelesenen zu motivieren. Erst nach Durcharbeit
des 1. Bandes mit seinen 350 Seiten (abzüglich 25
bis 30 Seiten, die nicht für den Anfänger bestimmt und

entsprechend gekennzeichnet sind) soll es an die inhaltlich
orientierte Lektüre ausgewählter Partien des NT
gehen. Vorher ist der Text des NT nur Gelände für das
Aufspüren und Einüben grammatischer Strukturen,
denn „eine Sprache lernen heißt ihre Struktursignale lernen
". Dieser oberste Leitsatz bringt es mit sich, daß der
Lexik und dem grammatischen Faktenwissen einschließlich
Paradigmen und Stammformen nur sehr geringe Bedeutung
beigemessen wird. Von konkreter Lexik, d. h.
von jedem Inhalt abstrahierte Strukturen interessieren
den Vf. so sehr, daß er im Rahmen seiner griechischen
Grammatik eine „nonsense language" vorführt, vergleichbar
dem Rechnen mit allgemeinen Zahlen. Der
Trend geht also auf eine Mathematisierung und Technisierung
der Sprache hin. Dazu stimmt es, daß der Vf. für
die Zwecke der Satzanalyse einen Kode mit 41 Sigeln
einführt. Bei der Arbeit am Text soll der Lernende
den Reiz eines ,puzzle' empfinden, der dem einer interessanten
mathematischen Aufgabe nicht unähnlich ist,
nur daß der Vf. über das Kombinieren hinaus das Raten
geradezu wünscht und bei seiner Geringachtung
fast aller konkreten Einzelkenntnisse auch wünschen
muß. Die als Struktursignale bezeichneten Dinge, nämlich
die „Strukturwörter" (Artikel, Pronomen, Hilfszeitwort
, Präpositionen und Konjuktionen), die Morpheme
der Flexion und der Wortbildung und schließlich
die Wortstellung — es sind in etwa dieselben Dinge, auf
die im Altsprachenunterricht von jeher geachtet werden
mußte, nur daß unter dem neuartigen Begriff „Struktursignale
" sonst voneinander entfernte Phänomene
auf einmal zusammenrücken.

Die grundsätzliche Frage, ob die neue Sicht dem Wesen
ihres Gegenstandes, der Sprache, besser gerecht wird
als die „konventionelle" Grammatik, überschreitet den
hier gebotenen Rahmen und würde überdies vom Struk-
turalisten wohl auch als falsch gestellt abgelehnt werden
. Ihm geht es um ein System von Merkmalen, um
Hilfe zur praktischen Bewältigung, nicht nur wenn er
praktisch unterrichtet, sondern schon im Denkansatz.
Das Ganze ist ihm nicht mehr als die Summe seiner
Teile und der sie verbindenden abstrahierbaren Relationen
. Deshalb erwartet er alles von Strukturanalysen
und nichts vom ganzheitlichen Fluidum, das die Sprache
von der Mathematik und den Menschen vom Computer
unterscheidet. Wer jemals von diesem Fluidum
etwas hat erfahren und weitergeben können, der mag
viele strukturelle Schemata als öde empfinden, sollte
sich aber doch an die vielen erinnern, bei denen es nichts
mit Fluidum und Eindringen ins Wesen der Sprache
war, die immer wieder fehlgingen, weil sie, um mit dem
Vf. zu sprechen, die Struktursignale nicht sicher und geläufig
lasen und statt dessen anhand von Wortbedeutungen
falsch oder gar nicht kombinierten. Wenn gegen
diese Krankheit bisher mit viel Anstrengung, aber geringem
Erfolg gekämpft worden ist, wird man sich zu
fragen haben, ob vom Strukturalismus Hilfe kommen
kann. Sie könnte etwa im neuartigen Aufzeigen elementarer
Schwierigkeiten liegen, die der Lernende unter systematischer
Anleitung in kleinsten, oft wiederholten
Schritten meistern muß. Allerdings wäre eine derartige
Hilfe am wenigsten im Rahmen einer darstellenden
Grammatik zu erwarten, sondern einerseits in der theoretischen
Grundlegung und andererseits in der praktischen
Ausformung der Übungsbücher und des Unterrichts
. Mit der theoretischen Grundlegung sollte man aber
den Lernenden sowenig wie möglich belasten, und die
praktische Ausformung sollte Sache des noch ausstehenden
workbook sein. Sonst kommt es in der grammatischen
Darstellung zu höchst unvorteilhaften Zerdehnun-
gen und Wiederholungen, so daß die Gefahr der mortifi-
cation keineswegs gebannt ist.
Sehen wir nun zu, wie der Vf. seine Idee konkret aus-