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Ausgabe:

1976

Spalte:

430-432

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gnilka, Joachim

Titel/Untertitel:

Der Epheserbrief 1976

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 6

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Das entscheidende Moment der Passion ist nach G. die Überlieferung das Wirken Jesu aufgenommen und neu
radikale Verwerfung Jesu, sowohl durch die Menschen verstanden hat. Dies letzte darzustellen wird freilich
(einschließlich der Jünger) als auch durch Gott! eigener Gegenstand des zweiten Teils der nt.lichen Theo-
Auf diesem Hintergrund, der mit Blick auf die Men- lo8ie von G- sein- "Der zweite Band, der zumindest in
sehen nicht nur das Verständnis Jesu, sondern auch deren seinen wesentlichen Teilen vom Verfasser ebenfalls noch
eigenes Verständnis des Geschehens historisch zutreffend abgeschlossen werden konnte, soll in Kürze folgen und
darstellen dürfte, tritt das Ostergeschehen in das seinen ein Sachregister zum Gesamtwerk enthalten", versichert
Charakter erhellende Licht. Über die Behandlung dessen der Herausgeber Jürgen Roloff in seinem Vorwort (S. 6).
ist oben bereits kurz gesprochen. Obwohl G. die Überlie- Ihm gebührt hohe Anerkennung und aufrichtiger Dank
ferung über das leere Grab für historisch begründet hält, für die entsagungsvolle Mühe, die er sich mit der Herauswertet
er gerade sie nicht theologisch aus (und schon gar Sabe dieses großen Werkes seines Lehrers bereitet. Er
nicht im Sinne eines historischen ..Beweises"). Theolo- leistet der Theologie einen wichtigen Dienst!
gisch entscheidend ist nach G. der Erfüllungscharakter Wir sind uns schmerzlich bewußt, daß der Vf. zu den
dieses Geschehens, für den Weg Jesu, für die Geschichte angerührten Fragen nicht mehr selbst Stellung nehmen
Gottes mit Jesus, für die endgültige Selbstoffenbarung kann. Sie dennoch anzurühren schien dem Rang dieses
Gottes. „Das Osterzeugnis begründet abschließend den Buches angemessen.

Glauben an Gott als Gott, d. h. als den, der gemäß seiner Halle (Saale) Traugott Holte
Zusage dasNichtseiende ins Dasein ruft (vgl. Rom 4,17.24)"
(S. 297).

Etwas überraschend wird das Kap. VIII „Jesu Aus- Gnllka, Joachim, Prof.: Der Epheserbrief. Freiburg—Ba-

gang". in dem die Behandlung von Passion und Oster- sei—Wien: Herder (Lizenzausgabe des Benno-Verlages,

erfahrung zusammengefaßt ist, abgeschlossen durch einen Leipzig) 1971. XVIII, 328 S. gr. 8° = Herders theologi-

kurzen Abschnitt über „Das Kommen des Geistes". Die scher Kommentar zum Neuen Testament, hrsg. v. A.

Erfahrung des Geistes als „die für die Endzeit verhei- Wikenhausert, A. Vögtle u. R. Schnackenburg, X, 2.

ßene Zuwendung Gottes zum Menschen" (S. 299) gehört Lw. DM 53,—.

in der Tat zur Ostererfahrung der Gemeinde hinzu und Gnilkas Kommentar ist eine bewundernswürdig konträgt
sie in neuer Form in die Kirche hinein. Gleichwohl sequente Auslegung des Epheserbriefes unter Vorausentbindet
diese Art der Darstellung noch einmal die be- setzung von dessen Deuteropaulinizität. Schon in der
reits gestellte Frage nach dem sachgemäßen Einsatz- Einleitung, die der Auslegung vorangestellt ist (S. 1-52),
Punkt der nt.lichen Theologie, sofern diese Verstehen der hält sich G. gar nicht erst lange mit einem neuerlichen
Heilsgeschichte Gottes im Wirken Jesu ist. Erst das Ende Abwägen der alten und ja längst festliegenden Argu-
dieses Wirkens im Ostergeschehen gibt ihm den eigent- mente für und gegen die Echtheit dieses Stückes des
liehen Sinn, so gewiß es eben dieses Wirken ist, das sol- Corpus Paulinum auf, sondern läßt den Trend der histo-
chen Sinn erhält. Und erst die Zeugen von Ostern her, die risch-kritischen Forschung zur Geltung kommen, indem
den Geist empfangen haben, erfahren und erkennen das er ziemlich gradlinig und ohne mit den bekannten Zwi-
Wirken Jesu als das, was es wirklich ist. Gewiß fragt die schenlösungen zu liebäugeln, auf die Einschätzung des
nt.liche Theologie „nach Jesus, wie er sich den Nachfol- Eph als unecht, als deuteropaulinisch, zusteuert. Von die-
genden in den Erdentagen darbot" (S. 58). Aber sie fragt Ser Einschätzung aus kann er dann auch im Präskript das
doch nicht nach dem Bild Jesu bei den ihm Nachfolgen- „in Ephesus" als älteste LA verständlich machen (S.6f.).
den an einem beliebigen Punkt. Für die historische Situa- Auch der Kol, von dem Eph literarisch abhängig ist,wäh-
tion zu Karfreitag gilt ja zweifellos, was G. feststellt: rend er zugleich mit ihm in einer gemeinsamen Tradi-
•Praktisch war für die Jünger nicht nur eine völlig neue tion steht, wird als deuteropaulinisch anerkannt (S. 13).
Lebenssituation jäh abgebrochen, sondern auch elemen- Beide Briefe seien Produkte der Paulus-Schule, die ihr
tar alles in Frage gestellt, was die Nachfolge ihnen an Zentrum in Ephesus gehabthabe und der auch die Samm-
Beziehung zu dem Gott, der jetzt seine Heilsherrschaft iung der echten Paulus-Briefe zu verdanken sei (S. 19).
aufrichten sollte, vermittelt hatte" (S. 276). So wie erst Der Verfasser des Eph sei Judenchrist (S. 17f. u. ö.) und
Ostern die Wirklichkeit Jesu erfüllt, so erschließt auch habe sein Werk, der Gattung nach liturgische Homi-
erst der Geist, der mit Ostern verbunden ist, den Nach- ne (S. 33), zu Beginn der neunziger Jahre verfaßt (S. 20).
folgenden die volle Wirklichkeit Jesu. Damit bestätigt Man muß wohi sager)) daß die Evidenz von G.s Ausle-
sich zwar die Richtigkeit dessen, das Kommen des Gei- gung seine Vorentscheidung in der Echtheitsfrage in
ftes in die Darstellung des Ostergeschehens einzubezie- einer überaus eindrucksvollen Weise als voll und ganz
nen, es verstärkt sich aber auch die Frage, ob die Dar- gerechtfertigt erscheinen läßt. Der dunkle Eph wird un-
stellung der nt.lichen Theologie ihren Einsatzpunkt ter G.s exegetischer Behandlung weithin klar und vergeht
doch bei dem so verstandenen Ostergeschehen und ständlich, seine Aussagen, Gedanken und Vorstellungen
Osterkerygma nehmen müßte. nachvollziehbar. Das trifft besonders zu für die Aussa-
Dieser erste Band einer Theologie des Neuen Testa- gen, die „Paulus" im Eph über sich selbst und sein Werk
Wents von G. ist ein hochbedeutsamer Entwurf, der ge- macht und die von G. überzeugend und konsequent als
Raueste Beachtung verdient. Schon daß G. im Untertitel Teile eines spezifischen, nur infolge der fiktiven Brief-
nicht — wie üblich — von der Verkündigung Jesu redet, lichkeit Paulus selbst in den Mund gelegten, Paulus-Bil-
JOndern vom Wirken Jesu, hat programmatische Bedeu- des seiner Schule gedeutet werden. Und das gilt in ganz
JUng, Hier wird in ganz ungewöhnlicher Weise die ganze hohem Maße von der eigenartigen, sozusagen metaphy-
person Jesu in die theologische Deutung einbezogen und sischen Sicht der Kirche, die der Eph enthält, nach der
dabei mit der Geschichtlichkeit von Gottes Handeln in die Kirche als Leib Christi sich mit ihm bereits im Him-
uei' Geschichte Jesu ganz Ernst gemacht. Und damit mel befindet, die G. als eine in sich geschlossene und den
dürfte Jesus in entscheidender Weise wirklich verstan- ganzen Brief beherrschende Konzeption verständlich
den sein! Dabei ist es erstaunlich, zu sehen, wie G. seine machen kann, von der aus sich auch das Verschwundeninterpretation
auf im Grunde nur wenige, aber zen- sein der traditionellen apokalyptischen Eschatologie er-
||*ale Texte stützt, deren Tragfähigkeit jeweils sorgfäl- kläre. Daß ihm solche Evidenz gelingt, hängt nun ganz
l'g traditionsgeschichtlich abgesichert wird (wobei man wesentlich mit bestimmten religionsgeschichtlichen Ein-
natürlich im Einzelfall auch zu differierenden Ergebnis- sichten zusammen. Die moderne Kritik des Gnosisbildes
Sen kommen kann), und zugleich immer wieder deutlich der Bultmann-Schule hat ihn nämlich in die Lage ver-
zu machen sucht, in welcher Breite die gesamte nt.liche setzt, die Leib-Christi-Konzeption auf dem Hintergrund