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Ausgabe:

1976

Spalte:

396-398

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Wüst, Manfried

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zu den alttestamentlichen Überlieferungen von Landnahme und Landverteilung im Ostjordanland 1976

Rezensent:

Wuest, Manfried

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Interpretation, die in dio entsprechenden Abschnitte
der Gnadenlehre „hineindenkt" (so Schleiermacher
selber), was an göttlichen Eigenschaften in den beiden
ersten Hauptabschnitten der „Glaubenslehre" gewonnen
wurde —• also eine Interpretation vom Ende her.
So werden zunächst „Liebe", „Weisheit" und „Weltregierung
" Gottes zum Thema. Bei ihrer Erörterung gewinnt
der Begriff der „Verwirklichung" der göttlichen Liebe
Bedeutung, ein Begriff, der die Verbindung herstellt
zwischen dem umfassendsten Grund, den die Dogmatik
für Schleiermacher zu nennen vormag: der göttlichen
Liebe, und dein letzten Ziel, auf das die Liebe Gottes
gerichtet ist: der Erlösung des Menschen bzw. dem
Reich Gottes. Dieser Bewegung, angezeigt, durch das
Stichwort „Verwirklichung", sucht die Abhandlung zu
folgen, indem sie in Orientierung an Heideggers Rode
vom In-der-Welt-Sein des Daseins von einem „In-Sein"
Gottes spricht. Gemeint ist damit, daß für Schleiermacher
Gott und Welt in einem korrelat iven Zusammenhang
stehen, genauer: Gottes Sein für die Dogmatik
letztlich nur als ein Sein in . . . (als ein verursachendes
Anwesendsein) in Betracht kommen kann. Hat aber
für Schleiermachor die göttliche Liebe ein Worumwillen,
nämlich Erlösung bzw. Reich Gottes, so kann nach der
Bewandtnis von „Zeit" in bezug auf dieses Worumwillen
gefragt und Zeit im Sinne Sohleiermachers am besten
verstanden werden, wenn man sagt: sie ist bestimmt
zu . . .

In einem überleitenden Abschnitt (C. Die Ordnung
der Zeit) wird im Rückgriff auf dio Trinitätslehre
Schleiormachers auf das dreifache In-Sein Gottes (das
Sein in der Welt überhaupt; das Sein in Christo; das
Sein in der Kirche) hingewiesen: eine Ordnung, die mit
der erwähnten Bewegung der Verwirklichung konvergiert
.

Ein dritter Hanptteil (D. Der Vollzug der Zeit) versucht
ausführlich, „Zeit" im Zusammenhang dor „Welt"
zu klären, zeigt die Übereinkunft von „wirklich" und
„zeitlich", weist auf den Zusammenhang von „Zeit"
und „Ursächlichkeit" hin, um schließlich die Zeitlichkeit
des „unmittelbaren Selbstbewußtseins" herauszustellen
. Es ergibt sich, daß das „Gefühl" für Schleier-
maeher die jeweiligo Situation des Menschen, deren
verschiedene Qualifikationen, zeigt, so daß „Zeit",
gedacht im Zusammenhang des Gefühls, meint: Zeit
zum Ergriffen- und Betroffenwerden. Diese Form der
Offenheit, die mit der Zeit gegeben ist . hat nun auch in
bezug auf Gott Geltung, im Gefühl sehlechthinniger
Abhängigkeit, hier als „Grundsituation" des Menschen
interpretiert. Freilich ist dieses Gefühl durch die
Sündo gestört: durch die unvorhältnismäßige Herrschaft
dos sinnlichen Selbstbewußtseins, die es zu einer
Relativierung der Zeit im menschlichen Selbstbewußtsein
, indem dort nämlich Zeit und Ewigkeit in ein
Verhältnis zueinander treten könnten, nicht kommen
läßt. Erst in der Lebonszeit Christi — und hier liegt
nun ein Schwerpunkt der Untersuchung — darf von
einer „verhältnismäßigen" Zeit die Rede sein. In ihm
sind sinnliches Selbstbewußtsein und Gottesbewußtsein
, und damit Zeit und Ewigkeit, in ein Verhältnis
zueinander getroten, das von einer Vollendung der Zeit
zu reden erlaubt. Denn dort ist die Zeit gebracht, wohin
sie gehört: ins Einvernehmen mit ihretn göttlichen
Grund. Keineswegs wird also „Zeit" bei Schleiermacher
abgewertet. „Zeit" ist hier: Zeit zur Anwesenheit Gottes
im Selbstbewußtsein. Eine neue „Gesamtsituation" der
Welt hat sich eingestellt.

Grundsätzlich wird diese neue Gesamtsituation
auch in der dritten Form des In-Seins Gottes, in seinem
Sein in der Kirche, nicht überholt. Dio Abhandlung beschreibt
die Zeit der Kirche — der Begriff der „Ge-

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schichte" tritt hier nun stärker in den Blick — als
Wirkungsgeschichte Jesu Christi und so als Verkündigungsgeschichte
, in der sieh eine fortschreitende Relativierung
der Zeit, weil eine Verwicklung von immer
mehr Menschen in die Wirkungsgeschichto Jesu Christi,
vollzieht. Das Früher und Später wird hier von Alt und
Neu überholt, insofern das neue Leben „in sieh selbst,
ewig" ist (so Schleiermacher selbst). Vor allem die
Eschatologie hat dem nach Schleiermacher Rechnung

zu tragen, und es wird dargestellt., wie unter diesem
Gesichtspunkt die Aporien der Eschatologie der „Glaubenslehre
" zu verstehen sind. „Zeit" tritt in diesem
Abschnitt, zutage als Zeit zur Anwesenheit- Gettos, aber
damit zugleich zur Anwesenheit Cchristi im Selbstbewußtsein
des Mensehen, wobei Christus als Vergangener
anwesend, Gott, durch die Wirksamkeit Christi unmittelbar
anwesend ist.

Nach einem kurzen Hinweis auf die Fortsetzung der
bisher verfolgten gedanklichen Bowogung von der „Glaubenslehre
" in die „Sitteidehre" folgen im letzten Teil
der Abhandlung (E. Zur hermeneutischen Situation des
Zeit Verständnisses Schleiermachors) einige kritische
Bemerkungen zum Zeitverständnis der „Glaubenslehre
" insgesamt. Ks wird dort, auf Schleiermachers
Orientierung des Zeitbegriffs am Wirklichen (statt am
Möglichen) hingewiesen (1. Zeit und Wirklichkeit); auf
dio möglicherweise vorliegende Verkennung des Nichts
durch Schleiermacher soll aufmerksam gemacht werden
(2. Zeit und Nichts); und (3. Zeit und Gott) daß für
Schleiermacher der Satz nicht, gelten kann „Das Wort
wai-d Zeit," und Gott nach seinem Verständnis nicht
selber zeitlich geworden sein kann, wird gegen Schleiermacher
eingewandt.

Wüst, Manfried : Untersuchungen zu den alttestainontlichen
Überlieferungen von Landnahme und Landverteilung im
Ostjordanland, Dias. Tübingen J974. VII, 26« S.
Unbestreitbar ist das Verdienst A. Alts, die Interpretation
der Nachrichten Elber die israelitischen Stammesterritorien
in -los 14 - 19 aus der Diskussion um
dio „Hexateuch"-Quellen herausgenommen und sie
statt unter quellenkritischen Gesichtspunkten unmittelbar
auf ihren historisch-geographischen Aussagegehalt
hin befragt zu haben. Mit dieser Neuorientierung trat
das Interesse an dem Landvertoihmgsborioht als einer
literarischen Komposition gegenüber der neu aufgekommenen
Fragestellung nach Alter und Herkunft der
in ihn eingegangenen Überlieferungen zurück. So sah
Alt in Jos 14— 19 altere Dokumente, ein aus dor Richtel zeit
stammendes „System der Stammesgrenzen" sowie
eine judäischo und galiläisehe Ortsliste aus dem 7. .Jahrhundert
, verarbeitet. Diese Feststellungen, die allgemeine
Anerkennung gefunden haben, wurden von M.
Noth auch auf die Nachrichten über die Landverteilung
im Ostjordanland (Num 32,34 — 38 und Jos 13,15—32)
übertragen, so daß Noth auch in diesen Texten eine
Grenzboschroibung aus vorstaatlicher Zeit (Jos 13,10.
17a.25 f.) und eine Ortsliste dor Zeit Jonas (Num
32,34 —38; .los 13,17b —20.27) erkannte. Auf dor Grundlage
dieses exegetischen Befundes wandte sich Noth in
der Folgezeit zunehmend der Territorialgosellichte des
Ostjordanlandes, speziell der Zeit der Einwanderung
und Kolonisationstätigkeit israelitischer Stämme oder
Stammesgruppen sowie, der Geschichte ihres Verhältnisses
zu den Nachbarvölkern Amnion und Moab zu
und faßte so seine exegetischen und historischen Erkenntnisse
zu einem Gesamtbild von der l'Yühgoschichto
israelitischer Seßhaftigkeit östlich des Jordans zusammen
, das bislang in seiner Geschlossenheit einzig dasteht
und dementsprechend grundlegend für die neuere
Forschung geworden ist.

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 5