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Ausgabe:

1976

Spalte:

367-370

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Scholl, Hans

Titel/Untertitel:

Calvinus catholicus 1976

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 5

368

dankenswerter Unverdrossenhoit betreuten Bibliographie
unter dem gleichen Titel ein Unternehmen hinzu-
getreten ist, das zurückgreifend die Veröffentlichungen
der Jahre 1900—1955 erfassen möchte. Erschienen ist
bisher: A. Van Roey — G. Dreesen, Bibliographia
Patristioa. Patres latini. 1900—1914, Löwen 1974
(Centre „Hellenisme on Uhristendom", Maria-Theresia-
straat 7).

Augsburg Joseph A. Fischer

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Scholl, Hans: CalvinilN ClltholicUS. Die katholische Calvinforschung
im 20. Jahrhundert. Mit einem Geleitwort von
A. Ganoezy. Froiburg-Basel-Wien: Herder [1974b 240 S.
gr. 8° = Ökumenische Forschungen, hrsg. von H. Kflng
u. J. Moltmann unter Mitarb. v. E. Jüngel u. W. Kasper-.
I. Ekklosiologische Abt., VII. Lw. DM 38,—.

Mit dieser Arbeit, einer in Hern 1973 vorgelegten
Habilitationsarbeit, tritt neben die Werke über die
katholische Lutherforschung (R. Stauffer, M. Bogdahn,
W. v. Loewenich) und Zwingliforschung (F. Büsser)
eine Übersicht über die katholischo CalvinfOTSOhung.
Dor Vf., der durch eigene Beiträgo zur Calvinforschung
ausgewiesen ist (vgl. etwa ThLZ 95, 1970 Sp. 288—28!)),
sieht den Sinn seinor Arbeit nicht nur in der Erstellung
eines Forschungsberichts, sondern auch in einem Dialog
mit dem katholischen Partner über das rechte Calvin-
verständnis und die nötige, noch verbleibende Calvinkritik
(17) und im „Suchen nach einer weiterführenden
ökumenischen Sprache" (19). Ihren Sitz im Leben habe
diose Arbeit „in dor ovangolischen Freude über die
jüngste katholischo Calvinforschung" (17). Sch. erstrebt
Vollständigkeit für seine Übersicht für den Zeitraum
ab 1950, sehließt den doutschon, französischen,
englischen und holländischen Sprachraum ein, klammert
hingegen den italienischen aus seiner Darstellung
aus, was jedoch sachlich nicht sehr stark ins Gewicht
fällt. Besonderes Gewicht hat die Darstellung dor holländischen
Calvinforschung. Sie ist zum guten Teil
durch die Begegnung zwischen (neuscholnstischem) Katholizismus
und Neucalvinisinus in Holland bedingt.
Sch. stellt fest, „daß gut 50% der katholischen Calvin-
forschung direkt oder indirekt, vom niederländischen
Katholizismus stammen" (223).

Die Untersuchung lehnt sich nach Sch.s eigener
Aussago in ihrer Stoffgliodcrung an den Aufbau von
Calvins Institutio von 1559 an (20). Nach dorn Geleitwort
, das mit A. Ganoezy einer der beiden nach Sch.
„großen" katholischen Calvinforscher geschrieben hat
(als den anderen bezeichnet Seh. .). L. Witte S. J.),
handelt es sich dabei gleichzeitig um „die Themen, für
dio sich die katholischen Forscher bisher mit einer
gewissen Vorliebe interessierten" (6). So werden nach

einer Übersicht über dio Parallelliteratur zur katholischen
Luther- und Zwingliforschung und über dio
katholische Beschäftigung mit Calvin vom 16. bis 19.
Jh. das Thema Gott und Mensch als das Grundthema
von Calvins Werk und Theologie, Christologio und
Soteriologie, Ekklesiologie und Sakramentstheologio
als Thema dor katholischen Calvinforsohung besprochen
.

Sch. kann in Ferdinand Brunetiero (f 1906) einen
Forscher vorstellen, dessen Niveau „später nicht immer
orreicht, geschweige denn gehalten werden konnte"
(46). Er hat von Calvin gesagt, er habo die Religion
intollektualisiort, aristokratisiert und individualisiert.

Sch. geht mit diesen Bezeichnungen unterschiedlich
um: er wortot sie positiv, entlastet Calvin von ihnen
zuungunsten seiner Schüler oder differenziert sie. In jedem

Kalle sieht er in dein gemäßigten, oft sogar freundlichen
Ton Brunotieres eine wichtige Vorstufe zum ökumenischen
Ertrag der katholischen Calvinforschung. Im-
bart de la Tour setzt mit seinen Fragen flacher an —
ähnlich wie dio gleichzeitige protestantische Kritik an
Calvin. Die beste Darstellung Calvins in dor 1. Hälfte
des 20. .Ih.s schreibt Sch. Pierre Jourda ZU. Hinter ihm
bleibt sogar Daniel Kops mit seiner Calvindarstollung
von i960 zurück. „Der kritische Leser sehnt, sieh i960
zurück zu den katholischen Calvin-Arbeiten der früheren
Jahre" (61). Aus dem deutschsprachigen Bereich
benennt und behandelt Sch. unter der Thematik des
Grundverständnissos Calvins dio Historiker E. Iserloh,
K. Algermissen und E. W. Zeodon, dessen Darstellung
er ausführlicher analysiert und als „doch noch gegen-
reformatorisch" beurteilt.

Ein großer Abschnitt ist der nouthomistisoh-anti-
modemistischen Sicht Calvins gewidmet (Michael Fr. .1.
Marlet S..)., J. C. Witte S.J., A. .). M. Cornelissen,
Johannes Fritz). Sch. bemerkt, dal.! der Wert einer
katholischen Calvinarbeit immer beschränkter wird, je
enger und ängstlicher sich der Neuthomismus artikuliert
. Das Musterbeispiel dafür ist Johaunos Fritz.
Zwölf Jahre Unterschied zwischen Brunetiero und Fritz
zeigen „exemplarisch den Klimawechsel, dor sich mit
dem Wechsel auf der Kalhedra Petri von Leo XIII. ZU

Pius X. vollzogen hatte" (86). Anachronistisch mutet
das Work von A. Favre Dorsaz von 1951 in seinor gegen-
roformatorisehen Gehässigkeit an.

Für den Durchbrach zu einer ökumenischen Sicht
Calvins steht eine Reibe von Nameti von Konvertiten,
die ihre Schülerschaft bei Calvin in den römischen
Katholizismus einbrachten, allen voran L. Bouyor. M.
de Kroon „schreibt die oalvinfreundliohste Arbeit, die

ie cm Katholik verfaßte" (93). Y. Congar bildet den
Übergang zu einer wirklichen Calvinadaption in der
katholischen Theologie (A. Ganoezy), die abor nicht zu
einer billigen Voreinnahmung Calvins führt. Sch. bespricht
hier Arbeiten, „die man durchweg als Spitzenleistungen
katholischer Reformationsforschung bezeichnen
darf" (103 Anm. 310).

Die katholischen Darstellungen von Calvins Christologio
mißt Sch. an Inst. II 6 und 12—14 und stellt
fest, daß man katholiseherseits Calvins Christologio
ontologisch und zu wenig beilsgoschichtlich beurteile
und die Bedeutung des Gehorsams Christi und der
Botoriologisch-pnournntologischon Relation für Calvin
übersehe. Sehr spärlich fällt dio katholische Beschäftigung
mit Calvins Soteriologie aus, die sieh von dor Erfassung
der Prädostinationslohro zur Darstellung von
Calvins Spiritualität hin verlagert.

In der katholischen Forschung von Calvins Ekklesiologie
spiegelt sich der Wog der katholischen Theologie
vom Ontologismus zu einer ökumenischen Adaption.
Der ursprüngliche Individualismus-Vorwurf gegen Calvin
wird aufgegeben und müßte nach Sch. zu einer
grundsätzlichen Befragung sowohl Calvins wio der römischen
Ekklesiologie führen (163). Interessant sind
Annäherung (Prinzip der Kollegialität!) wie Diskrepanzen
in der beiderseitigen Amtslchrc. Zum größten
Teil zustimmend verzeichnet Sch. die wesentlichen
Elemente der katholischen Kritik an Calvins Ekklesiologie
, vor allem die „gedämpfte Eschatologie". Nach
Sch. bleibt es „ein nicht voll erhelltes Faktum, wieso
Calvin, dieser außerordentlich scharfe Hörer der Heiligen
Schrift, die Eschatologie nicht besser erfaßte"
(193).