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Ausgabe:

1976

Spalte:

348-350

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hanhart, Robert

Titel/Untertitel:

Text und Textgeschichte des 1. Esrabuches 1976

Rezensent:

Gerleman, Gillis

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1970 Nr. 5

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Später w inde er mit den Thesen Wundts bekannt, nach
denen das Märchen die ursprünglichste Erzählform ist,
ohne <lii' Grimmsohe Mythenauffassung aufzugeben, vor
allem aber, ohne die Neuauflage seines < lenesiskommen-
tars der gewandelten Sieht konsequent anzupassen!
Diesen Beobachtungen verdiente weiter nachgegangen
zu werden.

Im Mittelpunkt von Kap. 0: „Myth and Ritual"
(S. 06—84), steht S. H. Etooke mit seiner Mythos-
auffassung, die im Muster des babylonischen Neujahrsfestes
die Urform einei' weBcnsmäßigen Zusainmen-
gehörigkeit von Mythos und Ritual fand und auf kn-
naanäischem Boden und in der Religion Israels angepaßte
Formen des babylonischen Vorbildes vermutete.
Aber Hooke's Theorien sind nicht voll durchdacht, und
die Kritik richtet sich gegen die Grundvoraussetzung,
daß Mythos stets mit Ritual zusammengehört und nicht
auch rein literarische Überlieferung sein kann, vor allem
aber gegen die Annahme eines allgemein verbreiteten
cultie pattern. Viele1 von Hooke beobachteten Erscheinungen
aber bleiben gültig, und die von ihm gestellten
Fragen harren noch einer Antwort.

Kap. 7 (S. 85—100) handelt von den Thesen, die
das Alte Testament von jeglichem mythischen Denken
scharf abheben (besprochen werden II. und EL A. Frankfort
u. a.. The [ntellectual Adventure of Ancient Alan.
1948, sowie G. E. Wright, Tbc <Md Testament againsl
Environment, 1950). Der Vf. ist mit Recht skeptisch,
ob bei dieser Sicht immer ein angemessenes Verständnis
von mythischem Denken und eine klare Alternative für
Israels Weltanschauung im Blick ist. Kap. 8 (S. IUI
bis 127) interpretiert den strukturalistisohen Ansatz,
einer Mythendeutung bei Levi-Strauss und einige Versuche
, diesen auf das Alte Testament anzuwenden.
Kap. 9 (S. 128—144) würdigt M. Rio.....ir, dessen Verständnis
der Symbolsprache im Mythos als Ausdrucksform
für die Grundfragen von Gul und linse in der
Welt Möglichkeiten auch für das Verständnis alttesta-
mentlicher Sprachsymbolik eröffnet. Schließlich behandeil
Kap. 10(8. 140—173) die deutsche Forschungs-
geschichte seit Gunkel (die allerdings nach Meinung des
Vf. keine großen Fortschritte über C Unkel hinaus gemacht
hat, vgl. auch S. 00) und andere neuere Entwicklungen
.

Das Schlußkapitel (S. 174—189) faßt zunächst die
vielfältigen Arten eines Mythosverständnisses in der
Forschung in zwölf Punkten zusammen, von denen sich
einige als eindeutig falsch erwiesen, die meisten aber
gewisse Wahrhoitsmomente gebracht haben. Als Pro-
blemkreise werden abschließend genannt: I. Der Ursprung
des Mythos (noch immer ungeklärt), 2. Das
Problem einer primitiven Mentalität (die Annahme
einer von der modernen verschiedenen Denkfähigkeit
der frühen Menschheit ist unhaltbar geworden). 3. Das

Verhältnis von alttestamentlichem .....I modernem

Denken (hier wird die /.um Nachdenken anregende These
vertreten, daß im Hinblick auf das religiöse Empfinden
und theologische Denken die alt israelitischen Fähigkeiten
den modernen vermutlich nicht nachstanden.
Mythos wäre als eine auch dem Alten Testament eigene
Ausdrucksform für die transzendente Wirklichkeit zu
verstehen). Mit einer eigenen Deutung des Phänomens
Mythos hält sich der Vf. zurück; aus seiner Bewertung
der dargestellten Modelle ergibt sich jedoch die Linie
einer vorsichtigen Woitorführung der bisherigen Ansäten
, wobei dein Verständnis RtCOeurS ein besonderes
Gewicht zukommt.

Es ist gut, daß eine solche Untersuchung wie die
Rogersons erschienen ist. Die Selbstbesinnung der alt-
testamentliehen Wissenschaft über ihre eigenen Denkvoraussetzungen
und die Reflexion ihrer Begrifflichkeit
ist ein noch unerfülltes, immer dringender wordendes
Desiderat. Die Arbeit tragt vielfach noch die Züge
eines orsten, teilweise tastenden Versuches in dieser
Richtung, vieles konnte in dem verhältnismäßig engen
Kaum der einzelnen Kapitel nur angedeutet werden
und müßte fortgeführt werden, In der Bibliographie
fehlen u.a. die Arbeiten von Et. P. Müller, in dessen
Denken der Mythosbegriff einen zentralen Platz einnimmt
. Im ganzen eine wertvolle Orientierungshilfe für

alle, die mit dem Myt hosbegriff im Alten Testament und
überhaupt im biblischen Bereich operieren, ohne ihn
immer genügend reflektiert zu haben.

Bochum Henning Graf Hovontlow

Wevers, John Williarn: Texf llistory of fh« «rt'ek (icrit'sis.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1074. 230 ,S. «r. 8°
= Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens (MSU)
XI. Abhandlgn der Akademie der Wissenschaften in
Güttingon. Piniol.-bist. Klasse, 3. Folge, 81. DM 98,—.

Hanhart, Roberl i Text und Textgwchlehte des L Esrabuehes.

Güttingen: Vandenhoeck *. Ruprecht |!>74. 133 S. gr. H '
— AbbandIgn der Akademie der Wissenschaften in Güttingen
, Piniol.-hist. Klasse, 3. Folge, 92. DM 56,—.

Im Jahre 1974 sind zwei neue Bände der Göttinger
Sept uagintaausgabo erschienen, Genesis und das apokryphe
sog. 1. lOsra (Esdr I). Gleichzeitig haben die
Editoren, J. W. Wevers und I!. Elanhart, je seiner Ausgabe
eine monographische Untersuchung mitgegeben,
die dem Benutzer der Textausgaben über die Prinzipe
und Arbeitsmetboden der Herausgeber und über die
Begründung ihrer Textentscheidungen und Toxthor-
stellung informieron sollen. Die Bedeutung dieser Monographien
beschränkt sich indessen nicht darauf, unerläßliche
Komplemente der Textausgaben zu sein. Ihr
eigentlicher (legenstand ist die ursprüngliche Gestalf
und die Geschieht« des griechischen Textes von Genesis
bzw. Esdr I.

Der Gang der Untersuchung llanharts mag folgendermaßen
kurzgefaßt beschrieben werden. Nach einem
Vergleich der griechischen Texte von Esdr I und
Esdr II — eine unmittelbare literarische Abhängigkeit
ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen — folgt eine Präsentation
des Textes von Esdr I mit seinen drei /( Ilgen
gruppen: den alten Unzialen BAV, den Rezensionen
Lab und Mischtexten. Für die zentrale Frage nach dem
ursprünglichen Text ist die Untersuchung der drei
Rezensionen besonders wichtig. IL sucht die Prinzipien
hinter den rezensionellen Eingrilfen näher ins Augo zu
fassen, um von dem Charakter und der Intensität dor
Textbearbeituiig ein Bild geben zu können. Anschließend
folgt eine kurze Darstellung der Unzialen hinsichtlich
ihrer allgemeinen sprachlichen Eigentümlichkeiten.

In dem nächsten ziemlich kurzen Abschnitt (S. 44
bis 54) behandelt IL das Verhältnis der einzelnen Rezensionen
und Text formen zueinander. Als allgemeiner

Grundsatz der Textherstellung soll gelten, daß „eine

gut bezeugte Lesart, die einor oder mehreren Lesarten
gegenübersteht, die sich als für eine Rezension oder
Textform Charakteristisch erwiesen, zuerst den Anspruch
darauf erbeben darf, die ursprüngliche Lesart
zu sein", S. 53.

Die spätere Hälfte des Buches (S. 55—129) ist der
Herstellung dos ursprünglichen Textes in concreto gewidmet
. An Hand einer Fülle morphologischer, syntaktischer
und grammatischer Einzelerscheinungen wird
das Textmaterial geprüft und Textentscheidungen ge-