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Ausgabe:

1976

Spalte:

313-314

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Glaser, Barney G.

Titel/Untertitel:

Interaktion mit Sterbenden 1976

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Seite 1

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Theologische Litcraturzcitung 101. Jahrgang 1970 Nr. 4

314

Die Befragungen sind für den Zeitraum von 1958 bis 1968 gehende persönliche Erfahrungen mit dem Sterben nahestc-

für das Gebiet der BRD trotz ihres sehr begrenzten Charak- hender Angehöriger überhaupt erst zu ihren insgesamt sechs-

ters insofern weit über die seelsorgerlichen Aspekte hinaus jährigen Forschungen angeregt worden. Dem vorliegenden

bedeutsam, als es im außerkirchlichen Bereich keine derarti- Band, dessen Original-Titel „Awarcness of Dying" lautet,

gen Erhebungen gibt. Zukünftigen empirischen Großbefragun- wollen die Vf. noch drei weitere Bände mit Ergebnissen aus

gen werden hier erst einmal entsprechende Fragerichtungen derselben Unlersiichungsrcihe folgen lassen, so an zweiter

gewiesen, eine unerläßliche Vorarbeit für größere Meinung*- Stelle eine Monographie über den Verlauf des Sterbens,

erhehungen. In den beiden Einführiingsliapiteln unseres Buches sagen

Als sehr einsichtig erweist sich, die Schüler im Erzähltest die Autoren zunächst ..Allgemeines über Wahrnehmen des
nicht mit direkten religiösen Kragen zu überfordern. Die Nie- Sterbens" und über „Verschiedene Kontexte des Wahrneh-
derschriften von selbst Erlebtem oder selbst Gedachtem bie- mens". U. a. wird den europäischen Leser interessieren, daß
ten so nicht nur einen reichhaltigen Ertrag mit einem weiten im Gegensatz zu dem Eindruck, den die oben erwähnten Pu-
Erfahrungshorizont, sondern erscheinen auch ungezwungen blikatinnen vielleicht bei manchem erweckt haben, sich dort
und relativ zuverlässig. Zudem liegt der Vorteil kurzer Nie- die allgemeine Einstellung zum Tod nicht von der bei uns
derschriften, bei denen die persönliche Meinung mit eigenen üblichen unterscheidet: „Amerikaner sind bezeichnenderweise
Worten formuliert wird, gegenüber einem einfachen „An- kaum bereit, über den Prozeß des Sterbens offen zu reden,
kreuztest" auf der Hand, selbst wenn das originale Zur- Und sie umgehen es — wenn irgend möglich —, einem Stcr-
Spraclie-Bringen einer Meinung, einer Erfahrung oder eines benden zu sagen, daß sein Tod unabwendlich ist" (11). Im
Eindrucks in der eigenen Weise des Verbalisierens ihre Grenze II. Teil werden die „Kontexte des Wahrnehinens" ausführlich
hat. „Jugend läßt sich nicht ausreichend nach anscheinend behandelt, und zwar die folgenden: „Geschlossene Bewußtewig
gültigen Phasciimci'kmalen beschreiben. Eine Wesens- heil — der Patient ist ahnungslos; argwöhnische Bewußtheit—
analyse junger Menschen erschöpft sich aber auch nicht in der Patient verfolgt einen Verdacht; Bewußtheit der wechsel-
dem Aufweis einer punktuellen Teilhabe an einer bestimmten seitigen Täuschung — alle Beteiligten wissen Bescheid, gestc-
gescllschaftlichcn Situation" (412). hen es aber nicht ein; offene Bewußtheit — der Patient kennt

Bewundernswert ist nucli in diesem Band wieder die Fülle seinen Zustand und gibt es zu" (17). Glaser und Strauss brin-
<ler fast lückenlos verarbeiteten und sachkundig besprochenen gen dazu keine individuellen Krankengeschichten, sondern
Fachliteratur. Immer wieder werden Gedankenvorgänge auch bemühen siel« immer um Verallgemeinerung. Da sie aber alle
uus abgelegenen Bandgebielen der Psychologie sowie Zitate in Frage kommenden Situationen — soweit möglich — berück-
aus schwer zugänglichen Facliartikcln herangezogen. Gerade sichtigen, bleibt ihre Erörterung stets nahe am konkreten Ge-
"uch in der Fülle des empirischen Materials dieses Bandes schchen und führt den Leser zu realistischen Einsichten,
bewährt sich der Vf. als Theologe mit klarer Konzeption, Im III. Teil werden die vielseitigen „Probleme des Wissens
wie er darstellt, sichlet und bewertet, etwa hinsichtlich der vom Sterben" noch einmal durchgegangen, diesmal starker un-
seclsorgerlich-theologischcn Konsecpjenzcn aus den Testrei- ter dem Aspekt der einzelnen am Schicksal des Patienten beben
(420f.) teiligten Gruppen, wie Ärzte-Stab, Pflegepersonal und Ange-

Allerdings erfordern lange Sätze, vielfältiger Gebrauch von hörige, und ihres Zusammen- oder Gcgc ■•inmiderwirkens. Auf

l'remdwortc, und häufige F.inschübe die volle Konzentration Grund dieses Verfahrens können zahlrci,, e Überschneidungen

«es Lesers. Die noch ausstehenden eigentlichen Vollzugspro- nicht ausbleiben. Obwohl manches fast bis zum Überdruß w,e-

bleme der beratenden Seelsorge im Raum der jungen Gene- derholt wird und - wie bei Theologen und Psychologen eben-

KÜOn darf man für den angekündigten Teil IV des Hand- »o vorkommend - das Einfach« oder Selbstverständliche un-

buches erwarten noli8 kompliziert erscheint, kann doch von einer aufsdiloß-

Wenn die Befragungen und Untersuchungen etwas haben und bewegenden Lektüre gesprochen werden. Insbeson-

4-tttlich machen können, so ist es die Tatsache, „daß man < «e <he Haltung der Krankenschwester ruckt allseitig ins Licht

,.;,.„„ , . .• i n ■ ■ „ B,„,:0,.i.„„ N„r der Betrachtung. See sorger und Psychotherapeuten werden

« '»er .liigcMidgencration weider allein von einem statisciien INor- " ° " B„ .. ., , ,

Hi n;,,: Z i ■ ■.■ • ... , ___■ j__ c:„,„,:„:« nur am Bande erwahnl, allerdings mit positivem Akzent auf

"MUvismus noch einseitig von einem dynamischen bitualivis- , . _ T . » i v-S____i.

m„„ i -i i i irti —* _"__ ihrer l'unktion. Der I^ser aus der 1)1)11 erfahrt nebenbei auch

nus iieikonituen kann, sondern daß Jugend in ihrer licscincJit- . n n j n i i u • i n

licht,,.;, i rr i „ n" <nt etwas darüber, welche negative Bolle das Geld bei der Dauer

uuikcit begriffen werden muß (412). , ,. .. ' , , , ,, • j ttc* ;„i„.,

bzw. Qualität der Krankenbchandlung in den USA spielen

Greifswnid Günther Kehn»cherper kann (s ^ 172, 183; staatliche Krankenhäuser scheinen

ganz am Ende der allgemeinen Wertschätzung zu rangieren!).

(;>«ser, Barney G., u. Anselm L Strauss: Interaktion mit Ster- Lei«" kann aus der Fülle der Erkenntnisse und Schlußfol-

benden. Beobachtungen für Arzte, Schwestern, Seelsorger gerungen hier nichts mitgeteilt werden, ^^f™"™^

"nd Angehörige, übers, v. Gisela Bischof-Elten. Göttingen: »»»ung d.e differenzierten Verbal „isse und UrttUenn . r-

*5 S. 8». Kart. DM 28,-. J^^-

den letzten Jahren haben bereits einige amerikanische liehen Ethik, wie die Verdrängung des Leidens, die verdeckte

'•foffentlichungen über Gespräche und den Umgang mit Euthanasie öder die Lebensverlüngerung um jeden Preis usw.,

»11 ,,uch Uel l"'8 einflußreiche Wirkungen erzielt, vor ^ zur Spraclie kl)mmcn,

7~? «• Büch« von E. Kübler-Boß, von M. K. Bowcrs u. a. ^ jy _Schlußfolff(.rungen", befaßt sich u. E. weniger

( ,w"c von A. P. L. Prcst. Während bei ihnen der einzelne Pa- ^ ^ kügchon Konsequenzen für das tlierapeutische

. M, (ein Schicksal, seine Gefühle und seine Unterstützung ^ ^ rlidle Handeln, als mit den Auswirkungen auf

" Vordergrund stehen, beschäftigen sich Glaser und Strauss ^ soziologische Konzept der Autoren. Der Nicht-Fachmann

rW'<-gc..d mit dem Verhalten der verschiedenen Gruppen den Eill(lruck naben> daß die Thcorie-

".«•ziehungspersoncn zum sterbenden Menschen im Kran- Mr„(.kli(1I1 ,.lw„„ übertrieben b/.w. in ihrer Bedeutung für die

. 'haus und natürlich auch mit den Reaktionen des at.en- ubcrs(.JlaUl wird. Trotzdem ist das Buch nicht nur

»>.f dieses Verhallen. Als nüchterne, theor.ebewußte So- s„zj()| Är/U,n ,„„, S,hweslern sehr zu empfehlen, son-

b,' hab«! ,li0 Mim V,,rfn"scr eine Untersuchung von ^ .....^ (|||)m| S(.r|s„ ,........,f„rM s)llWerkrnnk.-r Mit-

; '"-lerem Wert geliefert: Sie sind gleichsam als Außenstc- Allerdings sctzt es wegen vielfacher Abstraktionen

'le ,„ »c,hH verschiedene Krankenhäuser im Bereich von theoretischer Erörterungen beim Leser einiges an Geduld

Co, oS,C° «"TT" ""d ,,nbCn 1 T r" ' r" '"ehtun" ""'« Verständnisfähigkeit voraus.

'••i je 2 l„s /, Wochen lang systematische Peldbeobachlun- KorrdtWW S. IG Milte: entschieden (nicht: ent-

C "',,5r Inlernklion mit Sterbenden durAgefuhrt. Trotz K e-n. Korre kt _ «, M Mitte; (lrohcn

J - «UA« Zug. zur Objektivierung und 1 heoretisierun« g^^* mll(.n: & (Ilichl: das).

7"'«" sie allerdings nicht innerlich Unbeteiligte, denn die bei- I"1«™- «renen;. c.

dc" Autoren sind, wie der Anhang verrät, durch voraus- Rctodc Ernst-Rfldiger Mesow