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Ausgabe:

1976

Spalte:

288-289

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Ruf, Gerhard

Titel/Untertitel:

Franziskus und Bonaventura 1976

Rezensent:

Andresen, Carl

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Persönlichkeit des schlesischen Protestantismus an der Wende
vom 17. zum 18. Jahrhundert.

Die Darstellung seines Lehens und Wirkons „nach zeitgenössischen
und späteren Biographien" (S. 82) stellt im Mittei-
punkt der vorliegenden Arbeit. Zur Vertiefung und Ergänzung
des bisherigen Neumannbildes bezieht die Verfasserin die
„Geisteshaltung" seiner Schüler in die Untersuchung mit ein.
Das muß als besonderes Positivum hervorgehoben werden.
Ausgehend von dem kontroversen Forschungsstand — Nen-
mann als Aufklärer (z. B. H. Schöfflcr) oder als Interpret lutherischer
Orthodoxie (M. Meißner) — ist die Vf.n um eine
differenzierte theologie- und geistesgeschichtliche Wertung bemüht
.

Die Arbeit beginnt mit einer Skizze der „kirchlichen Lage in
Schlesien vom Westfälischen Frieden bis zur Altranstädter
Konvention" (S. 18—22). Ihr schließt sich ein knapp gehaltenes
„Lebensbild" Naumann! an (S. 23—31), das im wesentlichen
eine Zusammenfassung der biographischen Fakten ist.
Neue Aspekte treten dagegen in der Untersuchung über
„Caspar Neumanns Stellung in Theologie und Geistesleben
seiner Zeit" (S. 32—81) zutage (Naturwissenschaftler und
Theologe; Erforscher der hebräischen Sprache; Neumanns
Verhältnis zu Katholizismus, Pietismus und zur lutherischen
Orthodoxie).

Der Einblick in „die Breslauer Schulverhällnisse am Ende
des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts" (S. 82-102)
ist vor jillorn /um Verständnis und zur Würdigung der Tätigkeit
Neumanns als „Theologieprofessor" sowie des Einflusses,
den er auf seine Schüler ausübte, wichtig. Ihnen, den „bedeutendsten
Schülern" Neumanns, ist der letzte Teil der Arbeit
gewidmet (S. 103—140). Aus dem Kreis dieser mehr oder
weniger bekannten Naturwissenschaftler, Theologen, Pädagogen
, Historiker und Juristen ragen der Philosoph Christian
Wolff und der Leipziger Prediger Adam Bernd heraus. In
Bernd, der in neuerer Zeit vor allem durch seine Autobiographie
(1738) immer wieder Interesse hervorgerufen hat,
sieht die Vf.n den Neumannschüler, „der der Aufklärung des
späten 18. Jahrhunderts am nächsten stand" (S. 138). Er war
Ausgangspunkt ihrer Beschäftigung mit Neumann (S. 140),
ihm gilt ihr besonderes Interesse (vgl. Wiederholungen S. off.,
S. 130IT.).

Christan Wolff, zweifellos der „berühmteste Vertreter jener
Breslauer Schülorgeneration" (S. 120), hat von seinem Lehrer
Neumann bekannt, er sei derjenige gewesen, von dem er „am
meisten gelemet, und dessen Rath und Kxcmpel (ihm) den
größten Nutzen geschafft" (vgl. S. 122). Die Vf.n vertritt die
Meinung, „der direkte Einfluß Caspar Neumanns und der indirekte
Erhard Weigels" — Neumanns Jenaer Lehrer —- „haben
Wolff die eigentlichen Anstöße für seine Philosophie gegeben
" (S. 127). Es müsse geprüft werden, „ob nicht manches,
was bei Wolff meist dem direkten Einfluß englischen Denkens
zugeschrieben wird, von der deutschen ,Frühaufklürung' herrührt
" (ebd.), die auf Wolff über Neumann einwirkte. Denn —
das ist eines der wichtigsten Ergebnisse ihrer Untersuchungen
— „in Wirklichkeit war Caspar Neumann weder ein moderner
Aufklärer noch ein Pietist und wohl am wenigsten ein
,den Pietismus wie Aufklärung ablehnender Vertreter der lutherischen
Orthodoxie" (S. 32), sondern „der erste lutherische
Theologe, den man als ,Frühaufklärcr' bezeichnen kann*
(S. 143). Mit diesem Urteil bezieht die Vf.n eine Position zwischen
Schöfflcr und Meißner.

Durch die vorliegende Arbeit wird die Neumannforschung
weilergeführt und bereichert. Trotz wertvoller Anregungen
hält sich der Beitrag zur Erhellung theologie- und geistes-
gescliiehtlichcr Zusammenhänge — nicht zuletzt im Blick auf
die neuere Literatur — in engen Grenzen. Der Informationswert
der Arbeit wird durch die weilgehende Beschränkung auf
Sekundärliteratur und die verhältnismäßig geringe Auswertung
bzw. Erschließung neuer Quellen relativiert.

Halle/Suule Helmut Obit

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GESCHICHTE CHRISTLICHER KUNST

Ruf, P. Gerhard: Franziskus und Bonaventura. Die heilsge-
schichtliche Deutung der Fresken im Langhaus der Obcr-
kirehc von San Francesco in Assisi aus der Theologie des
Heiligen Bonaventura. Assisi: Casa Editrice Francescana
1974. 253 S. m. 83 färb. Taf. 4°. Lw. DM 50,-.

In der europäischen Geschichte gibt es bestimmte Knotenpunkte
der Entwicklung, die in der Enge des Baumes lokalisiert
sind und daher sowohl das Staunen der Reisenden von
heute als auch das historische Interesse des Forschers erregen.
Das gilt für bestimmte Monumente der abendländischen
Christenheit ganz besonders. Auf dem kirchengeschichlhch
archäologischen Sektor sei die „memoria Petri" in Rom genannt
, über die sich heute nicht nur die Kuppel Michelangelos
wölbt, sondern auch der bronzene Altarbaldachin Barnims sich
erhebt. Auf diese Stätte als dem „Thron der Welt" (J. Bern-
hart) ist der römische Katholizismus orientiert. Für den fröm-
migkeits- und kunstgeschichllichen Bereich gilt ein gleiches
für S. Francesco in Assisi: auch hier wölbt sich über einer
ehrwürdigen Verehrungsslätte der sog. Toniba des hl. Krau/
die Unterkirche mit ihren Fresken von Cimabue, Pietro Loren-
zetti und Simone Martini, über ihr aber die gotische Oberkirche
mit den noch herrlicheren Bilderzyklen der Franziskus-
legende. In ihrem Entwurf sind sie aus der Meisterhand Giot-
tos, des „pictor eximius llorenlinus" (Biccobnldus da FerraraJ,
hervorgegangen. Der Kunsthistoriker kann an diesem Bauwerk
den entscheidenden Fortschritt abendländischer Kunst
von der spälromatiisch-spätantikcn Heiligenkunst zum „slile
nuovo" der Gotik und ihrer Bildnisse studieren. Der Volkskundler
aber kommt auf seine Kosten besonders am 4. 10.,
dem Todestag von Franz. Dann schwillt der laufende Fluß der
Besucher zum Strom der Festtagspilger an, die von nah und
fern herbeiströmen, um mit Fahnen, Deputationen, Vertretern
von Staat und Kirche nicht nur die goltesdienstlichen
Segnungen bis hin zum abendlichen Franziskussegen von der
Benediktionsloggia auf der Piazza superiore entgegenzunehmen
, sondern auch den Heiligen durch Trachten umzöge und
Volkstänze zu ehren,

Wer in dieser schönsten Felsenstadt Umbriens, in die auf
der Pilgerfahrt nach Rom auch aus aller Welt fromme Verehrung
einströmt, länger weilt, wird sehr bald gewahr werden,
daß ein deutscher Franziskaner sich dieser Besucher, und unter
diesen besonders der Deutschen, durch eine Führung annimmt
, die in ihrem Niveau erfreulich ist. Es ist der Verfasser
dieser neuesten Publikation zu St. Francesco in Assisi.
Damit wird bereits angedeutet, daß sie nicht nach Maßstäben
kunsthistorischcr Forschung beurteilt werden darf. Natürlich
zog der Vf. auch die diesbezüglich einschlägigen Arbeiten heran
. Wie aber das Literaturverzeichnis beweist, liegt der
Schwerpunkt auf der theologischen Interpretation, und hier
in erster Linie auf den „legendarischen" Quellen {Thomas von
Celano, Bonaventura). Die eigentliche Forschungslileralur
nimmt wenig Einfluß. In unbekümmerter Weise wird aus ihr
nur zitiert, was dem Autor zu Händen ist und ihm dienlich
war. Ihm kommt es in erster Linie „auf die heilsgeschichtliche
Deutung der Fresken . . . aus der Theologie des hl. Bonnventura
" an. Er folgt darin Anregungen, die einmal durch die
Bildunterschriften der Fresken zum Franzzyklus ausgelöst
werden, die aber auch sich durch das bonavenlurische Schrifttum
aufdrangen (vgl. Sophronius Claßen, Die Sendung des hl.
Franziskus, ihre heilsgeschichtliche Deutung durch Bonnventura
, Wiss. u. Weish. 14, 1951, 212-225). überzeugend kann
denn auch Pater Ruf nachweisen; wie in der Bildabfolgc der
Franziskuslegende „die chronologische Ordnung zweitrangig
ist und der Concordantia conformitalis des hl Franziskus mit
Christus zu weichen hat" (S. 233). Nicht so überzeugend wirken
hingegen die bildinterpretalorischen Ausführungen zu den
alt- und ncutcstamcntlichen Fresken. Dabei halle der Autor
so vielversprechend unlcr dem Stichwort „Weltbild" seine Arbeit
mit Bonaventura-Zitaten aus dem „Breviloquium" und
„rcduclio artium ad theologiam" begonnen (S. 'S). ZweifcU-

Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 4