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Ausgabe:

1976

Spalte:

271-273

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wanke, Joachim

Titel/Untertitel:

Beobachtungen zum Eucharistieverständnis des Lukas auf Grund der lukanischen Mahlberichte 1976

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 4

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stiker werden müßte!). Auch diese darf man ja heute für
weitgehend jüdischer Herkunft halten. Aber die „Iletcrodoxi-
tiit" Oumrans oder Samariens genügt noch nicht als Voraussetzung
für das JohEv (vgl. G. Baumbach; H.Braun).

Der johanneischen Forschung ist also von C. ein Stein auf
den Weg des „sogenannten mehrheitlichen ,Konsensus"' gerollt
worden, den sie keinesfalls achtlos zur Seite schieben
sollte. Die „Anstöße", die er zu geben verspricht, werden die
Erkenntnis jedenfalls vorantreiben — und das ist nochmals
genügend Grund zum Dank für diesen profilierten Beitrag
zur johanneisclien Frage!

Naumburg (Saale) Nikolaus Waltor

1 Ich orientiere mich hier bei H. G. Kippenberg, Garizim und Synagoge
(B.VV 30), Berlin 1971. Dieser nennt übrigens (S. 325 Anm. 106)
nur englischsprachige Forscher zur Frage des Zusammenhangs zwischen
JohEv und Samuritanern. Umgekehrt scheint Cullmann das Buch Kippenbergs
noch nicht zu kennen, ebensowenig die Arbeit von K. Haacker,
Die Stiftung des Heils, Stuttgart 1972, in der vielfach auf samaritnnische
Texte zur Interpretation der johanneischen Christologie Bezug genommen
wird (vgl. dazu ThLZ 98, 1973, 293—296). Die Mitarbeit von Fachleuten
der Samaritanistik am johanneischen Problem scheint mir ein dringendes
Erfordernis zu seinl

Wanke, Joachim: Beobachtungen zum Eucharistieversländnis
des Lukas auf Grund der lukanischen Mahlberichlc. Leipzig:
St. Benno-Verlag 1973. 76 S. 8° = Erfurter Theologische
Schriften, hrsg. v. E. Kleineidam, H. Scliürmann und W.
Ernst, 8. Kart. M 10,50.

Die Studie von J. Wanke, einem Schüler von H. Scliürmann
— Erfurt, will den spezifisch lukanischen Motiven nachgehen
, die Lukas' Darstellung von Mahlen in der Zeit des
irdischen Jesus und in der nachösterlichen Gemeinde prägen,
und damit eine Vorarbeit für eine „Eucharistielehre" des Lukas
leisten (S. 7).

W. geht aus gutem Grund von den Notizen der Apg zum
urchristlichen Mahl aus (Teil I, S. 11—30), weil diese weitgehend
redaktioneller Art sind, so daß sich die lukanischen
Intentionen weniger mit Motiven der Tradition mischen und
deshalb deutlicher erkennbar werden können. Auch für dio
Mahlszene der Emmausperikope (Lk 24,28—31) läßt sich starker
Einfluß des Lk auf die Darstellung aufzeigen; die Behandlung
dieses Textes bildet daher Teil II (S.31-44)1. Teil III
(S. 45—59) prüft „eucharistische Anklänge im Korpus des
Evangeliums" — also in den vor der Passion liegenden Berichten
von der wunderbaren Speisung, von Zöllnermahleu
sowie im Gleichnis vom großen Gastmahl. Erst der Schlußteil
IV (S. 60—65) wendet sich kurz der lukanischen Darstellung
des letzten Mahles Jesu (Lk 22,7—38) zu, beobachtet
aber bewußt nur die lukanische Redaktion des durch Mk 14
vorgegebenen Stoffes, und zwar unter Ausklammerung de*
eigentlichen Mahlberichts in seiner so problemgeladenen Gestaltung
durch Lukas (22,15-20 gegenüber Mk 14, 22-25).

Die Hauptergebnisse (vgl. die „Zusammenfassung", S. 6G
bis 70): Das lukanische Eucharislieverständnis ist primär bestimmt
von dem „Gedanken der Präsenz des Kyrios ... im
Mahlgeschehen inmitten der versammelten Gemeinde" (S. 66);
W. spricht — mit einer gewissen Vorsicht — von Anzeichen
einer „Christusmystik", die sich z. K. in syn-Wendungen andeute
(ebd.). Das Mahl gibt teil an der von Jesus gebrachten
söteria; die nachösterlichen Mahle entsprechen darin denen
des Irdischen. Der spezielle cschatologische Aspekt des Herrenmahles
(vgl. den „Jubel" von Apg 2,46) ist für Lk auf
noch traditionelles Motiv. Andererseits fehlt jeder erkennbare
Bezug auf den Kreuzestod (als Heilstod) und auf den sog.
„Einsetzungsberichl" von Lk 22,(15—) 19—20, während der
Rückbezug auf die Emmauserzühlung schon durch die Terminologie
(„ßrotbrechen") eindeutig ist.

Wanke arbeitet sorgsam nach der redaktionskritischen Methode
. Dennoch bleiben für den Rezensenten viele Fragezeichen
zu Einzelergebnissen (ist z. B. Apg 2,42 wirklieh als Aufzählung
der Bestandteile der Gemeindeversammlung zu verstehen
? [zu S. 13f.] Müßte man nicht angesichts der Erkenntnis
, daß Apg 2,46 redaktioneller Text ist, damit aufhören,
in dem Stichwort agalliasis ein Indiz cschatologsicher Ausrichtung
der urchristlichen Herrenmahlfeier zu sehen, wenn
Lukas jedenfalls eine solche Sinngebung nicht erkennen läßt?
[Wanke S. 66 gegen S. 17 Anm. 35 und S. 54f.]), vor allem
aber zur Gesamtdeutung. Denn auf eine solche zielt W. ja
trotz des Vorbehalts in der Einleitung schließlich doch! Und
da ist die Ausklammerung von Lk 22,15—20 und der Beziehungen
(oder Nicht-Beziehungen) dieses Textes zu den übrigen
Mahl texten nicht mehr gut zu rechtfertigen. Trifft die —
auch von W. geteilte — Voraussetzung zu, daß die in Lk 22,15
bis 18 (und Mk 14,25) zu Worte kommende Tradition jemals
Teil der liturgischen Ilerrcnmahl-Formel oder gar eine in sich
selbständige liturgische Formel gewesen ist, also ein Text, der
eine bestimmte Form nachösterlicher Gemeindefeier (ein
.„neues Passa' ohne Lamm", S. 62) spiegelt? Und weiter:
welche Bedeutung hatte — in den Augen des Lukas — die an
sich sicher liturgische Formel von Mk 14,22—24 und 1 Kor 11,
23-25 (= Lk 22,19-20)? Kannte Lukas diese Formeln nur
als literarische Texte, also aus Mk und dem IKor (dessen
Bekanntheit für Lk man dann allerdings annehmen müßte!),
oder waren sie in der einen oder anderen Gestalt in seiner
Gemeinde in Gebrauch? Immerhin scheint ja Lukas ein Bild
vom urchristlichen Ilerrenmahl zu entwickeln, das nicht auf
den Gründonnerstag, sondern auf Ostern bezogen ist und in
dem möglicherweise dem Wein keine spezielle Bedeutung zukam
. Fragen dieser Art stellt W. nicht zur Diskussion, weil sie
außerhalb des im engen Sinne angewendeten redaktions-kri-
tischen methodischen Rahmens liegen — und doch wirkt ein
ungeklärtes Vor-Urteil auf die Gesamtkonzeption mit ein.

Grundsätzliche Bedenken habe ich gegen die für W. wichtige
positive These vom Gedanken der Präsenz des Kyrios
beim Mahl, „in der Mitte der Feiernden" (so S. 67; vgl. S. 40
bis 44.65. 66—70). Denn der einzige Text, auf dem diese These
eigentlich basiert, Lk 24,28—31, schildert im Sinne des Lukas
ja einen Vorgang im Bereich des „Irdischen", nämlich vor
seiner Himmelfahrt2. Was für diesen Zeitraum konstitutiv ist,
läßt sich nun aber nicht ohne weiteres auf die Zeit nach Himmelfahrt
bzw. Pfingsten übertragen. Das „christologischc"
„mit/bei Jesus" ist auch und gerade in Apg 4,13 ganz eindeutig
auf den Irdischen bezogen! Das, was W. „Christusmystik"
nennt, kann ich in den lukanischen Äußerungen über das
gemeindliche Herrcnuiald nicht erkennen. (Was soll eigentlich
der Ausdruck „frühsakramental" für die lukunische
Eucharistiealiffassung im Sinne W.s besagen [so S. 44 und 66],
wenn doch die korinthische und die markinische Gemeinde
schon Jahrzehnte vor Lukas ein weit „sakramentaleres"
Ilerrenmahl-Verständnis hatten?) Gelten lassen würde ich
gewiß den Gedanken der Repräsentation des mit Jesus gekommenen
, von ihm gebrachten Heils im Mahlgeschehen
(S. 67f.), für den sich W., m. Ii. mit Recht, auf die lukanische
Darstellung von Mahlen des irdischen Jesus bezieht (S. 59).
Aber das läßt sich nicht sofort in die These von der Realpräsenz
des Kyrios selbst übersetzen. Denn für Lk ist doch
wohl von der „Gegenwart" des Herrn bei seiner Gemeinde
nur indirekt, in den Wirkungen des Pneuma, zu reden — und
eine unmittelbare Identifikation von Kyrios und Pneuma
läge kaum im Sinne des Lukas (so argumentiert auch W.
nicht).

Man sieht: der Verfasser hat sich ein äußerst reizvolles
Problemfeld vorgenommen, das nicht nur für die Erkenntnis
der lukanischen Christologie wichtig ist, sondern auch im
Kontext der Entwicklung des Hcrrenmahls im Urchristentum
überhaupt beachtet werden muß — es sei denn, man wollte
die lukanische F.ucliaristicniiffassung für sein eigenes Schreib-
tischprodukt, ohne Kontakt zur Praxis einer konkreten Gemeinde
, halten. W. hatte sich nur die auf Lukas bezogene
Fragestellung zum Ziel genommen, wobei mir freilich, trotz
der an sich sorgsamen Textbefragung, noch nicht alle Ergebnisse
gesichert zu sein scheinen. Doch meine ich, daß auch
für die weitergehende Suche nach Entwicklungslinien in der
Geschichte des urchristlichen Hcrrenmahls das Zeugnis des
Lukas — gerade auch mit den von W. herausgestellten Fehl-