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Ausgabe:

1976

Spalte:

267-269

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schulz, Siegfried

Titel/Untertitel:

Das Evangelium nach Johannes 1976

Rezensent:

Baumbach, Günther

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Theologische Lilcraturzeitung 101. Jahrgang 1976 Nr. 4

268

Schulz, Siegfried: Das Evangelium nach Johannes, übers, u.
erklärt. Götlingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1972. IV,
263 S. gr. 8° = Das Neue Testament Deutsch. Neues Göttinger
Bibelwerk, in Verb. m. P. Althaus t, H. W. Beyer t, H-
Conzelmann, J. Jeremias, E. Lohse, A. Oepke t, K. II. Bengs-
torf, J. Schneider f, J. Schniewind f> S. Schulz, E. Schweizer,
G. Stählin u. H.-D. Wendland hrsg. v. G. Friedrich, 4. Kart.
DM 17,50.

Die von S. durchgeführte Neubearbeitung des NTD 4 spiegelt
die durch E. Käsemanns Schrift: Jesu letzter Wille
nach Johannes 17 erneut in Bewegung geratene Debatte um
den religionsgeschichtlichen Ort und die theologische Ausrichtung
der johanneischcn Aussagen wider. Wenn auch — entsprechend
den für das NTD geltenden Richtlinien — auf die
Nennung von Autoren innerhalb der Auslegung verzichtet
wird, so spürt man doch auf Schritt und Tritt, wie engagiert
S. in die Diskussion zwischen Bultmann, Käsemann, Schottroff
u. a. eingreift, wobei seine Entscheidung meist im Sinne Kfi-
semanns erfolgt. Der johanncische Jesus ist nach S. „der über
die Erde schreitende Gott", für den „alle Geschichte zweitrangig
und nur noch zum notdürftig szenischem Gewand"
wird (S. 4). Die Fleischwcrdung „markiert... nicht eine Veränderung
Jesu seinem Wesen nach . . ., sondern offenbart vielmehr
den Wechsel des Ortes und der Gestalt" (S. 31). Johau-
nes vertritt demnach eine „doketisierende Herrlichkeits-Chri-
stologie" (S. 60) und ist „in gar keiner Weise ein Vertreter
der antignostischen Inkarnationsdogmatik" (S. 211); denn „die
Menschlichkeit des Offenbarers ist eigentlich nur eine Verkleidung
, Verhüllung und Transparenz seiner Göttlichkeit"
(S. 212). Demzufolge wird Joh 3,16 als eine unjohanneische
„Formel'1 bezeichnet, die aus dem durch die Paulus-Stoffe repräsentierten
Gemeindebereich stammt (S. 60). „Höhepunkt
der eigenständigen Theologie des vierten Evangelisten ist
Joh 17" (S. 213)! Für S. ist deshalb „die Theologie des Johannes
in gar keiner Weise eine geradlinige Forlsetzung der pau-
linischen" (S. 5), sondern stellt „einen eigenständigen Tradi-
tionsbercich" dar (S. 6). In Anlehnung an Bultmann rechnet
S. mit einer Zeichenquelle, die allerdings „überlieferungsgeschichtlich
beurteilt keine Einheil" ist (S. 8), und mit einer
gnoslisierenden Bedenquelle, die er aber nicht als durchgehende
Quelle, sondern als Wortüberlieferung mit verschiedenartigem
Spruchgut auffaßt (S. 8). Die theologische Leistung
des vierten Evangelisten erblickt er darin, daß dieser
„in seinen großen chrislo logischen Offenbarungsreden zum
ersten Mal die in seinen Gemeinden umlaufende gnostisie-
rende Worlüberlieferung mit den hcllcnislisch-judcrichrist-
lichen Leben-Jesu-Stol'fcn zu einem Evangelium als fortlaufende
! Geschichtserzählung eigener Prägung verbunden hat"
und insofern von einer Gemeindetradition abhängig ist, „deren
rcligionsgeschichtlicher Standort im Kern ein orientalisch-
gnostisierendes Judenchristentum darstellt, das in Syrien
beheimatet gewesen sein dürfte" (S.9).

Diese in der Einleitung (S. 1 — 12) entfaltete Standortbestim-
mung des vierten Evangeliums wird nicht nur in der Einzcl-
auslegung, sondern auch in den 13 Exkursen näher ausgeführt
und veranschaulicht. Folgende Exkurse bietet S.: „Die
ursprüngliche Gestalt des Wort-Hymnus" (S. 15—17; vor-
johanneiseber christlicher Hymnus mit zwei Strophen: 1. V.l.
3—4: „das vorgeschichtliche Sein des ,Wortcs'"j, 2. V. 5.10
bis 12 b: „die eschatologische Offenbarung des ,Wortes'", „der
religionsgeschichlliche Hintergrund des Logos-Begriffes" (S. 26
bis 29; Herkunft aus der hellenistischen Gnosis), „der Menschensohn
" (S. 62—64; Abwandlung der synoptischen und urchristlichen
Konzeption „im Sinne der gnoslisierenden Präexistenz
- und Gcsandtenchristologie, ohne daß eine direkte
Abhängigkeit des Johannes von der genuin orientalischen ,Ur-
mensch'-Vorstellung noch einem umfassenden .Erlöser-Mythos
' nachweisbar wäre"), „der johanneische Dualismus" (S.
07—71 ; der — mit Käsemann — „im Grunde nichts anderes
als die Verkündigung von der Allmacht des göttlichen Schöp-
ferwortes" ist), „die Sakramente" (S. 108f.; „Der vierte Evangelist
war nicht sakramentsfeindlich", aber auch die Sakramente
müssen dem alles beherrschenden Wort „untergeordnet

und allein von ihm her interpretiert werden"), „die ,wahrlich,
wahrlich, ich sage euch'-Sprüche und der vorjohanneische
Geistenthusiasmus" (S. 91—94; Johannes übernimmt diese enthusiastisch
bestimmten Pneumatikersprüche, die aus „einer
judenchristlich-gnostisierenden Gemeinde Syriens" stammen,
als „Aussagenuttel seiner immer wieder neu formulierten chri-
stologischen Reden, daß im himmlischen Gesandten alles Heil
für den Menschen erschienen ist und sich allein in der Begegnung
mit ihm realisiert"), „die Ich-bin-Bildworte und
Bildreden" (S. 128—131; sie sind „sprachlicher Ausdruck für
den schon vorjohanneischen Dualismus Welt-Gott, für den
alle irdischen (jüter nur Schein und Trug, und nur die himmlische
Herrliehkcits- und Lichtwell Wahrheit und Wirklichkeit
sind"), „Jüugerschaft und Gemeinde" (S. 179—181; Johannes
kann „auch von der Kirche nur christologisch reden"), „der
Paraklet" (S. 187—189; er steht in „größter Nähe zur johan-
neischen Menschensohn-Tradition", wobei „die ständige Gegenwart
Jesu im Geist-Parakleten . . . die traditionelle und
apokalyptisch vorgestellte Wiederkunftserwartung" ersetzt/,
„Wort und Glaube" (S. 197—200; „Der Johannes-Evangelist
vertritt. . . mit seiner Belation Wort und Glaube . . . die theo-
logische Position eines gnostisierenden Christentums der dritten
Generation"), „der Offenbarer und Gesandte — die Herrlichkeit
Jesu" (S. 209—213; „Johannes ist der einzige Zeuge
im Neuen Testament, der bewußt die dualistische Präexistenz-
christologie mit quasi synoptischen Jesus-Traditionen verbunden
hat, um eine irdische Geschichte des präexislenten, über
die Erde schreitenden und in seine himmlische Herrlichkeit
heimkehrenden Offenbarers in Menschengestalt zu schreiben
"), „die Zukunftserwartung (Eschatologie)" (S. 220—223;
Der vierte Evangelist hat die Zukunft des Heils, wie sie nach
17,24 „außerhalb der Welt in der Herrlichkeil" geschieht, niemals
preisgegeben, dagegen sind mit Bultmann traditionell
apokalyptische Zukunflsaussagen wie 5,28f.; 6,30.40.44.54;
12,48 der kirchlichen Redaktion' zuzuweisen) und „der Tod
Jesu" (S. 236—238; es fehlt eine ausgesprochene Kreuzcstheo-
logie, statt dessen liegt eine „gnostisierende Verkündigung
vom Weggang des himmlischen Gesandten" vor).

In diesen Exkursen verdeutlicht S. die Eigenart der betraf«
fenden johanneisehen Aussagen meist durch einen Vergleich
mit anderen urchristlichen Entwürfen (Logionquelle, vorpau-
ünische u.a. Ausprägungen), so daß die Vielfalt und Mehr-
linigkeit der urchristlichen Verkündigung und Theologie erkennbar
wird (vgl. bes. S. 68.93.198.210.237). Der Akzent der
Auslegung liegt darum auf dem, „was dieser uns unbekannte
Christ mit Hilfe von verschiedenen Gemeindeüberlieferungen
und in der Form des chronologisch und geographisch aufgebauten
Evangelienbuches uns heute zu sagen hat oder nicht/4
(S. 2). Insofern ist diese Interpretation streng kerygmatisch
ausgerichtet und gehl nicht auf die Frage, „ob und in welchem
Umfange das Johannesevangelium als historische Urkunde
benutzt werden kann" (S. 1), und ebensowenig auf das Problem
des „historischen Jesus" ein. Nur ganz beiläufig wird
einmal ein solcher Hinweis gegeben, indem im Blick auf den
Grund von Jesu Verurteilung der markinischen Darstellung
bescheinigt wird, daß sie „tatsächlich den historischen Sachverhalt
getroffen" habe (S. 162). Aber es ist im Blick auf das
legitime Informationsbedürfnis de» heutigen Lesers zu fragen,
ob man mit S. so radikal von der „falschen Suche nach der
äußeren Geschichtlichkeit von Vorgängen, Handlungen oder
Gesprächssiluationen" (S. 54) reden sollte. Wie nachteilig sich
dieses Prinzip auswirkt, zeigt sich z.B. an seiner Interpretation
von 18,12—27, wo er überhaupt nicht auf die mit Kaiphas
und Hannas d. A. gegebenen historischen Fragen und die damit
zusammenhängenden textkritischen Probleme (V. 24!)
eingeht und ohne weiteres annimmt, daß das „zwar nicht
ausdrücklich" hier genannte Syncdrium, „das aus der Saddu-
zäcrarislokralie und den Pharisäern bestand" (S. 122!), „auch
für Johannes vorausgesetzt werden kann" (S. 226). Der auf
einer solchen Grundlage geführte Vergleich mit Mk 14,53—72
Par bleibt darum unbefriedigend. Wenn dann S. doch einmal
seinem Prinzip untreu wird und zu 19,12 bemerkt: „Mit dieser
geheuchelten Slaatstreuc der Juden wird von Johanne?